Faktor 3,5: Wie Dachdecker schwarze Zahlen schreiben
4. Februar 2020
Eigentlich kommt der nordrheinische Vorsitzende Raban Meurer ja aus der pädagogischen Ecke, hatte er doch über zwei Jahrzehnte im Vorstand des Landesverbandes den Bereich Berufsbildung entscheidend geprägt. Sein „heimliches Steckenpferd“ sei daneben immer die Betriebswirtschaft gewesen, outet Thomas Schmitz, Geschäftsführer des Dachdecker-Verbandes Nordrhein, seinen Vorsitzenden. „Raban Meurer hat auch als Mitglied des betriebswirtschaftlichen Ausschusses des Zentralverbandes des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) bereits sehr früh die Notwendigkeit von auskömmlichen Stundenverrechnungssätzen angemahnt.“
Dachdecker-Innung Düsseldorf gibt finalen Anstoß für Kampagne
Doch der letztlich auslösende Anstoß für die Kampagne „3,5 für schwarze Zahlen“ kam dann aus der Innung Düsseldorf. Der dortige Obermeister Andreas Braun wollte endlich einmal das Thema Betriebswirtschaft aufgreifen und nicht immer nur die Fachtechnik, erinnert sich Schmitz. „Andreas Braun ist in seinem Betrieb eben auch ein Kalkulator und Geldmensch im positiven Sinne.“ Eben einer, der mit unternehmerisch spitzem Bleistift wirklich alle betrieblichen Kosten einbezieht, um seinen Stundenverrechnungssatz zu ermitteln. Das sei laut Schmitz längst nicht bei allen Betrieben der Fall. „Oft sind Stundenverrechnungssätze ein Zuschussgeschäft.“
Mit seinem Kollegen Bernd Redecker konzipierte Schmitz zwei unterschiedliche, leicht verständliche Vortragsansätze zum Stundenverrechnungssatz für die Düsseldorfer Innung. Aus beiden zusammen wurde die Kampagne „3,5 für schwarze Zahlen“ geboren. Landesinnungsmeister Meurer entschied dann, die Kampagne auf dem Landesverbandstag 2019 offiziell vorzustellen. Sie hat Gewicht, denn Nordrhein ist der größte Verband im ZVDH mit rund 1.500 Mitgliedsbetrieben und einem hohen Organisationsgrad von 77 Prozent.
Dachdecker Nordrhein wollen zum Nachdenken über Preise anregen
„Wir wollen zum Nachdenken anregen sowie einen Prozess initiieren und weiterführen“, berichtet Schmitz. Der Zeitpunkt ist gut gewählt, denn die Auftragsbücher der Dachdecker sind prall gefüllt. „Wenn nicht jetzt, wann wollen die Betriebe dann wirklich auskömmliche Preise durchsetzen“, fragt Schmitz völlig zurecht. „Wir wollen die Qualität und den Wert der Dachdecker-Arbeit in den Mittelpunkt stellen.“ Klar werden viele Betriebsinhaber sagen, dass dies wegen der Konkurrenz Wunschdenken sei.
Doch auf der anderen Seite machen sich viele Chefs auch etwas vor, wenn sie nur auf volle Auftragsbücher um jeden Preis setzen, statt auf volle Betriebskonten, die es ermöglichen eine gesunde Eigenkapitalquote zu erreichen. In einen auskömmlichen Stundenverrechnungssatz gehören neben dem Gesellenlohn die tariflichen, gesetzlichen und freiwilligen Sozialaufwendungen, wie etwa 13. Gehalt, Beiträge zu Sozialversicherungen oder Fahrgeld, die betrieblichen Gemeinkosten sowie der Unternehmerlohn und der Aufschlag für unternehmerisches Risiko, der Gewinn.
Ehrlichkeit bei der Preiskalkulation ist die Basis
Für Thomas Schmitz ist hier Ehrlichkeit gefragt. Wenn ich also als Chef mal mein Gehalt durch die tatsächlichen Stunden teile, die ich in der Woche, am Wochenende und an Feiertagen arbeite: Was bleibt dann noch als Stundenlohn, und ist der angemessen für die Verantwortung und den Aufwand? Habe ich dann selbst mehr als den Mindestlohn? Beim Unternehmerlohn muss auch genug Spielraum drin sein, um die persönliche Altersvorsorge zu bestreiten. Da gibt es einige Chefs, die lieber nicht so genau nachrechnen. Und zu viele Inhaber verlassen sich darauf, dass sie die Rente über einen Betriebsverkauf finanzieren können.
Da ist das Erwachen manchmal böse. Schmitz zitiert dazu Fakten. Das Bundesarbeitsministerium hat für 2017 ermittelt, dass ein Handwerker nach dem 65. Lebensjahr durchschnittlich gerade mal 1.300 Euro netto zur Verfügung hat. Und wie sieht es mit dem Gewinnaufschlag aus, fällt der nicht oft zu gering aus oder ganz unter den Tisch? Hier geht es auch um den Aufbau von Eigenkapital, etwa für Investitionen. Zudem ist ein Betrieb, der gute Gewinne erwirtschaftet, sehr viel attraktiver für eine Nachfolge.
Dachdecker: Auskömmlicher Stundenverrechnungssatz über 60 Euro
Wenn also alle betrieblichen Kosten angemessen in den Stundenverrechnungssatz einfließen, wo landet man dann? Für Schmitz lautet die einfach zu behaltende und überschlägige Formel im Idealfall Bundesecklohn mal Faktor 3,5, wie es aus anderen Gewerken bekannt ist. Unlängst wieder von der Handwerkskammer zu Köln für das SHK-Handwerk ins Spiel gebracht. Dieser Faktor ist also keine Erfindung der Dachdecker in Nordrhein, sondern eine bekannte Größe unter Betriebswirtschaftlern. Mit dem gezückten Taschenrechner kommt man dann auf 66,92 Euro als Stundenverrechnungssatz.
Wahnsinn, werden viele Chefs sagen? Vielleicht ist so ein Sprung am Anfang zu viel. Realistisch sollte man aber laut Schmitz mit dem betrieblichen Mittellohn als Basis starten. Der falle geringer aus als der Bundesecklohn, weil auch Helfer und Azubis mit eingerechnet werden. Dennoch: Auch andere Experten zweifeln, ob sich unter 60 Euro pro Stunde die Arbeit für Handwerker kostendeckend anbieten lässt. In einem Artikel der Deutschen Handwerkszeitung online vom 27. August 2019 errechnete Rolf Koch, Betriebsberater der Handwerkskammer Mannheim, für ein Metallbaubetrieb mit fünf Mitarbeitern bei ähnlichem Bundesecklohn einen Stundenverrechnungssatz von 57,74 Euro. Der würde aber gerade mal so, ohne Spielraum für Rücklagen und Preisnachlässe, zum Überleben reichen.
Kampagne könnte bundesweit als Türöffner wirken
„Wir stehen auch in engem Kontakt zum Unternehmerverband Handwerk in Nordrhein-Westfalen, in dem Raban Meurer Vorstandsmitglied ist. Dort sieht man das Thema ebenfalls als sehr dringend an“, erläutert Schmitz. Auch bei einigen Dachdeckern sei die Kampagne 3,5 schon angekommen und stoße auf positives Feedback. Zudem würden laut Raban Meurer erste Landesverbände die Kampagne als sinnvolle Unterstützung sehen, um das wichtige Thema „ Ermittlung und Kontrolle nachhaltiger Stundenverrechnungssätze“ offensiver anzugehen. So nutze etwa der Landesverband Schleswig-Holstein die von Thomas Schmitz konzipierten Innungs-Vorträge zum Thema bereits für eigene Veranstaltungen.
Mal sehen, ob die Kampagne von weiteren Landesverbänden und dem ZVDH aufgegriffen wird. Die dortige betriebswirtschaftliche Abteilung sei unter der Leitung von Felix Fink bestens besetzt und erstelle exzellente Materialien und Hilfsmittel für die Berechnung des Stundenverrechnungssatzes, sagt Schmitz. „Hier könnte dem niedrigschwelligen Faktor 3,5 eine entscheidende Schlüsselposition zukommen. Hätten Betriebe diesen verinnerlicht, könnten sie mit den Tools des ZVDH ins Feintuning eintreten.“
Ortsüblichen Stundenverrechnungssatz anonym über Innungen ermitteln
Um den Betrieben Mut für kostendeckende Preise zu machen und dem Unwesen mancher Sachverständiger entgegenzutreten, nach Elementarschäden Tiefstpreise als ortsüblich anzusetzen, gibt es laut Schmitz ein probates Mittel. Innungsbezogen könnten die Betriebe anonym ihren Nettostundenverrechnungssatz melden. Der dabei gewonnene Mittelwert sei sehr wertvoll. „Darauf kann sich dann jeder Betrieb aus dem Innungsbezirk beziehen, weil dieser Stundenverrechnungssatz grundsätzlich als ortsüblich anzusehen sein. Kein Betrieb müsse also mehr befürchten, dass ein Gutachter ihm das Gegenteil vorwirft. „Bei einem derart hohen Organisationsgrad wie in Nordrhein würde es einem Sachverständigen schwer fallen, einen anderen Stundenverrechnungssatz als ortsüblich zu beweisen“, erläutert Schmitz. Und für jeden einzelnen Betrieb ist der gewonnene Mittelwert zudem ein gutes Regulativ, was die Auskömmlichkeit der eigenen Kalkulation angeht.
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