Holzturm Notre-Dame: Deutsche Planfräse für Wiederaufbau
Bild von Dachdeckern vor Notre-Dame

Holzturm Notre-Dame: Deutsche Planfräse für Wiederaufbau

10. Dezember 2024

 · Anja Streiter

Die feierliche Wiedereröffnung der berühmten gotischen Kathedrale Notre-Dame am vergangenen Wochenende in Paris war ein weltweit beachtetes Ergebnis. Auch Zimmerer aus dem Bildungszentrum Holzbau in Biberach haben einen kleinen Beitrag zur Erneuerung des Weltkulturerbes beigetragen. Bei der Rekonstruktion des Holzturms kam eine spezielle Planfräse zum Einsatz.

Der 400 Tonnen schwere Holzturm zerbrach im Feuersturm

Bei Restaurierungsarbeiten am hölzernen Spitzturm der Pariser Kathedrale Notre-Dame brach am Abend des 15. April 2019 aus ungeklärten Gründen ein Feuer aus. Es erfasste alle hölzernen Konstruktionen des Daches: die über 60 Meter hohe Eichenbohlenkonstruktion des Turmes und die Dachstühle der Querschiffe aus dem 19. Jahrhundert sowie die 800 Jahre alten Dachstühle von Apsis, Chor und Längsschiff. Als der rund 400 Tonnen schwere Holzturm über der Vierung von Quer- und Mittelschiff brennend zerbrach und auf die steinernen Gewölbe unter dem Dachstuhl stürzte, durchschlugen die schweren Eichenbohlen an mehreren Stellen die Kreuzrippengewölbe und trugen den Brand in das Innere.

Bild von Turm von Notre-Dame in Flammen

Das Feuer im Dachstuhl des Mittelschiffs droht auf das Westportal überzugreifen. (Foto: Guillaume Levrier)

Wiederaufbau von Notre-Dame in nur fünf Jahren

Nach Stunden intensiver Löscharbeiten stand das Wahrzeichen von Paris ohne Vierungsturm und Dach, schutzlos, mit von Löschwasser durchnässten Mauern, einsturzgefährdet und verrußt als traurige Ruine da. Frankreichs Präsident Macron versprach noch in der Nacht den Wiederaufbau. Später gab er das ehrgeizige Ziel einer Wiedereröffnung im Jahr 2024 vor. Und tatsächlich: Am 7. Dezember war es soweit!

Bild von Notre-Dame in Flammen

Der Dachreiter in Flammen. Das schmelzende Bleiblech der Abdeckung färbt den Rauch. (Foto: René Vivani)

Entscheidung für originalgetreue Rekonstruktion

Noch in der Nacht des Brandes entschieden die Gerüstbauer und Zimmerer des Unternehmens Le Bras Frères, die wegen der Restaurierung bereits vor Ort waren, erste Maßnahmen zur Abstützung einsturzgefährdeter Teile. Nach wenigen Tagen gab es eine provisorische Regenabdeckung für Chor und Schiff. In den folgenden Wochen und Monaten wurden die äußeren Strebebögen mit massiven Holzkonstruktionen unterstützt, ebenso Fenster und Gewölbebögen im Inneren. Im Juli 2020 fiel nach längeren Debatten die Entscheidung für einen Wiederaufbau der Dachstühle und des Turmes aus Eiche.

Bild von neuem Dachstuhl von Notre-Dame
Blick auf den Dachstuhl von Chor und Apsis, vom Gerüst rund um den Turm. (Foto und Titelbild: Bildungszentrum Holzbau in Biberach)

Wo die Besten der Besten arbeiten

Was danach geschah, beschreibt Zimmermeister Andreas Beck, Restaurator, Treppenbauer und Ausbilder im Bildungszentrum Holzbau in Biberach, mit Faszination und Begeisterung: „Die originalgetreue Restaurierung dieser Kathedrale ist ein Traum für jeden, der im Handwerk groß geworden ist. Die Logistik und Koordination des Projekts ist unglaublich, auch der Zeitraum von nur fünf Jahren, in denen die wichtigsten Arbeiten tatsächlich umgesetzt wurden.“

Bild von Vorstellung der Planfräse
Alle Beteiligten sind hochkonzentriert bei der Demonstration der Planfräse. (Foto: Bildungszentrum Holzbau in Biberach)

Absoluter Höhepunkt in einem Handwerkerleben

Am liebsten wäre Andreas Beck selbst in einem der beiden Teams aus exzellenten Zimmerern dabei gewesen, die vom französischen Staat den Auftrag erhielten, zum einen Turm und Dachstuhl des Querschiffs aus dem 19. Jahrhundert und zum anderen die mittelalterlichen Dachstühle über Mittelschiff, Chor und Apsis mit den jeweils historischen Arbeitsweisen und Materialien neu zu erschaffen. „Das ist ein absoluter Höhepunkt in einem Handwerkerleben. Da arbeiten die Besten der Besten aus den verschiedenen Gewerken und sind stolz, Teil dieses unglaublichen Projektes zu sein. Da will man dabei gewesen sein, selbst wenn man nur einen Holznagel an einem Balken einschlagen kann.“

Bild von Zimmerei in Frankreich
Auf Abbundböcken liegen die Balken für den Abbund über dem 1:1 Aufriss des Spitzturmes. (Foto: Bildungszentrum Holzbau in Biberach)

Eine Exkursion zur Abbundhalle für den Vierungsturm

Als verantwortungsbewusster Ausbilder blieb Beck aber in Biberach. Dort übertrug sich sein Interesse am Fortgang der Restaurierungsarbeiten auf die angehenden Zimmerer der Karl-Arnold-Berufsschule, die am Bildungszentrum ihre überbetriebliche Ausbildung absolvierten. Zum Abschluss der Berufsschule organisierten sie in ihrem dritten Lehrjahr eine Fahrt nach Frankreich, begleitet von Andreas Beck und seinem Kollegen Georg Göppel.

Der Holzgeruch war überwältigend

So stand Andreas Beck Mitte Mai 2023 vor der großen Halle in Val de Briey bei Metz, in der das federführende, auf die Restaurierung historischer Bauten spezialisierte Unternehmen „Le Bras Frères“ in Zusammenarbeit mit drei weiteren spezialisierten Zimmereien unter hohem Zeitdruck am Abbund der Konstruktion für den Vierungsturm arbeitete. „Die Tore öffneten sich und da lag Eichenholz über 30 Meter Breite in unvorstellbaren Mengen. Der Holzgeruch war überwältigend. Das ist ein Eindruck und Anblick, der ein Zimmerer-Herz höherschlagen lässt.“

Von links: Andreas Beck, Patrick Jouenne, Louis Stäbler und Georg Göppel an der Mittelsäule des Turms. (Foto: Bildungszentrum Holzbau in Biberach)

Unglaubliche Präzision beim Handabbund

Für die originalgetreue Rekonstruktion des Turms mussten 400 Kubikmeter Eichenbalken abgebunden werden. Die größten Teile für den Sockel des Turmes wogen zwölf Tonnen. „Bei einem Projekt dieser Größenordnung sowie der Verwendung von sägerauem Eichenholz lässt sich ein Abbund nicht so einfach mit einem CAD-Programm und CNC-Maschinen bewältigen,“ erklärt Andreas Beck. Die Überblattungen wurden nach Anriss von Hand millimetergenau eingesägt, ausgestemmt und mit Stoßäxten geglättet. Trotz Zeitdrucks und der sehr hohen Zahl von 2000 Verbindungen gab es keine Kompromisse bei der Genauigkeit. „Die Präzision der Verbindungen war unfassbar, einfach vom Besten. Das und der Stolz, mit dem dort gearbeitet wurde, haben mich sehr beindruckt,“ erklärt Andreas Beck.

Wertschätzung und Kollegialität

In der Halle begegnen Andreas Beck und sein Kollege Georg Göppel dem für Aufriss, Abbund und Aufbau von Spitzturm und Querschiff verantwortlichen Zimmermeister Patrick Jouenne. Er ist Mitglied des besonders hoch angesehenen französischen Handwerkerverbandes der Compagnons du Devoir und wurde 2011 zum besten Zimmerer Frankreichs gekürt. Die Neugier und die Wertschätzung, mit der die Zimmerer aus Deutschland der Arbeit ihrer französischen Kollegen entgegentreten, legt an diesem Tag den Grundstein für eine Freundschaft und einen produktiven Austausch über die Grenzen der Sprachen und Länder hinweg.

Franzosen kennen deutsche Planfräse nicht

Als sich die beiden Zimmermeister aus Biberach verabschieden, planen sie schon einen weiteren Besuch. Denn sie wissen jetzt, dass die Franzosen die Planfräse nicht kennen, die der deutsche Verband der Restauratoren im Zimmererhandwerk zusammen mit der Firma Mafell weiterentwickelt hat – und kollegiale Hilfe steht bei Andreas Beck und Georg Göppel hoch im Kurs.

Bild von Vorstellung der Planfräse für Notre-Dame
Mit der Planfräse gelang Andreas Beck ein kleiner Beitrag zu den Holzbauarbeiten für Notre-Dame. (Foto: Bildungszentrum Holzbau in Biberach)

Demonstration und Einsatz der Planfräse PF 80

Einen Monat später sind Andreas Beck und Georg Göppel mit drei Planfräsen und extra für diesen Anlass selbst entwickelten Prototypen verstellbarer Schablonen wieder für einen halben Tag vor Ort. Mitgebracht haben sie auch zwei Dolmetscher vom Fach, Louis und Georg Stäbler. So begreift das französische Team der Zimmerer um Patrick Jouenne nach einer Vorführung schnell die Einsatzmöglichkeiten der Planfräse. Mit dieser lassen sich Überblattungen einfacher und schneller anfertigen als mit der zuvor anwandten Methode. Mit Dank werden die deutschen Zimmerer verabschiedet, während zwei der Planfräsen sofort zum Einsatz in Val de Briey bleiben.

Schon am nächsten Tag schickt Patrick Jouenne Bilder von der Arbeit mit der Planfräse an der 60 Meter langen Mittelsäule des Vierungsturms. Das französische Unternehmen bestellt die kleine Maschine von Mafell gleich dutzendweise und kann durch ihren Einsatz substanziell Zeit einsparen. In den folgenden Wochen ertüfteln die französischen Zimmerer immer neue Anwendungsmöglichkeiten.

Einladung auf die Pariser Baustelle

Nach der fristgerechten Wiedererrichtung des Vierungsturms Ende November 2023 lädt Patrick Jouenne die Biberacher Ausbildungsmeister zum Dank für das Engagement nach Paris ein und zeigt ihnen am 15. Dezember ausgiebig die Jahrhundertbaustelle. Für Jouenne ist die Arbeit am Wiederaufbau von Notre-Dame das größte Glück seines beruflichen Lebens. Um als leitender Zimmerer auf der Baustelle arbeiten zu können, hat er alles auf eine Karte gesetzt. Er verkaufte seine eigene Zimmerei und arbeitete als Angestellter von „Le Bras Frères“ an der Bewerbung für den Auftrag, im Vertrauen, dass sein Team die Ausschreibung gewinnen würde. „Da ging es nicht um das günstigste Angebot“, betont Andreas Beck. „Da ging es, wie beim ganzen Wiederaufbau, nur um die höchste Qualität.“

Bild von Patrick Jouenne, Andreas Beck und Georg Göppel an der Turmspitze von Notre-Dame
Von links: Patrick Jouenne, Andreas Beck und Georg Göppel an der Turmspitze in Paris. (Foto: Bildungszentrum Holzbau in Biberach)

Die mittelalterlichen Dachstühle: „Der Wald“

Eine andere Gruppe von Zimmereien erhielt den Zuschlag für die Rekonstruktion der mittelalterlichen Dachstühle von Apsis, Chor und Mittelschiff. Unter den Zimmerern dieser Restaurierungsarbeiten sind Spezialisten für mittelalterliche Werkzeuge und Arbeitsweisen. Für jeden Balken dieser Dachstühle wurde wie vor 800 Jahren ein frisch geschlagener Stamm einer rund 60-jährigen Eiche verwendet. Daher kommt der Name dieser Dachstühle: „Der Wald“. Rund 1000 solcher Eichenstämme wurden mit Doloire-Äxten abgeviert, unter Beachtung des Faserverlaufs. Zusammengefügt wurden sie ausschließlich mit Holz/Holz-Verbindungen.

Massive Eichenstämme wurden für die Rekonstruktion des Holzturms gefällt. (Foto: David Bordes)

Feiern zur Wiedereröffnung

Mit der Wiedereröffnung am 7. Dezember ist eine wichtige Etappe der Restaurierung erreicht. Am Samstag vor dem 2. Advent hielt der französische Staatspräsident vor der Kathedrale seine Rede. Danach klopfte der Erzbischof von Paris mit seinem Bischofsstab an die Türen der Kathedrale und die Orgel erklang wieder. Am Sonntag konnten die Glocken von Notre-Dame zur ersten Messe nach dem Brand rufen.

Bild von Buntglasfenster in Notre-Dame
Beeindruckende Einblicke aus dem Inneren von Notre-Dame. (Foto: Bildungszentrum Holzbau in Biberach)

Restaurierung geht weiter und kostet 700 Millionen Euro

Die Restaurierung von Notre-Dame de Paris aber wird noch bis zum Ende des Jahrzehnts weitergehen. 700 Millionen Euro wurden dafür insgesamt veranschlagt. Die gesamte Summe wurde durch Spenden aufgebracht. Bis jetzt waren rund 2000 hochprofessionelle Spezialisten verschiedenster Gewerke und Berufe mit großem Stolz und Respekt an den Arbeiten beteiligt. Auch die Zimmerer aus Biberach sind glücklich, einen kleinen Beitrag geleistet zu haben.

Sie interessieren sich für spannende Holzbauprojekte? Dann lesen Sie unsere Geschichte über den neuen Plattenbau als serieller Holzbau.

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