Das Dachdecker-Modell mitbringen ins Klassenzimmer
24. Oktober 2019
Wenn der Dachdecker zur Schule geht
Die mangelnde Berührung von Schülern mit dem Handwerk ist gravierend und bleibt keineswegs auf die Gymnasien beschränkt. Auch an den Real-, Haupt- und Gesamtschulen muss und kann sich die sogenannte Berufsorientierung dem Handwerk gegenüber deutlich mehr öffnen. Einige Betriebe haben das Potenzial erkannt und gehen mit ihren Lehrlingen aktiv in die Schulen, um für ihr Gewerk Werbung zu machen. Und um in praktischen Übungen herauszufinden, wer das richtige Händchen mitbringt für eine Ausbildung zum Dachdecker. Dass solche lebensnahen Aktionen eine gute Orientierungsmöglichkeit für beide Seiten bedeuten können, hat auch Rudolf Cater erkannt. Er betreut das Projekt „Handwerk macht Schule“ im nordrhein-westfälischen Schmallenberg.
Dachziegeln und Hammer statt Infobroschüren
Orientierungsveranstaltung, Informationsblätter und Jobmessen gibt es viele. Was diesen Angeboten laut Rudolf Cater fehlt, ist die Möglichkeit für Schüler, sich unbefangen im vertrauten Klassenumfeld einmal ganz nah mit dem Handwerk auseinanderzusetzen. „Am Messestand sitzt dann vielleicht der Betriebsinhaber und gibt Informationen zu Rahmenbedingungen wie Ausbildungsdauer, Lohn oder eine Auflistung der jeweiligen Dienstleistung. Wie aber das Handwerk des Dachdeckers zum Beispiel im Alltag aussieht und sich anfühlt, kann man fast nur vor Ort auf der Baustelle herausfinden“, meint Cater.
Genau dort darf man mit einer Schulklasse aber allein aus Versicherungsgründen nicht hin. Als Projektleiter des Rotaryclubs in Schmallenberg setzte der gelernte Elektriker und spätere Geschäftsführer eines Industrieunternehmens sich daher mit der Frage auseinander, wie man das Handwerk lebensecht in die Schulen bringen kann – und startete mit Unterstützung ansässiger Betriebe und Schulen das Projekt „Handwerk macht Schule“.
Schüler legen selbst Hand an für den Aha-Effekt
Das Konzept hinter „Handwerk macht Schule“ ist einfach: Vertreter eines speziellen Gewerkes kommen an einem festen Termin in die Schule und bauen drei Arbeitsplätze mit jeweils unterschiedlichen, aber branchentypischen Arbeitsschritten auf. Der Dachdecker Franz Albers etwa brachte für das Projekt einen Wagen mit einem eigens errichteten Dachmodell mit zur Schule. Hier konnten die Schüler selbst ausprobieren, wie man Dachfolien verklebt, Schiefer bearbeitet und eine Dachrinne kantet.
Das ist konsequent, denn nur wer ein Handwerk im wortwörtlichen Sinn ausprobiert, kann eine entsprechende Berufswahl überhaupt ernsthaft ins Auge fassen. Zudem gehen die Schüler laut Cater im Klassenverbund eher aus sich heraus: „Vor den Schulfreunden und in der gewohnten Umgebung der Schule verlieren junge Menschen viel schneller ihre Hemmungen und gehen offen nach vorn. Innerhalb eines Praktikums unter den unvertrauten Mitarbeitern des Betriebs würden die wenigsten diese Spontanität zeigen.“
Das Image des Handwerks ist die größte Hürde
Bei der Zusammenarbeit mit den Schmallenberger Schulen hat Rudolf Cater gute Erfahrungen mit der Hauptschule gemacht. Sie versteht das Projekt als zusätzliches, attraktives Angebot, mit dem die Schüler in der Berufsorientierungsphase unterstützt werden. „Unserer Erfahrung nach sind die Schüler der achten Klasse genau die richtige Zielgruppe. In dieser Phase setzen sie sich ernsthaft mit der Frage nach einem konkreten Berufsziel auseinander“, berichtet Cater. Bei der Realschule und vor allem beim Gymnasium wurde das Projekt hingegen nicht mit offenen Armen begrüßt. Beide Schulformen definieren sich als Ausbildungsorte, die auf vermeintlich „höhere“ Bildungsziele abstellen.
Am Gymnasium sorgte man sich zudem um die Resonanz der Eltern. „Diese wollen offensichtlich nicht, dass die Schule auf etwas anderes als die Universität vorbereitet. Geht es nach dem Abitur in eine Lehre, könnte man der Schule nachsagen, das Bildungsziel verfehlt zu haben“, mutmaßt Cater. Auch hier zeigt sich ein schlechtes und völlig falsches Bild. Das Handwerk ist keine Sackgasse; nach der Ausbildung gibt es viele Weiterbildungen bis zum Meister mit der Perspektive eines eigenen Betriebs. Und Ausbildung kann auch in ein Studium münden – oft verlaufen Ausbildung und Studium sogar parallel.
Die Gleichstellung der beruflichen Bildung beginnt in den Köpfen
Es wissen immer noch zu wenige Menschen, dass Dachdecker und Zimmerer nicht nur Ziegel und Holzbalken von A nach B tragen, sondern die unterschiedlichsten Fachkenntnisse benötigen oder Photovoltaik und Aufmaße per Drohne machen. Damit die handwerkliche und akademische Ausbildung tatsächlich als gleichwertig angesehen werden, braucht es daher nicht nur politische Maßnahmen, sondern in großem Maße auch ein Umdenken in der Mitte der Gesellschaft. Vor allem Eltern und auch Lehrer gilt es überzeugen, dass auch das Handwerk interessante Berufe mit Perspektive bietet, dass auch praktische, körperliche Arbeit ihren Wert hat. Wenn sich das öffentliche Image verbessert, werden sich Schüler offener und zielstrebiger zu einer Lehre im Handwerk bekennen.
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