Dachdeckermeisterin kann auch exzellente Torten backen
10. August 2021
Als Dachdeckermeisterin Janina Kitchen in diesem Jahr als Jahrgangsbeste die Meisterschule am BBZ Mayen abschloss, war das eine echte Überraschung – zumindest für die 29-jährige Mannheimerin selbst. Denn büffeln liegt der bekennenden Praktikerin eigentlich eher weniger. Wieso sie trotzdem zu Deutschlands besten Dachdeckerinnen gehört? Weil sie Ehrgeiz hat und den frauenfeindlichen Ansichten mancher Mitschüler und Kollegen vor allem eines entgegensetzt: gute und saubere Arbeit.
Auch die Sprücheklopfer erkennen ihre Leistung an
Ihre gute Laune lässt sich Janina Kitchen von Vorurteilen und Sprüchen nicht trüben. Sogar für die ehemaligen Mitschüler findet die bescheidene Dachdeckerin noch freundliche Worte. „Ich habe das den Jungs angerechnet, dass sie mir hinterher doch offen und ehrlich zu meinem Abschluss als Beste der Meisterklasse gratuliert haben. Auch die größten Sprücheklopfer waren dabei und konnten die Leistung anerkennen.“ Dabei hatte die schlagfertige Dachdeckermeisterin nie vor Klassenbeste zu sein. Ihr selbst erklärtes Ziel war: „Möglichst viel Wissen mitzunehmen, solange ich die Gelegenheit habe.“
Nach der Schule erste Ausbildung als Konditorin
„Das Handwerk hat mich gleich nach der Schule gereizt, besonders Dachdecker und Konditor“, erzählt Janina Kitchen. Berührungspunkte gab zu beiden Gewerken. Die Tante ist gelernte Konditorin, der Onkel Dachdeckermeister. Dass Kitchen zunächst der Laufbahn der Tante folgte, lag vor allem an den Eltern. „Meine Eltern, besonders mein Vater, konnten sich mich einfach nicht in der Männerdomäne auf dem Dach vorstellen. Also habe ich mit 16 zunächst eine Ausbildung zur Konditorin gemacht“, berichtet die heutige Dachdeckerin. Und nach der Lehre arbeitete sich zunächst auch als Konditorin, in Deutschland und eine Weile auf der Kanalinsel Jersey.
Ein Jahr in Schottland gelebt und gearbeitet
Später lebte und arbeitete die Dachdeckermeisterin ein Jahr lang in Schottland, worüber sie auch auf Instagram Bilder gepostet hat. „Ich wollte gerne die Erfahrung machen, mal in einem anderen Land zu leben. Da ich fließend Englisch spreche, boten sich Jersey und Schottland an.“ Obwohl die junge Frau ernsthaft erwog, dauerhaft in Schottland zu leben, zog sie 2018 wieder nach Deutschland, um näher an der Familie zu sein.
Start der Dachdeckerlehre im Betrieb des Onkels
Bereits drei Tage nach ihrer Ankunft nahm Kitchen die Ausbildung zur Dachdeckerin im Betrieb des Onkels auf. „Wir waren uns schnell einig, dass ich die volle zweijährige Ausbildung mache. Eigentlich hätte ich auch eine kürzere Umschulung machen können, aber das theoretische Fundament war mir dann doch wichtiger,“ erklärt Janine Kitchen. Was der 29-Jährigen am Betrieb des Onkels besonders zusagt, ist die Breite der angebotenen Leistungen, die von Dach- und Fassadenarbeiten bis zu Balkonreparaturen und Kellerabdichtungen reichen.
Faszination: jede Baustelle braucht eine andere Lösung
„Diese Abwechselung ist genau das, was mir als Konditorin gefehlt hat und mich am Dachhandwerk begeistert. Jede Baustelle ist anders, jede Reparatur braucht eine andere Lösung. Du darfst nie aufhören zu denken, das fasziniert mich total.“ Doch auch die gutgelaunte Dachdeckermeisterin ist an manchen Tagen unzufrieden, etwa wenn das schlechte Wetter das gut geplante Tagewerk sabotiert. Ein zu verkraftender Wermutstropfen, den sie vermutlich mit den meisten Kollegen teilt.
Bereits früh beschloss die Auszubildende, unmittelbar nach Ausbildungsende die Meisterschule in Mayen zu besuchen: „Ich wollte die komplette schulische Ausbildung möglichst rasch und am Stück hinter mich bringen. Büffeln liegt mir nämlich nicht so sehr, ich arbeite viel lieber praktisch.“
Dachdeckermeisterin setzt sich in Männerdomäne durch
Die Bedenken der Eltern, sich mit der Entscheidung fürs Dachhandwerk in eine harte Männerdomäne zu begeben, waren inzwischen für Kitchen kein Hinderungsgrund mehr. Doch musste sie erfahren, dass Vorbehalte gegenüber Frauen im Dachhandwerk durchaus noch an der Tagesordnung sind. „Besonders an der Berufsschule sind die Vorurteile spürbar gewesen. Da fürchten viele junge Männer tatsächlich, sie müssten für die schwächeren Frauen auf der Baustelle mitschaffen“, berichtet Kitchen aus ihrer Ausbildungszeit.
Dass Frauen dem Handwerk körperlich nicht gewachsen sind, hält sie für Unsinn. „Vielleicht war das vor 50 Jahren tatsächlich noch so, weil die technischen Hilfsmittel nicht vorhanden waren. In einem modernen Betrieb ist das heute aber kein Thema mehr. Da kann jeder Azubi in ein paar Wochen in seine Aufgaben hineinwachsen, egal ob Mann oder Frau.“
Mit guter Arbeit und Kompetenz gegen Vorurteile
Im Berufsalltag bauen sich geschlechterbedingte Vorurteile unter Kollegen schneller ab als an der Berufsschule. „Wer mit mir arbeitet, merkt ja schnell, dass ich nicht weniger leiste oder anpacke als andere. Dann bleiben auch die dummen Sprüche irgendwann aus,“ meint Kitchen. Auch im Kontakt mit den Kunden muss die Dachdeckermeisterin regelmäßig mit Vorbehalten umzugehen wissen: „Wenn ich zum Beispiel mit einem Helfer zum Kunden fahre, wird der oft zuerst angesprochen, nur weil er ein Mann ist.“
Spätere Betriebsübernahme vom Onkel
Nach ihrem sehr erfolgreichen Abschluss der Meisterklasse in Mayen arbeitet Janina Kitchen im Mannheimer Betrieb ihres Onkels, dem Dachdeckermeister Harald Planer. Der hatte von Anfang an keinerlei Vorbehalte gegen Frauen im Handwerk und bereits in der Vergangenheit eine Dachdeckerin im Team. Seine Nichte soll den kleinen Meisterbetrieb später einmal übernehmen. Harald Planer ist mit Mitte Fünfzig zwar noch nicht so alt, hat aber keine eigenen Kinder, die den Betrieb übernehmen könnten.
Auf dem Dach fühlt sie sich am wohlsten
„Wir planen gemeinsam einen allmählichen und ruhigen Übergang, so dass ich in alles hineinwachsen kann“, erläutert Dachdeckermeisterin Kitchen. Dazu gehört auch der wöchentliche Bürotag. „Auf dem Dach fühle ich mich zwar am wohlsten, aber die Planung und Angebotserstellung gefällt mit mittlerweile auch sehr gut.“
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