Dachdecker will doch auch Zimmerer ausbilden
17. Dezember 2019
Im Handwerk Nachwuchs zu finden, ist schwer. Noch schwerer ist es, potenzielle Azubis für das Dachdecker- oder das Zimmererhandwerk zu begeistern. Thomas Gutwin, Zimmerer- und Dachdeckermeister aus dem westfälischen Landkreis Soest, ist das gelungen, worum ihn viele andere Gewerke und Betriebe beneiden. Er bildet einen Dachdecker- und einen Zimmererlehrling aus. Soweit, aber nicht so gut. Die Sozialkassen des Dachdeckerhandwerks (Soka-Dach) und des Zimmererhandwerks (Soka-Bau) fördern zwar die Ausbildung mit nicht unerheblichen Zuschüssen. Doch wie so oft steckt bei der Bewilligung dieser Zuschüsse der Teufel im bürokratischen Detail, hier der jeweiligen Zuständigkeit.
Dachdecker würde auch mehr Beitrag in Sozialkasse zahlen
Nach seinen überwiegenden Tätigkeitsbereichen ist Gutwin der Soka-Dach zugeordnet und zahlt dort Beiträge. Dafür bezuschusst diese Soka auch die Ausbildung des Dachdecker-Azubis. Zu den Förderungen gehören Zuschüsse zur überbetrieblichen Ausbildung, sieben Gehälter im ersten, fünf Gehälter im zweiten und ein Gehalt im dritten Ausbildungsjahr. Denn das Ausbilden kosten nun mal richtig Geld.
Noch mehr Kosten entstehen für die Zimmererausbildung. Entsprechend höher sind auch die Förderungen der Soka-Bau. So werden zehn Gehälter im ersten, sechs Gehälter im zweiten und ein Gehalt im dritten Ausbildungsjahr erstattet. Hinzu kommen Förderungen für die überbetriebliche Ausbildung und in Höhe von 20 Prozent für den Sozialaufwand.
Dachdecker muss auf volle Förderung für den Zimmerer-Azubi verzichten
Auf einen Teil der höheren Ausbildungsförderung des Zimmererlehrlings muss Thomas Gutwin, weil beitragspflichtig für die Soka-Dach, jedoch verzichten und diesen aus eigener Betriebstasche zahlen. „Absolut ungerecht, wo doch alle den Nachwuchsmangel beklagen“, so Gutwin. Zwar übernimmt Soka-Dach auf dem Kulanzweg einen Teil der Aufwendungen. Nachzulesen auf der dortigen Website: „Bei gewerkfremden Berufen erstattet Soka-Dach kulanterweise die Kosten der überbetrieblichen Unterrichtung in nahezu dem Umfang, der im Tarifvertrag Berufsbildung für die Dachdeckerausbildung vorgesehen ist. Allerdings gibt es folgende Einschränkungen: Pro Ausbildungstag werden derzeit, Stand 2019, höchstens 55 Euro und bei Internatsunterbringung maximal 28 Euro für Kost und Logis erstattet. Außerdem können höchstens 75 Kurstage abgerechnet werden.“
Dachdecker würde freiwillig in die Soka-Bau eintreten
Thomas Gutwin wäre sogar bereit, freiwillig in die Soka-Bau einzutreten und mehr Beiträge zu zahlen als bisher in die Soka-Dach. Doch das lassen die Tarifverträge nicht zu. Über die Zugehörigkeit entscheidet allein der Schwerpunkt der betrieblichen Tätigkeit. Und das ist beim Zimmerer- und Dachdeckerbetrieb Gutwin nun mal das Dachdecker-Handwerk.
Der Tarifvertrag regelt die Zuordnung allein nach betrieblichem Schwerpunkt, was bereits in zahlreichen Gerichtsverfahren festgestellt wurde: „Wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst sowie handels- und gewerberechtliche Kriterien sind hingegen nicht maßgeblich“ (Urteil des BAG vom 14.12.2011; Az.: 10 AZR 570/10; Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 18.04.2013; Az.: 5 Sa 1071/12). Das bestätigt auch die Soka-Dach auf Nachfrage der Redaktion. Ebenso wird es bedauert, dass es hier kein „Ausgleichsverfahren zwischen beiden Sozialkassen“ gibt. Das liege nur in der Hand der Tarifpartner. Die Sozialkassen seien ausschließlich ausführende Organe.
Alle bisherigen Versuche des Dachdecker- und Zimmerermeisters, auch für seinen Zimmerer-Azubi die volle Förderung zu erhalten, waren bisher erfolglos. „Die einzige Kompromisslösung wäre, den Zimmerer-Azubivertrag in beiderseitigem Einvernehmen aufzulösen und den Zimmerer-Azubi zum Dachdecker-Azubi zu machen“, erinnert sich Gutwin an einen eher verzweifelten Lösungsvorschlag seiner Kreishandwerkerschaft. Doch das will er nicht, sondern lieber in beiden Gewerken für Nachwuchs sorgen.
Regelungen im Tarifvertrag überdenken
Offenbar sind auch die Mühlen der Tarifpartner noch auf einem etwas überholten Stand. Heute beschäftigen viele Dachdecker-Betriebe Zimmerer und umgekehrt. Dachhandwerker wie Gutwin sehen zurecht keine Trennung mehr zwischen den beiden Gewerken. Doch in der Welt der Tarife und Sozialkassen ist diese veränderte Realität noch nicht angekommen. Vielleicht ist es an der Zeit, bei den nächsten Tarifverhandlungen hier ein zeitgemäßes Ausgleichsverfahren in Sachen Ausbildung zu finden.
Für Thomas Gutwin wird eine ausgleichende Lösung, so sie denn wirklich kommen mag, zu spät kommen: „Mein Mehraufwand für die Zimmererausbildung von rund 16.000 Euro werde ich wohl selbst tragen müssen.“ Ob er auch in Zukunft Zimmerer ausbilden wird, weiß er daher noch nicht. Schade – denn den Luxus, auf Ausbildung von Dachdeckern und Zimmerern zu verzichten, können sich beide Gewerke nicht mehr leisten.
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