Dachdecker: Mehr Fehltage durch telefonische Krankschreibung?
Bild von Joachim Schaumlöffel zum Thema telefonische Krankschreibung

Dachdecker: Mehr Fehltage durch telefonische Krankschreibung?

23. Januar 2025

 · Rainer Sander

Die Diskussion um die telefonische Krankschreibung, ein Instrument, das erstmals während der Pandemie und 2023 erneut eingeführt wurde, erhitzt die Gemüter. Laut einer aktuellen Umfrage des Landesinnungsverbandes des Dachdeckerhandwerks Westfalen beobachten 70 Prozent der Betriebe einen gestiegenen Krankenstand. Drei Viertel der Innungsbetriebe sieht die Ursache in der telefonischen Krankschreibung. 32 Prozent schätzen die Steigerung sogar auf bis zu 30 Prozent. Fazit des Landesinnungsverbandes in einer Pressemeldung: „Die Hemmschwelle, sich krankschreiben zu lassen, sinkt.“

Telefonische Krankschreibung passt in eine immer unpersönlichere Zeit

Der Obermeister der Dachdeckerinnung Kassel, Joachim Schaumlöffel, findet, dass die telefonische Krankschreibung „in unsere Zeit passt, die immer unpersönlicher wird.“ Er kritisiert die Auswirkungen auf die betrieblichen Abläufe. Gegebenenfalls sei es so, dass der Arbeitgeber keine Informationen mehr bekommt, wann krankheitsbedingter Ausfall beginnt und wann dieser endet. Das gestalte die Abrechnung mit der Krankenkasse schwieriger und aufwendiger: „Die kurze Zeit hat schon gezeigt, dass zum Teil korrigiert werden muss. Krankheitstage sind deutlich klarer und einfacher abzurechnen, wenn eine schriftliche Krankmeldung mit Anfangs- und Enddatum vorliegt. Wir hatten auch Fälle, bei denen nicht ersichtlich war, ob es sich um immer die gleiche oder eine andere Krankheit handelt.“

Bild von Joachim Schaumlöffel, Obermeister der Dachdeckerinnung Kassel
Joachim Schaumlöffel ist Obermeister der Dachdeckerinnung Kassel. (Foto und Titelbild: Rainer Sander)

Interview mit Landesgeschäftsführer Fritz-Marius Sybrecht

DACH\LIVE sprach mit Rechtsanwalt Fritz-Marius Sybrecht, dem Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes der Dachdecker Westfalen, über die Ergebnisse der Umfrage zur telefonischen Krankschreibung, die Sorgen der Betriebe und seine persönlichen Einschätzungen zu den Auswirkungen.

Herr Sybrecht, was hat den Verband dazu bewogen, diese Umfrage durchzuführen?

Wir haben vermehrt Rückmeldungen aus unseren Mitgliedsbetrieben erhalten, dass der Krankenstand auffällig angestiegen ist. Auf Grundlage dieser Hinweise wollten wir empirisch festhalten, ob es wirklich einen Zusammenhang gibt. Die Ergebnisse waren eindeutig: 80 Prozent der Betriebe teilen die Einschätzung, dass die Hemmschwelle zur Krankschreibung durch den telefonischen Arztkontakt gesunken ist. Und wissen Sie, ich bin jemand, der auf Fakten setzt. Es geht uns nicht darum, jemanden zu beschuldigen oder Böses zu unterstellen, sondern darum, ein realistisches Bild der Situation zu erhalten.

Bild von Fritz-Marius Sybrecht, Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes der Dachdecker Westfalen
Fritz-Marius Sybrecht ist Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes der Dachdecker Westfalen. (Foto: LIV)

Was genau kritisieren die Dachdeckerbetriebe an der Regelung?

Die Hauptkritik liegt darin, dass bei der telefonischen Krankschreibung keine ärztliche Kontrolle mehr erfolgt. Es wird nicht hinterfragt, ob jemand trotz einer leichten Erkrankung arbeitsfähig wäre. Das führt dazu, dass viele Arbeitgeber den Eindruck haben, dass die Zahl der Krankschreibungen unnötig ansteigt. Gleichzeitig wird die Bringschuld der Arbeitnehmer entlastet – der Arbeitgeber muss sich nun selbst um die elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kümmern. Das empfinden viele als unglückliche Entwicklung. Wissen Sie, ich höre oft von unseren Mitgliedern: „Früher war das einfacher, jetzt bleibt mehr Verantwortung bei uns hängen.“

Wie wirkt sich die telefonische Krankschreibung auf die Betriebe aus?

In Zeiten des Fachkräftemangels und sinkender Produktivität trifft diese Entwicklung das Handwerk hart. Wir sprechen von einem Dachdeckerbetrieb mit durchschnittlich 6,3 Mitarbeitern. Wenn da jemand fehlt, macht sich das sofort bemerkbar. Außerdem wird der persönliche Kontakt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gestört, wenn die Krankschreibung nur noch über eine anonyme Telefonleitung erfolgt. Ich habe selbst mit einigen Betriebsinhabern gesprochen, die mir erzählt haben, wie wichtig der direkte Draht zu ihren Mitarbeitern ist.

Bild von Dachdeckerfigur
„In kleineren Betrieben macht es sich sofort bemerkbar, wenn da jemand fehlt“, erläutert Fritz-Marius Sybrecht, Landesgeschäftsführer der Dachdecker Westfalen. (Foto: Rainer Sander)

Was fordern Sie konkret vom Gesetzgeber?

Wir wünschen uns eine Überprüfung der aktuellen Regelung der telefonischen Krankschreibung durch die Bundesregierung. Es geht nicht darum, kranke Menschen zu belasten oder ihnen etwas zu unterstellen. Die Balance zwischen Arbeitnehmerrechten und Arbeitgeberpflichten muss wiederhergestellt werden. Der einfache telefonische Arztkontakt sollte unserer Meinung nach nicht der alleinige Maßstab für eine Krankschreibung sein. Mir ist es wichtig zu betonen: Wir wünschen uns keine Rückkehr zu starren Regelungen, aber eine ausgewogenere Praxis.

Jetzt hat Allianz-Chef Bernd Raffelhüschen in der Bild gesagt, die Einführung eines unbezahlten Krankheitstages sei sinnvoll. Wäre das die Lösung?

Nein, die Lohnfortzahlung vom ersten Tage halte ich für einen ernsthaft erkrankten und arbeitsunfähigen Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin für richtig und begründet. Wenn das die Konsequenz des neuen Verfahrens wäre, würden wir den Großteil der ehrlichen MitarbeiterInnen bestrafen. Das kann nicht richtig sein.

Wie beurteilen Sie die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?

Das Problem liegt in der arbeitsrechtlichen Verschiebung. Früher war es ein klar geregelter Vorgang: Der Arbeitnehmer legte seine Bescheinigung vor. Heute ist diese Verpflichtung weggefallen, was einige Arbeitgeber als Nachteil empfinden. Ich denke, dass hier eine Debatte über die Balance zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen dringend notwendig ist.

Bild von Arzt mit Handy bei telefonischer Krankschreibung
„Wir erleben eine niedrigere Schwelle, sich krank zu melden“, erläutert Fritz-Marius Sybrecht.

Welche weiteren gesellschaftlichen Entwicklungen spielen eine Rolle?

Es scheint, als hätten sich die Sensibilität und das Vertrauen innerhalb der Gesellschaft verändert, nicht zuletzt durch die Pandemie. Wir erleben eine niedrigere Schwelle, sich krank zu melden. Hinzu kommt, dass die Diskussionen um Work-Life-Balance und verkürzte Arbeitszeiten die Produktivität beeinträchtigen. Im Handwerk, wo jeder Kopf zählt, ist das fatal. Gleichzeitig gibt es auch gesundheitliche Aspekte: Einige berichten, dass Erkältungen länger anhalten. Das sind komplexe Zusammenhänge, die wir im Blick behalten müssen.

Sehen Sie sich durch Statistiken der Krankenkassen bestätigt?

DAK-Gesundheit und AOK-Bundesverband haben zuletzt insgesamt außergewöhnlich hohe Zahlen an Krankschreibungen festgestellt. Da mag es einen Zusammenhang zur telefonischen Krankschreibung geben. Die Statistiken sagen aber leider nicht, warum das so ist, doch die Zahlen waren schon auffällig, die wir in den letzten Wochen gehört haben.

Eine andere Erklärung wäre, dass es auch medizinische Gründe gibt. Es kann ja durchaus sein, dass wir im Nachgang zu Corona vielleicht einen herabgesetzten Immunhaushalt haben, der uns nicht mehr so leicht eine Erkältung wegstecken lässt. Das habe ich auch persönlich erlebt. Aber das müsste man genauer untersuchen. Sonst ist die telefonische Krankschreibung eine Entscheidung ohne Substanz, die großen Schaden anrichten kann.

Sie interessieren sich für Themen aus den Verbänden? Dann lesen Sie unsere Story über drei Dachdeckermeister, die für einen guten Zweck quer durch die Republik radeln.

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