„Auszubildende haben wenig Bock und Bildungsdefizite“

„Auszubildende haben wenig Bock und Bildungsdefizite“

7. September 2021

 · Knut Köstergarten

Dachdeckermeister Ingmar Brede hatte uns als Reaktion auf die Artikel zum Fachkräftemangel folgendes über Instagram geschrieben: „Fachkräftemangel kenne ich nicht. Und nicht zwingend macht man etwas verkehrt, wenn man keine Leute bekommt.“ Diese Einschätzung bringt auf den Punkt, dass es viele Möglichkeiten gibt, was Betriebe tun können, aber keine Erfolgsgarantie. Und dass die Lage eben auch von Region zu Region unterschiedlich ist.

Mitarbeiter von Dachdecker Ralf Harrer
Der Betrieb Harrer ist hervorragend organisiert und bietet den Mitarbeitern gute Bedingungen inklusive bester Technik. (Alle Fotos: Harrer)

Gute Bedingungen für Auszubildende  

Darauf weist auch Benjamin Harrer hin, der den Ralf Harrer Dachdeckerbetrieb in Neckartailfingen im Großraum Stuttgart führt, Mitglied bei der Dachdecker-Einkauf Süd eG. An seinem Beispiel lässt sich zeigen, wie vielschichtig die Gründe sind, warum sich die richtigen Fachkräfte nur schwer finden lassen. 1993 von den Eltern gegründet, ist der Betrieb hervorragend organisiert und bietet den rund zehn Mitarbeitern gute Bedingungen. „Wir haben top Arbeitsgeräte, Lift und Hubsteiger sowie inzwischen zwei Krane. Bei uns muss keiner mehr reißen ohne Ende. Schwindelfrei sein reicht, der Kopf ist wichtig. Es geht nicht um Tempo, sondern um Präzision. Ich will keine Reklamationen, Kunden sollen begeistert sein und uns weiterempfehlen“, erläutert Harrer.

Weltmarktführer in der Industrie als Konkurrenz

Für seinen Betrieb ist die sehr starke Industrie im Stuttgarter Großraum der Gegner. „Da sagen sich viele junge Leute, dass sie gar keine Ausbildung brauchen. Sie gehen lieber über Leiharbeit ans Band und hoffen, dass sie bleiben können.“ Mercedes, Porsche, Bosch, Metabo oder Festool, das seien die Weltmarktführer. „Schafft da einer die Ausbildung im Handwerk nicht, egal, dann geht er eben als Helfer dorthin.“ Dabei zahlt Harrer ihnen an Grundgehalt auch nicht weniger.

Bild von Harrer-Mitarbeitern auf dem Flachdach
Bei jeder Arbeit haben die Mitarbeiter die fachgerechte Ausführung im Blick, hier auf dem Flachdach.

Gesucht: Auszubildende mit echtem Interesse

Harrer braucht Auszubildende, die Bock haben, Verantwortung übernehmen wollen und Interesse zeigen. „Wir wollen unser Wissen gerne weitergeben an die jungen Leute. Doch da will keiner den Chef mal für ein paar Tage begleiten und lernen, wie Akquise und Kundenbetreuung funktionieren. Und Fragen haben sie auch keine, stattdessen schlechte Noten und eher Desinteresse.“

Harrer gibt ein Beispiel. „Wir haben aktuell zwei Auszubildende, die sind 19, haben aber keinen Führerschein. Da habe ich das Thema mal angesprochen. Wir würden das finanziell fördern und einen Firmenwagen würden sie auch bekommen. Der Köder ist also da, doch dem Fisch schmeckt er nicht“, berichtet Harrer. Beide Lehrlinge lehnten ab.

Mitarbeiter von Dachdecker Ralf Harrer
Harrer sucht Mitarbeiter, die Bock auf die Arbeit haben und mit Freude bei der Sache sind.

Basics Pünktlichkeit und Selbstständigkeit fehlen

Zudem fehlten die Basics wie Pünktlichkeit ohne Ausreden oder das selbstständige Erledigen von Arbeiten. „Die jungen Leute haben extreme Bildungsdefizite, sind weniger selbstständig und hätten gerne den Allerwertesten gepudert“, ärgert sich Harrer. Und er erzählt noch ein Beispiel für seine Situation. „Wir nutzen im Betrieb die Regentage, damit die Lehrlinge im Betrieb den Fenstereinbau, den Luftdichten-Anschluss oder die bituminöse Abdichtung üben können. Zwei Tage später auf der Baustelle haben sie alles vergessen. Traurig ist das!“ Wer wirklich wollte, war ein Flüchtling, der als Helfer im Team gearbeitet hat. „Der wusste, worauf es ankommt, der hat Bock gehabt. Doch trotz seines Jobs bei uns wurde er abgeschoben.“

Aktive Werbung in den sozialen Medien

Harrer war früher selbst in Schulen unterwegs, um für den Beruf Dachdecker zu werben. Doch dafür hat er aktuell keine Zeit. Harrer macht ein Fernstudium zum Bautechniker, um sein Wissen zu erweitern. Er bildet nur noch aus, wenn einer von sich aus kommt und ins Team passt. Dass er kaum Fachkräfte findet, liegt auch nicht an fehlender Präsenz im Internet. Die Homepage ist gut gestaltet und einladend, Harrer ist zudem in den sozialen Medien aktiv, auf Facebook und Instagram. „Wir haben eine junge Truppe mit einem alten Hasen, der auch noch jung ist, unser Zimmerergeselle Alex.“

Mitarbeiter von Dachdecker Ralf Harrer
Ein junges Team mit einem guten Zusammenhalt sucht engagierte Auszubildende.

Kritik an Werbung für das Berufsbild

Insgesamt ist Harrer aufgefallen, dass sich viele junge Menschen als Zimmerer bewerben. „Das Berufsbild und die Komplexität des Dachdeckers sei noch immer weitgehend unbekannt. Das ist für viele einer, der Ziegel aufs Dach schmeißt oder ein ‚Schwarz-Schmierer‘.“ Harrer sieht hier großen Aufklärungs- und Nachholbedarf. Sein Landesinnungsverband in Baden-Württemberg hat die Zeichen der Zeit erkannt und startet jetzt eine groß angelegte Nachwuchskampagne unter dem Titel „Oben ist das neue Vorn“.

Die zugehörige Homepage samt Testimonials-Videos ist online, hinzu kommt ein moderner Social-Media-Auftritt mit professionell hergestelltem Content. Herzstück der Kampagne ist das Dachmobil, ein aufmerksamkeitsstarkes Medienfahrzeug, das bei Veranstaltungen zum Einsatz kommt und mit einem Virtual-Reality-Game, 360°-Videos und einen Drohnenflugsimulator drei digitale Attraktionen unter seinem Dach vereint.

Dachdecker Ralf Harrer
Holt verbal gerne mal die Axt heraus: Quereinsteiger Benjamin Harrer sieht großen Nachholbedarf bei der Nachwuchswerbung für das Berufsbild Dachdecker.

Quereinsteiger ist in erster Linie Kaufmann

Harrer schaut schon mal kritisch auf die Arbeit seiner Verbände – vielleicht auch deshalb, weil er Quereinsteiger ist. Nach einer kaufmännischen Ausbildung machte er den Wirtschaftsfachwirt, den Manager im Dachdeckerhandwerk, die Ausbildung zum Bauwerksabdichter und den Gebäudeenergieberater. Er ist Dachpraktiker, aber in erster Linie Kaufmann.

Komplexe Ausführungen führt er in Kooperation mit seinem Vater Ralf durch, der Dachdeckermeister ist. Für ihn ist der Dachdeckermeister nichts. „In den Schulen gibt es zu viel Beamtentum, zu wenig Kreativität.“ Von sich selbst sagt er, dass er reden, planen und verkaufen kann. Das sei sein Job. „Daher kommt auch ein gewisser Abstand zu den Verbänden.“

Sie interessieren sich für das Thema Fachkräfte? Dann erfahren Sie hier, was unsere Leser darüber denken.

Artikel jetzt teilen!

Weitere Artikel

Newsletter-Anmeldung

DACH-Ticker

ZDBF-Mitgliederversammlung: KI und Marktsituation im Fokus

Mit knapp 80 Teilnehmern aus Bedachungsfachhandel und Industrie war die Mitgliederversammlung des Zentralverbandes des Deutschen Bedachungsfachhandels (ZDBF) am Mittwoch in Hannover gut besucht. Ein wichtiger, positiver Fakt: Das Einkaufsvolumen der meldenden Fachhandelsunternehmen im Jahr 2024 mit bei einem Minus von 0,8 Prozent nahezu stabilisiert. Der ZDBF kündigte zudem an, Mitglied der Aktion Dach zu werden, um die notwendigen und für alle Marktbeteiligten wertvollen Aktivitäten zur Nachwuchsgewinnung zu unterstützen. Martin Langen von B+L Marktdaten informierte über Marktentwicklung in Neubau und Sanierung, den Schlussvortag unter dem Titel „Künstliche Intelligenz im Praxiseinsatz“ hielt Prof. Dr. Marco Barenkamp.

9. Mai 2025

Dirk Sindermann zum neuen ZVDH-Vizepräsidenten gewählt

Dachdeckermeister Dirk Sindermann ist auf dem jüngsten Dachdeckertag in Dresden in einer Kampfabstimmung gegen den bisherigen Amtsinhaber André Büschkes mit knapper Mehrheit zum neuen Vizepräsidenten des Zentralverbands des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) gewählt worden. „Ein zentrales Anliegen ist es für mich, das Dachdeckerhandwerk in der öffentlichen Wahrnehmung gemeinsam mit den Mitgliedern der Organisation zu stärken“, so Sindermann. „Ein Schwerpunkt liegt auf der Öffentlichkeitsarbeit, um die Bedeutung unseres Gewerks in der Gesellschaft sowie bei relevanten Akteuren weiter zu festigen.“

28. März 2025

Böcker eröffnet neue Niederlassung in Burghaslach bei Nürnberg

Kranhersteller Böcker verstärkt seine deutschlandweite Präsenz mit der neuen Niederlassung in Burghaslach bei Nürnberg und eröffnet diese feierlich mit einem 360 Grad Höhentag. Ein Jahr nach dem Spatenstich im konnte nun laut einer Pressemeldung das moderne Servicegebäude fertig gestellt werden. Damit ist Böcker deutschlandweit an sieben Standorten, einschließlich des Firmensitzes im westfälischen Werne, als Partner direkt vor Ort.

21. März 2025

Baugenehmigungen 2024 stark rückläufig

Im Jahr 2024 wurde in Deutschland der Bau von 215 900 Wohnungen genehmigt. Wie das Statistische Bundesamt nach vorläufigen Ergebnissen mitteilt, waren das 16,8 Prozent oder 43 700 Wohnungen weniger als im Vorjahr. Damit sank die Zahl der Baugenehmigungen bereits im dritten Jahr in Folge. Weniger neue Wohnungen waren zuletzt im Jahr 2010 mit 187 600 Wohnungen genehmigt worden. In den Zahlen sind die Baugenehmigungen für Wohnungen sowohl in neuen als auch in bestehenden Gebäuden enthalten.

27. Februar 2025

Bauder eröffnet neues Werk in Landsberg

Ein bedeutender Meilenstein für die Paul Bauder GmbH & Co. KG: Mit der feierlichen Einweihung seines neuen Werks in Landsberg stärkt das Stuttgarter Familienunternehmen seine Produktionskapazitäten und setzt zugleich ein klares Signal für Wachstum und Innovation. Rund 12,5 Millionen Euro wurden laut einer Pressemeldung von Bauder in die neue Anlage investiert, die speziell für die Herstellung des Flüssigkunststoffs Liquitec konzipiert wurde und Raum für modernste Forschungs- und Entwicklungsarbeit umfasst. Dabei wurde ein ganzheitlicher Ansatz für eine bestmögliche Ökobilanz des Produktionsprozesses verfolgt.

31. Januar 2025

Baugenehmigungen 2024 weiterhin auf Talfahrt

Im November 2024 wurde in Deutschland der Bau von 17 900 Wohnungen genehmigt. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, waren das 13 Prozent oder 2700 Baugenehmigungen weniger als im November 2023. Im Zeitraum von Januar bis November 2024 wurden 193 700 Wohnungen genehmigt. Das waren 18,9 Prozent oder 45 200 weniger als im Vorjahreszeitraum. In diesen Ergebnissen sind sowohl Baugenehmigungen für Wohnungen in neuen Wohn- und Nichtwohngebäuden als auch für neue Wohnungen in bestehenden Gebäuden enthalten.

17. Januar 2025

Valentin Bremer gewinnt German Craft Skills 2024 der Dachdecker

Der Sieger der German Craft Skills 2024 Valentin Bremer kommt aus Hessen und hat von 200 möglichen Punkten 178,70 erreicht. Den zweiten Platz belegte John Seltmann aus Sachsen, Dritter wurde Linus Esseln, der Landessieger aus Rheinland-Pfalz. Bremer und Seltmann haben sich für die 30. IFD-Weltmeisterschaft junger DachdeckerInnen im Jahr 2026 qualifiziert. „Es ist immer wieder eine große Freude zu sehen, wie sehr sich junge Menschen für ihr Handwerk begeistern“, erklärte ZVDH-Vizepräsident Jan Voges, der als Zuschauer vor Ort war.

30. Oktober 2024

Georg Harrasser wird neuer Geschäftsführer bei Nelskamp

Georg Harrasser übernimmt ab November 2024 die Geschäftsführung der Dachziegelwerke Nelskamp. Der 58-jährige Maschinenbauingenieur ist ein alter Bekannter in der Bedachungsbranche. Nach mehr als 25 Jahren bei der BMI Group war Harrasser zuletzt als Präsident bei der Carlisle Construction Materials Europe tätig. Er folgt auf Heiner Nelskamp, der im Mai 2024 als Geschäftsführer in Rente gegangen ist. „Nelskamp ist ein bekannter Name und wird als ein führender Hersteller von Dacheindeckungsmaterial in Deutschland sehr geschätzt. Der Ausbau des deutschen sowie internationalen Geschäfts ist eine spannende Aufgabe, auf die ich mich sehr freue“, so Harrasser.

17. September 2024

A. Ewald Kreuzer wird Ehren-Landesinnungsmeister der bayerischen Dachdecker

Nach Abschluss der Neuwahlen der Vorstandschaft auf dem jüngsten Landesverbandstag der bayerischen Dachdecker stellte der neu gewählte Landesinnungsmeister Mario Kunzendorf den Antrag, A. Ewald Kreuzer für seine herausragenden Verdienste während seiner knapp 20-jährigen Amtszeit als Landesinnungsmeister zum Ehren-Landesinnungsmeister zu ernennen. Kunzendorf bekräftigte die Aussage von ZVDH-Präsident Dirk Bollwerk, dass mit der Zeit von Kreuzer als Landesinnungsmeister eine „Ära“ zu Ende gehe und ergänzte, dass dieser Begriff selten treffender hätte sein können.

18. Juli 2024

ifo Institut erhöht Prognose auf 0,4 Prozent Wirtschaftswachstum für 2024

Das ifo Institut hat seine Prognose für das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr auf 0,4 Prozent heraufgesetzt, von 0,2 Prozent bislang. Im kommenden Jahr dürfte es sich beschleunigen auf 1,5 Prozent. „Es entsteht gerade neue Hoffnung“, sagt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. „Die deutsche Wirtschaft arbeitet sich langsam aus der Krise. Das zweite Halbjahr 2024 dürfte deutlich besser ausfallen als das erste.“ Gleichzeitig wird die Inflation abflauen, von 5,9 Prozent im vergangenen Jahr auf 2,2 Prozent in diesem und auf nur noch 1,7 Prozent im kommenden Jahr.  

20. Juni 2024