„Wer, wenn nicht Dachdecker, sind die Klimaschützer“
21. Oktober 2021
Die Politik will den Klimaschutz forcieren und fördert die energetische Gebäudesanierung wie noch nie zuvor – inklusive Photovoltaik und Gründach. Doch die Frage ist, wie sich das Ganze effektiv umsetzen lässt und woher die fehlenden Fachkräfte kommen sollen.
Dirk Bollwerk sieht es ganz pragmatisch. „Ob wir es wollen oder nicht, es gibt keine Alternative zum ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Der Klimawandel ist in vollem Gange.“ Wie dringlich die Lage ist, machte der Weltklimarat IPCC in seinem neuen Sachstandsbericht deutlich. Bereits 2030 werde sich das Klima um 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter erwärmt haben. Zu erleben sind diese Veränderungen auch ganz lebenspraktisch, ob als stürmische Unwetter, regionale Tornados, Hochwasser oder extensive Waldbrände. Jedes einzelne Ereignis wird nicht direkt und allein vom Klimawandel verursacht, aber die Häufung zeigt, wie ernst die Lage ist.
Ansehen der Dachdecker nachhaltig verbessern
Für Bollwerk ist klar, „dass wir diese Situation mit der Botschaft angehen sollten, dass Dachdecker die Klimaschützer sind“. Für den Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) bietet die aktuelle Umbruchsituation die Chance, die Bedeutung und das gesellschaftliche Ansehen der Dachdecker nachhaltig zu verbessern. Deshalb hat der ZVDH vor der Bundestagswahl seine Forderungen an die Politik offensiv formuliert. Im Fokus steht dabei, wie sich die energetische Gebäudesanierung inklusive PV-Anlagen und Gründach sowie Dachausbau unbürokratisch fördern und verstärkt auf den Weg bringen lässt.
Es fehlen die zusätzlich benötigten Fachkräfte
„Sicher können wir die Sanierungsquote nicht aus dem Stand auf zwei Prozent verdoppeln. Da fehlen uns die Hände auf den Baustellen, oftmals auch die Entsorgungskapazitäten für gefährliche Abfälle wie Asbest in Bitumen und womöglich das Material, wie sich in der Krise bei Holz oder Dämmstoffen gezeigt hat“, sagt Bollwerk. Er benennt dabei ein zentrales Dilemma. Einerseits erhöht die Politik die Klimaziele. Doch auf der anderen Seite fehlen für den schnellen Ausbau der Gebäudesanierung vor allem die Fachkräfte.
Handwerker statt PR-Berater und Investmentbanker
„Die eigentliche Schwierigkeit dürfte an einer Stelle auftauchen, die bisher kaum diskutiert wird: Die Handwerker werden knapp“, kommentierte Ulrike Hermann in der taz. „Bisher gibt es keinerlei Plan, woher die nötigen Fachleute kommen sollen und wie man sie möglichst schnell ausbildet. Um es etwas polemisch zuzuspitzen: Die Zukunft gehört nicht den PR-Beratern und Investmentbankern.“ Wie sich doch die Zeiten wandeln. Fragt sich nur, ob eine solchen Botschaft in der Politik ankommt, damit sie das Handwerk systematisch fördert in Sachen Ausbildung.
Mit Klimaschutz für das Berufsbild Dachdecker werben
„Wir haben seit 2018 im Schnitt rund 1300 Mitarbeiter dazugewonnen und die letzten Jahre verzeichnen wir regelmäßig Steigerungen bei den Lehrlingszahlen“, erklärt Bollwerk dazu. Doch es braucht weiter die Aktivität der Betriebe und der Verbände. Betriebe müssen sich aktiv um den Nachwuchs bewerben und auch den veränderten Ansprüchen einer neuen Generation gerecht werden.
„Daher stellen wir aktuell den Klimaschutz in den Mittelpunkt unserer PR-Kampagnen für das Berufsbild. Es ist das Thema der jungen Generation, damit können wir punkten.“ Bollwerk warnt aber zugleich, dass das Wachstum an Personal für die Betrieb nachhaltig sein müsse. Es reiche nicht, jetzt einen kurzfristigen Boom zu erzeugen. Er weist an der Stelle auf den Ausbildungsknigge hin, den der ZVDH vor einiger Zeit herausgebracht hat, um Betriebe fit zu machen für den Umgang mit Azubis.
Höherer Stellenwert: Energieeffizienz-Behörde
Zur Erreichung der Klimaziele ist die finanzielle Förderung ein wichtiges Instrument. „Wir müssen das ausbauen und vereinfachen. Die Nachfrage bei den Kunden ist groß. Leute wollen ihr Dach sanieren, haben sich entschieden, dann soll es auch schnell losgehen ohne langes Warten in Antragsschleifen.“ Deshalb müsse es so einfach wie möglich sein, Anträge inhaltlich zu verstehen und zu stellen, meint der Dachdecker-Präsident.
Zudem gibt es den Steuerbonus und die KfW-Förderung bisher nur für selbst genutztes Eigentum. Das sollte laut ZVDH auf vermieteten Wohnraum erweitert werden. Zudem gehe es zentral darum, die Förderung energetischer Gebäudesanierung bekannter zu machen und auch eine höhere Priorität einzuräumen. „Wir fordern deshalb eine eigenständige Energieeffizienz-Behörde im Bundeswirtschaftsministerium. Das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA) ist derzeit mit der Menge an Förderanträgen überlastet.“
2021 bereits 2,7 Milliarden Euro Fördermittel bewilligt
Doch es gibt auch Erfolgsmeldungen. Das BAFA hat im ersten Halbjahr 2021 mehr als 2,7 Milliarden Euro für die energetische Gebäudesanierung bewilligt und rund 610 Millionen Euro für Projekte ausgezahlt. Es gab 2021 bereits über 150.000 Anträge. „Bis 2030 wollen wir den CO2-Ausstoß um 65 Prozent senken und 2045 Klimaneutralität erreichen“, so Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Dazu brauche es große Anstrengungen bei der energetischen Gebäudesanierung, für die in diesem Jahr rund fünf Milliarden Euro bewilligt würden.
Energiesparen und Energiegewinnung auf dem Dach kombinieren
Wichtig sind bei der energetischen Gebäudesanierung Photovoltaik und Gründach. „Früher sollten Dächer nur regendicht sein. Heute geht es um Energiesparen, um Energieproduktion sowie um Kühle im Sommer und Wärme im Winter“, erläutert Bollwerk. Der ZVDH hat zu diesem Thema gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Ziegelindustrie (BVZi) eine Studie beauftragt. Das Forschungsinstitut für Wärmeschutz (FiW) in München hat die Hebelwirkung einer gezielten Förderung von PV- Anlagen in Kombination mit einer energetischen Optimierung des Daches näher untersucht. Demnach könnten im optimalen Fall bis zu 116 Millionen Tonnen CO2 im Gebäudebestand eingespart und gleichzeitig die Stromproduktion aus erneuerbaren Energiequellen auf unseren Dächern deutlich erhöht werden.
Bereits 2018 hatte das FiW festgestellt, dass insgesamt 1,6 Milliarden Quadratmeter Dachflächen, über 10 Millionen Dächer, unzureichend gedämmt seien. Bei vollständiger Sanierung dieser Flächen bis 2050 könnten die CO2-Emissionen im Gebäudebereich nur durch das Dach um 25 Prozent gesenkt werden. Dies würde dann einer Dachsanierungsquote von 2,5 bis 3,0 Prozent entsprechen – weit mehr als eine Verdoppelung im Vergleich zum heutigen Stand.
Zweiten Solarboom sinnvoll nutzen
„Wir haben heute erneut einen Solarboom, doch anders als beim ersten Mal zwischen 2008 und 2011 sollten wir ihn diesmal mehr mit dem Thema energetische Dachsanierung verbinden“, erklärt der Dachdeckermeister. „Wir sollten unten anfangen: Erst kommt die Dachsanierung und dann die PV-Anlage. Denn das Dach hat einfach eine längere Lebensdauer.“ Es könne nicht sein, dass eine bestehende PV-Anlage verhindert, dass ein sanierungsbedürftiges Dach erneuert wird. „Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Daher halten wir es für sinnvoll, Dachsanierung plus Photovoltaik als eine kombinierte Maßnahme durch speziell angepasste Förderprogramme zu forcieren.“
Auf jeden Fall wird der Bereich PV-Anlagen für Dachdecker in den nächsten Jahren ein lukratives Geschäftsfeld werden. Bereits 2020 erfreuten sie sich großer Beliebtheit. Laut Bundesverband Solarwirtschaft wurden ein Viertel mehr Solaranlagen auf deutschen Dächern installiert als im Vorjahr, insgesamt 184.000 mit einer Leistung von rund 4,9 Gigawatt. Keine andere Energieform legte bei der Stromerzeugung stärker zu.
Baden-Württemberg führt 2022 Solarpflicht auf Dächern ein
Zudem werden viele Bundesländer zeitnah eine Solarpflicht auf Dächern einführen, so wie es Baden-Württemberg bereits vormacht. Für alle Nicht-Wohngebäude startet dort die Solarpflicht Anfang 2022, für den Neubau von Wohngebäuden gilt sie ab Mai 2022 und ab 2023 auch bei grundlegenden Dachsanierungen von Altbauten. Photovoltaik werde sich für jeden Privateigentümer rechnen, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gegenüber der ARD. Hierauf hat bereits der Landesinnungsverband des Dachdeckerhandwerks Baden-Württemberg reagiert. „Durch unsere Neu-Mitgliedschaft im Solar Cluster BW wollen wir noch besser als bisher die Interessen unserer Betriebe in diesem Wirtschaftsfeld vertreten, sowie die politischen Initiativen und Gesetzgebungsverfahren begleiten“, erklärt Geschäftsführer Florian Jentsch.
Gründach zusätzlich zur PV-Anlage
Verbinden lassen sich die PV-Anlagen gerade auf Flachdächern mit einem extensiven Gründach. „Die Dachbegrünung ist eine super Sache, für Dachdecker ein einfaches und lukratives Geschäft. Denn die Materialien sind ja alle da für den Aufbau“, erläutert Bollwerk. Zudem hätten die Gründächer einen hohen Klimaeffekt. Sie verbessern das Mikroklima und die Luftqualität, schützen die Gebäude, sorgen für Lärm- und Schallschutz. Zudem speichern sie Regenwasser und entlasten damit auch die Kanalisation.“ Mehr Gründächer leisten so auch einen Beitrag gegen Überschwemmungen nach Starkregen. „Und über die Wartung der begrünten Dachflächen lassen sich regelmäßige Kundenkontakte aufbauen. Da hat der Dachdecker immer einen Fuß in der Tür beim Kunden“, meint Bollwerk.
Glaubwürdigkeit: Dachdecker sollten selbst Klimaschutz betreiben
Die Betriebe können also mit ihrer Arbeit viel für den Klimaschutz tun. Doch im Gegenzug ist es auch wichtig, selbst Vorbild in diesem Bereich zu werden. „Das ist gegenüber den Kunden auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wenn ich da mit einem spritfressenden Auto vorfahre, passt das nicht“, sagt der Dachdecker-Präsident. Bollwerk hat jetzt für seinen Betrieb den ersten E-Transporter geordert und auf dem Firmendach erzeugt eine PV-Anlage grünen Strom. Das Ziel „Klimaneutraler Betrieb“ steht jedem Dachdecker, der Klimaschützer sein will, gut zu Gesicht. Denn er sollte wie jeder Bürger seinen Beitrag leisten – auch, weil die Dachdecker stark vom Klimaschutz profitieren.
Sie interessieren sich für nachhaltige Geschäftsbereiche? Dann lesen Sie unsere Story Zukunftsmarkt Gründach: was Dachdecker wissen sollten.