Sabrina Wollscheid: Vom Lehrling zur selbstbewussten Juniorchefin
31. März 2022
Sabrina Wollscheid, 29 Jahre jung, Dachdeckermeisterin in Dortmund-Brackel, übernimmt immer mehr Verantwortung im Betrieb Wollscheid Bedachungen, Mitglied der DEG Dach-Fassade-Holz eG. War das der Juniorchefin in die Wiege gelegt? „Mein Vater hat mich nie dahin lenken wollen“, sagt Sabrina Wollscheid. „Ich war frei in meiner Entscheidung.“ Doch die beruflichen Möglichkeiten hat der Vater ihr schon als Schülerin gezeigt. Er nahm sie ab und an mit ins Büro und auf Baustellen, jedoch ohne Druck. Denn schon damals war der Rat des Dachdeckermeisters: „Geh niemals mit Widerwillen zur Arbeit, sonst kannst Du sie nicht gut machen.“
Von nichts kommt nichts: der Weg zur eigenen Firma
Sabrina Wollscheid gefiel die Vorstellung eines eigenen Betriebs und schon früh stand die Firmenübernahme als Thema im Raum. „Wenn du daran Gefallen findest und die Verantwortung übernehmen möchtest, kannst du die Firma mit hochziehen“, bot ihr der Vater an. Als die Entscheidung Abitur oder Ausbildung anstand, ging die Schülerin zwei Wochen lang mit auf die Baustellen und machte zum Vergleich ein Praktikum im Kindergarten. „Dann ging die Tendenz klar zum Dach.“ 2009 beginnt Sabrina Wollscheid die Lehre im Betrieb des Vaters – der erste Schritt hin zum eigenen Betrieb.
Einzige Frau unter Männern: Sexismus und Konfliktbereitschaft
In der überbetrieblichen Ausbildung war Sabrina Wollscheid die einzige Frau. Sie erinnert sich: „Da kamen Sprüche, die waren so unter der Gürtellinie, teilweise auch sexistisch. Ich hab mir gedacht, ich kann da nicht nur stehen und grinsen.“ Die Berufswahl habe sich sehr stärkend auf ihre Persönlichkeit ausgewirkt, findet die Dachdeckerin. „Bis dahin war ich ein liebes Mäuschen, das nie den Mund aufgemacht hat. Mein beruflicher Weg hat mir gezeigt: ich muss in den Konflikt gehen und sagen, wenn mir was nicht passt.“
Für Respekt der Männer ihr gegenüber sorgt sie noch auf andere Weise: „Mir war wichtig, dass ich zeigen kann: nur weil du ein Typ bist, heißt das nicht, dass du mehr kannst. Ich hab mich nach dem Unterricht hingesetzt und gelernt.“ Bis heute lautet ihr Motto: „Von nichts kommt nichts. Wenn man was erreichen will, muss man sich dahinterklemmen.“
Meisterschule im Abendkurs nach der Arbeit
2012 schließt Sabrina Wollscheid ihre Gesellinnenprüfung bei der Dachdecker-Innung Dortmund und Lünen mit dem besten Ergebnis aller Lehrlinge ab – und erhält einen Förderpreis. Den Meisterkurs beginnt sie gleich im Anschluss. Statt einer kompakten Ausbildungszeit in der Meisterschule im sauerländischen Eslohe besucht die Gesellin nach der Arbeit Abendkurse. Es geht ihr um Selbstständigkeit und die Verantwortung im Betrieb.
„Mir war wichtig, nicht neun Monate am Stück weg zu sein und kein Geld zu verdienen. Privatleben war kaum, es war eine schwierige Zeit“, erinnert sich die Dachdeckermeisterin, die „megaglücklich vergeben“ ist und mit dem Mann an ihrer Seite inzwischen an Familienplanung denkt. Im Berufsalltag liebt Sabrina Wollscheid Flachdachabdichtungen, wegen der Vielfalt der verwendeten Materialien. Weitergebildet hat sie sich zudem als Gebäudeenergieberaterin.
Wer Respekt erwartet, muss respektvoll sein
Ihr Vater zieht sich inzwischen langsam zurück und so übernimmt die Juniorchefin mehr und mehr Verantwortung für den Betrieb mit rund zehn Mitarbeitenden. Unter ihnen gibt es einen Altgesellen, der Sabrina Wollscheid seit ihrem zweiten Lebensjahr kennt. Er hat sie aufwachsen sehen, ihre Anfänge als Lehrling begleitet und nun ist sie seine Junior-Chefin. Wie gelingt so ein Wechsel in den Rollen? „Mit Respekt für den Azubi genauso wie für den Altgesellen“, ist Sabrina Wollscheids Antwort. „Ich kann mich nicht hinstellen und in einem Ton reden, als wäre ich Wunders was für‘n Mensch. Wenn ich Respekt erwarte, muss ich respektvoll sein, auch wenn ich sage, was nicht passt.“
Engagement und Nachwuchssorgen
Sabrina Wollscheid liebt ihren Beruf und wirbt dafür auf Instagram und Facebook. „Eine Lehre ist so viel wert. Es gibt viele Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln: studieren, in die Industrie gehen, sich selbstständig machen. Man kann stolz sein, verdient gut, sieht, was man geschafft hat. Und so eine Dachdeckerprüfung ist kein Hexenwerk. Wer sich hinsetzt und lernt, kann das.“ Die Meisterin engagiert sich ehrenamtlich im Prüfungsausschuss der Dachdecker-Innung Dortmund und Lünen. Doch die Sorgen um den Nachwuchs sind groß.
Kaum einer will sich noch dreckig machen
In der Branche mangelt es an Bewerbungen auf die Lehrstellen. „Ich weiß nicht, woher das kommt: ob alle nur noch das Studieren gut finden oder das Nichtstun? Als hätten die Leute keine Lust mehr, raus zu gehen und sich dreckig zu machen“, rätselt Sabrina Wollscheid. Von den Lehrlingen, die im Spätsommer anfangen, seien im Februar nur noch 40 Prozent da, berichtet die Meisterin. „Wenn es schmuddelig und kalt wird, haben sie keine Lust mehr. Sie spielen lieber mit der Playstation oder wollen Influencer werden und ihr Essen fotografieren.“ Doch es gibt auch einen Hoffnungsschimmer: immer mehr Frauen, die sich für das Dachdeckerhandwerk interessieren.
Sie interessieren sich für Frauen im Handwerk? Dann lesen Sie unsere Story über die Vollblut-Dachdeckerin Miriam Dorny.