Dem Flachdach ins Mark geschaut
28. Juli 2022
Mit Dächern kennt sich der 39-jährige Christoph Schendel aus. Er ist nicht nur seit 18 Jahren Dachdeckermeister, sondern seit 2006 auch Inhaber des mittelständischen Familienunternehmens Aurnhammer in Neu-Ulm, Mitgliedsbetrieb der Dachdecker-Einkauf Süd eG. In vierter Generation arbeitet er daran, dass Dächer nicht nur schick, sondern vor allem dicht sind – und hier stehen vor allem Flachdächer traditionell im Fokus der Aufmerksamkeit und immer wieder unter Verdacht. Aus diesem entstanden in seinem Kopf nicht nur eine Idee sowie ein Produkt, sondern gleich das Techunternehmen smart roof solutions.
Neue Ideen rund ums Flachdach
Grundlage von diesem neuen Unternehmen ist das Vorhaben, Dächer automatisch mittels Sensoren zu überwachen, um Schäden zu vermeiden, Kosten einzusparen und die Umwelt zu schonen. Denn die neue Technologie reduziert die Anzahl der Schadensfälle und vermeidet so oft den Neuaufbau eines Dachs.
Schendel und ein Wirtschaftsinformatik-Student der Hochschule Karlsruhe haben für dieses anfänglich gemeinsam durchgeführte Projekt den Innovationspreis Seifriz gewonnen. Dieser wird seit über 30 Jahren verliehen und soll vor allem Innovationen und Wissenstransfer zwischen Handwerk und Wissenschaft belohnen.
Der Seifriz-Preis für Innovation
Der Verein Technologietransfer Handwerk verleiht den Seifriz unter Federführung des Baden-Württembergischen Handwerkstages in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftszeitschrift „Handwerk Magazin“. „[…] Seine Leistung liegt darin, diejenigen zusammenzubringen, die zu Innovationen beitragen können, also Wissenschaftler und Handwerker“, beschreibt Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Benannt ist der Preis nach dem Förderer des Handwerks, dem baden-württembergischen Staatsminister Adalbert Seifriz, wie auf der Homepage des Preises zu lesen ist.
Die grundlegende Idee des Preises ist simpel: Es gibt ein Problem, das Handwerk kann dies alleine nicht lösen. Dann kommt jemand auf eine Idee, doch die Umsetzung ist mitunter komplex und liegt abseits des bereits etablierten Spektrums eines Wirtschaftszweiges. Die Wissenschaft liefert begleitenden Wissensinput, das Handwerk trägt seine tüftlerisch-praktischen Fähigkeiten und den Zugang zum Markt bei. Heraus bei diesem wissenschaffenden Transfer kommt bestenfalls eine markttaugliche Idee.
Die Anfänge von smart roof solutions
Die derzeit jüngsten Preisträger stehen sinnbildlich hierfür: vom Problem, zur Idee fürs Produkt, dessen Entwicklung sowie schließlich zur Vermarktung durch smart roof solutions. Die Firma hat Christoph Schendel gemeinsam mit dem Riccardo Baral gegründet. Dabei handelt es sich um einem 36 Jahre alten, studierten Informatiker mit vieljähriger Erfahrung in der Softwareentwicklung, der ebenfalls Chef einer Digitalagentur ist. „Er ist eine unverzichtbare Unterstützung, nicht nur in Sachen Hardware und Software, sondern auch, was die Langfristigkeit des Projektes angeht“, erzählt Schendel vom inzwischen erreichten Zwischenziel auf einem Weg, an dessen Anfang Ärger mit Müll stand: „Styropor, diesen und andere Dämmstoffe wurde man generell nur noch schwer los“, erinnert sich der stellvertretende Landesinnungsmeister grob vier Jahre zurück.
Eine Frage des Zeitpunktes
Da sei die Frage aufgekommen: „Warum man eigentlich so viel Dämmstoff von Flachdächern entsorgen musste.“ Der Übeltäter ist hierbei stets Feuchtigkeit, die den Dämmwert des Materials derart reduziert, dass es unbrauchbar wird. „Wenn man aber den Augenblick abpassen kann, wo noch kaum oder am besten gar keine Feuchtigkeit in das älter gewordene Dach eingedrungen ist“, vollzieht Schendel rückblickend nach, „dann kann man die Wärmedämmung größtenteils oder sogar komplett retten und so gut und gerne 50 Euro pro Quadratmeter einsparen.“ Das grenzt nicht nur Kosten aufseiten des Kunden und Arbeit beim Betrieb ein, sondern schont auch die Ressourcen und hilft, die Umwelt zu bewahren. Doch wie konnte man den hierfür nötigen Blick ins Innere des Daches möglichst einfach gewinnen?
Bauphysik vorhanden – digitale Technik gesucht
„Mit Bauphysik, Dachdämmung und Verwandtem kenne ich mich aus“, weiß der Dachdeckermeister nur zu gut. „Doch Daten gewinnen, sie sammeln und sie auch noch auswerten“, da stoße man selbst mit durchschnittlichen IT-Kenntnissen an seine Grenzen. „Hinzu kam auch noch die verschlüsselte Übertragung der Daten per Funk“, ergänzt Schendel. Deshalb kam die Hilfe von der Hochschule Karlsruhe sehr gelegen und der Kontakt kam über die Hightech-Initiative des Landes Baden-Württemberg – den Verein bwcon – zu Stande.“
Letzten Endes stand das funktionierende Konzept: Die von den Sensoren erhobenen Daten sind abseits der Batteriespannung zur Wartung des Gerätes an sich: Temperatur auf der Dampfsperre, freies Wasser darauf und die Außentemperatur. Diese Werte werden in einem zentralen IoT-Betriebssystem gebündelt. Beim IoT (Internet of Things – Internet der Dinge) werden physische Objekte mit Sensoren und Software ausgestattet, um untereinander Daten austauschen zu können. Die Sammlung wird wiederum über ein integriertes Dashboard zur Auswertung zur Verfügung gestellt.
Sieben Euro pro Quadratmeter
Ein Sensor schlägt mit etwa 7 Euro pro Quadratmeter zu Buche. Hinzu kommt eine monatliche Gebühr für das Portal zur Datenauswertung. Für ein typisches Flachdach von etwa 200 Quadratmeter Fläche müsse man meist ein bis zwei Sensoren aufbauen. Dies hänge aber auch sehr stark von der genauen Art des Daches, seines Aufbaus, der verbauten Materialien und diverser anderer nur am Einzelfall und den Anforderungen ausgerichteter Faktoren ab. „Wir unterstützen unsere Kunden langfristig bei der Auswertung aller aufgezeichneten Daten“, erklärt Schendel. Allerdings laufe viel auch automatisch anhand von im Vorfeld festgelegten Parametern und damit verbundenen Alarmfunktionen ab. „Es spielen eben auch Erfahrungswerte mit verschiedenen Dämmstoffen sowie eventuell vorhandene Begrünungen eine entscheidende Rolle“, erläutert der Dachdeckermeister.
Normal versus intelligentes Flachdach
Er kennt die Standard-Erfahrung auf und mit einem undichten Flachdach nur zu gut: „Man kommt hin, findet Undichtigkeiten, macht das Dach auf, entsorgt altes Material, repariert undichte Stellen und macht es mitsamt neuer Dämmung zu. Ohne Blick ins Innere beginnt dann das bange Warten: „Hat man alle Stellen erwischt und bleibt es darunter trocken?“, kennt Schendel nur zu gut die Phase danach. „Aber mit eingebauten Sensoren bekommt man eine Rückmeldung – der Feuchtigkeitsgehalt muss sinken, sensorbasierte Rücktrocknung heißt das.“ Ist die im Nachgang überwachte Reparatur gelungen, folgt eine hoffentlich lange Phase der steten Kontrolle per Echtzeitdaten aus dem Mark des Dachkörpers.
Das Techunternehmen smart roof solutions
„Wir sind ein reines Techunternehmen für Dachsensorik“, zieht Christoph Schendel eine klare Trennlinie zwischen seinem Familienbetrieb Aurnhammer und der Neugründung. Man verbaue die Sensoren zwar natürlich auch hier, aber Kunde könne „jeder Dachdecker werden, der nachhaltig denkt.“ Die Zielbranche sind seine Kollegen, die die Dächer Deutschlands möglichst ressourcensparend bei gleichzeitig hohem handwerklichen Anspruch dichthalten wollen.
Photovoltaik und Gründach – besondere Herausforderung fürs Flachdach
Dächer werden immer häufiger mit Begrünung oder Photovoltaik belegt. Dies ist zwar gut für die Umwelt, erschwert aber die in Augenscheinahme von Dachabdichtungen. „Ab dem 1. Januar 2023 gilt in Baden-Württemberg die PV-Pflicht auch bei grundlegenden Dachsanierungen“, nennt Schendel für sein Bundesland als Stichdatum. Denn in diesem Zuge sei davon auszugehen, dass neue Akteure auf den Dächern aktiv werden, die nicht alle vollends mit dem Regelwerk des deutschen Dachdeckerhandwerks vertraut sind und teilweise auch die entsprechende Sorgfalt im Umgang mit der Dachabdichtung vermissen lassen“, erklärt er. Deshalb sei es sinnvoll, das Dachschichtenpaket beim Einbau von Photovoltaik-Anlagen dauerhaft zu überwachen, um notwendige Maßnahmen im Nachgang zeitnah ergreifen zu können und die rechtliche Beweisführung zu erleichtern.
Serienreife erreicht
„Die Nachfrage dürfte noch höher sein“, gesteht Christoph Schendel, gefragt nach dem aktuellen Kundenstamm, ein. „Aber wir sind auch erst seit Kurzem in Serienreife.“ Die ersten hundert Sensoren nach diesem eigenen Standard der ersten Generation seien aber inzwischen hergestellt und könnten verkauft werden. Entworfen wurden diese – ebenso wie die Prototypen – in Deutschland und gefertigt wird im EU-Ausland.
Schendel wirbt abschließend: „Wir als smart roof solutions GmbH helfen Dachdeckern dabei, Baustellenprozesse zu optimieren, Arbeitsschritte zu vereinfachen und die Kundenbeziehung smarter zu gestalten.“ Die optimale Datenverfügbarkeit und -hoheit für den Dachdecker habe dabei höchste Priorität und das alles unter der Prämisse einer gesteigerten Ressourceneinsparung.“
Sie interessieren sich für moderne Flachdächer? Dann lesen Sie unsere Story über 11000 Quadratmeter an Fläche, die nahe Bremen mit Solarmodulen ausgestattet worden sind.
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