Berliner Dachdecker-Lehrlingen mangelt es an Qualität
15. Februar 2022
Das Dachdecker Bildungszentrum in Berlin beherbergt hinter seinen gläsernen Fassaden enormes Potenzial für das Handwerk der Zukunft: öffentlich geförderte Digitalisierungsprojekte und Rekordnachwuchszahlen sei Dank. Doch den jungen Menschen mangele es leider an der einst gewohnten Ausbildungsreife, bedauert Schulleiter und Geschäftsführer in Personalunion, Ruediger Thaler. „Das ist sehr unbefriedigend.“
50 Prozent der Auszubildenden fallen durch die Prüfung
Der anhaltende Trend setzt Ruediger Thaler zu. Dabei gäbe es für ihn als Geschäftsführer der der Landesinnung des Berliner Dachdecker-Handwerks auch viele Gründe zur Freude. Es gibt so viele Auszubildende wie nie zuvor, Fortschritte bei der Digitalisierung und volle Auftragsbücher für die Mitgliedsbetriebe, die in Zeiten des Klimaschutzes obendrein mehr denn je gebraucht werden. Und doch, Thaler weiß: „Wir haben hier echte Probleme.“
Die Quote der bestandenen Prüfungen sinke seit Jahren. „Fast 50 Prozent der Auszubildenden sind zuletzt durchgefallen, das ist zu viel“, klagt der 65-Jährige. „Doch daran ist nicht die Ausbildung schuld, weder die bei uns durch unsere fünf Meister noch die in den Betrieben.“ Für ihn ist die Schuldfrage glasklar zu beantworten: „Es mangelt den Dachdecker-Lehrlingen an Qualität.“
Fundamentale Lücken bei Motivation und Vorwissen
Körperlich gebe es bei den Lehrlingen die geringsten Probleme. „Es ist alles andere“, holt Thaler aus. „Sie sind teils nicht richtig motiviert, geistig überfordert oder es mangelt an Vorwissen aus der Schule.“ So komme alles Mögliche zusammen. „Mathematik, Rechtschreibung, Grammatik, die Liste ließe sich fortsetzen. Da sind fundamentale Lücken vorhanden und diese können wir hier nicht schließen“, sagt er. Dafür fehle ihm schlicht Zeit und Personal.
Im dritten Anlauf schaffen die meisten Lehrlinge die Prüfung
Deshalb könne auch die Dachdeckerschule in Berlin nur das Beste aus dem machen, was dort ankommt. „Wir bieten aber natürlich Nachhilfe- und Auffrischungskurse an“, erläutert Thaler mit Blick auf die möglichen Wiederholungsprüfungen für einen jeden Lehrling, der im ersten Anlauf durchfällt. Zweimal könne man sich das leisten. Wer es beim dritten Mal nicht schafft, sei raus. „Zum Glück gelinge es den meisten seiner Schützlinge, dieses Schicksal zu vermeiden, sodass sich das Dachdeckerhandwerk über reichlich Nachwuchs freuen kann. „Wir eilen von Rekord zu Rekord. Wir sind zum ersten Mal seit über 20 Jahren wieder über 300 Lehrlinge im Haus.“
Wunsch nach mehr Frauen als Dachdecker-Lehrlinge
Die Dachdecker stemmten gegen den Trend der oft beklagten, sinkenden Ausbildungszahlen im Handwerk. „Da sind wir sehr stolz darauf.“ Denn laut Thaler sei dies auch auf die erfolgreiche Nachwuchswerbung in den sozialen Medien zurückzuführen. Allerdings stellen Frauen weiterhin nur ein oder zwei Prozent in jedem Jahrgang. „Wenn aber welche dabei sind, klappt das sehr gut“, ist der Schulleiter zufrieden. „Die Jungs sind sogar oft motivierter, wenn eine Frau mit im Kurs ist.“
Dachdecker als Berufsgruppe bestens organisiert
Ruediger Thaler ist seit 1995 beim Berliner Verband – zuerst als Geschäftsführer, später dann auch als Schulleiter. „Es mussten Kosten eingespart werden“, erklärt er heute die Annahme dieser Doppelrolle vor etwa 15 Jahren. Vor seiner Zeit in Berlin war er als studierter Jurist mit zwei Staatsexamen bei der Kreishandwerkerschaft in Ravensburg als Geschäftsführer angestellt. Hierüber lernte er etliche Dachdeckerinnungen in Deutschland kennen und die Berufsgruppe als Ganzes besonders zu schätzen. „Die Dachdecker sind von allen Handwerkern in Deutschland am besten organisiert.“ Als es ihn dann „raus in die große und weite Welt zog“, wie er sagt, führte ihn sein Weg quasi selbstverständlich in die Branche, der er bis heute die Treue hält.
Auch bei Meisterkursen steigt die Durchfallquote
Die zweite der drei Säulen des Dachdecker Bildungszentrums sind die Meisterkurse in Vollzeit von September bis Mai im Folgejahr statt. Früher gab es auch Abend/Wochenendkurse über zwei Jahre, „aber die haben wir eingestellt“, so Thaler. „Die Schüler sind teilweise eingeschlafen.“ In Vollzeit laufe es besser und es sei für alle angenehmer. Doch das ständig nachlassende Niveau beginne sich auch bei den angehenden Meistern auszuwirken. „Hier sind es aber bislang nur zwischen 30 und 35 Prozent, die durchfallen.“
Helferkurse als positive Ausnahme
Die Akteure der dritten Säule fallen hingegen positiv auf: Die Helfer. Die finanziell geförderten Kurse „vom Helfer zum Gesellen“ laufen über die Schlechtwetterzeit im Winter. Es können alle teilnehmen, die bereits Vorerfahrungen im Beruf gesammelt haben, aber aus welchen Gründen auch immer bisher keinen Abschluss als Dachdecker besitzen“, erklärt Thaler. „Hier haben wir eine Durchfallquote von maximal zehn Prozent, die oft auch älteren Teilnehmer sind extrem motiviert.“ Jeder begreife, welche Chance sich ihm hier biete.
Digitalisierung der Dachdeckerschule schreitet voran
Ein Herzensprojekt von Ruediger Thaler ist die Digitalisierung der Schule. So sollen mit öffentlicher Förderung baustellengeeignete Tablets angeschafft werden, die weder Staub noch Wasser fürchten müssen. „Das ist nicht nur in unseren Lehrwerkstätten wichtig, sondern übt auch gleich für den realitätsnahen Einsatz auf dem Bau“, begründet er. Und gemeinsam mit den neuen, je 96 Zoll großen LCD-Smartboards, die ebenfalls für Klassenzimmer und Lehrwerkstätten bestellt sind, soll so der erste große Schritt hin zum rein digitalen Lernen abseits der Werkstücke getan werden. Die digitale Technik zum Unterricht in den Lehrwerkstätten ist zudem ganz neu, bisher musste immer mal wieder in die Theorieräume gewechselt werden, um sich Unterlagen anzuschauen.
Smartboards und Drohnen
Mithilfe von Kameras und einer Drohne möchte die Dachdeckerschule zudem in Zukunft das zeitgemäße Ausmessen und die moderne Arbeit auf einer Baustelle im Unterricht nachstellen. Doch bis die Smartboards und Tablets da sind, wird es noch eine Weile dauern – dem weltweiten Chipmangel geschuldet. Die Drohne hingegen ist bereits im Einsatz.
Zudem sollen Daten über die Cloud ausgetauscht werden. Dies bedeutet, dass Lehrstoff einfach vor- sowie nachgeholt werden kann. „Vor allem Lernschwache und Lernstarke profitieren davon, da beide Gruppen mehr Kontrolle über ihr Lerntempo erhalten“, beschreibt Thaler. „Irgendwann wollen wir dann komplett papierlos arbeiten, also auch bei Prüfungen und bei Berichtsheft, steckt er als Ziel ab.
Mehr Arbeit mit weniger Dachdeckern bewältigen
Der Anstoß zur Digitaloffensive wird wohl sein letztes großes Projekt im Amt sein: 2023 wird er in Rente gehen. Aber sein Erbe wird die Schule in die kommenden Jahrzehnte begleiten – und die werden nicht einfach. „Die anstehenden Verrentungswellen werden unsere Branche mit voller Wucht treffen“, blickt der Schulleiter voraus. Trotz guter Ausbildungszahlen werde man den Wegfall nicht kompensieren, geschweige denn Personal aufstocken können. „Wir werden also mehr Arbeit mit weniger Menschen zu erledigen haben“, bringt er es mit Blick auf die anstehenden Sanierungs- und Photovoltaikpflichten für sich auf den Punkt.
Neue Geschäftsbereiche für Dachdecker kommen hinzu
„Das macht uns Sorgen und wird unsere Auftragslage grundlegend verändern.“ Denn man werde nicht nur mehr, sondern auch in heute noch eher unterrepräsentierten Geschäftsbereichen – wie Beratung zu Solaranlagen, Energiespeichern und Fördermöglichkeiten – geschultes Personal brauchen. „Kurzum: Wir würden uns über die guten Auftragsaussichten noch mehr freuen, wenn die Betriebe nicht heute schon überlastet wären und wir mit der Aus- sowie Weiterbildung nicht jetzt schon kaum hinterherkommen würden“, urteilt Ruediger Thaler.
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