Ein Multitalent: Dachdeckermeisterin mit drei Ausbildungen
24. September 2020
Die Frau macht einen entspannten Eindruck. Seit 29 Jahren führt Birgit Huckschlag die vom Vater übernommene Dachdecker Schmiers GmbH in Unna mit ihrem Bruder Peter Schmiers. Geht sie ans Telefon, spricht sie mit Mitarbeitern, Lieferanten oder Bauarbeitern auf dem Nachbargrundstück, dann sehr freundlich aber zugleich sehr bestimmt. Der Eindruck, der im Gespräch mit ihr Gestalt annimmt: Die Frau hat ihren Job gefunden und den vor 40 Jahren gegründeten Betrieb sowieso gut im Griff. „Die Leidenschaft für die Dachdeckerei habe ich von meinem Vater, er hat das vorgelebt, sogar noch, als er am Ende schwer erkrankt ist“, erinnert sich Huckschlag.
Als das 1991 passierte, ist sie ohne lange zu überlegen in den Betrieb zurückgekehrt und wird Chefin in einer Männerdomäne. Der ältere Bruder steigt als Geselle mit ein, der jüngere arbeitet inzwischen auch im Betrieb. Doch sie ist die Dachdeckermeisterin, betreut die Kunden, schreibt die Angebote, macht das Büro. Die Familie gibt ihr Kraft. Bald mit im Boot ist einer der beiden Söhne. „Er hatte erst andere Pläne, lernte Stahlbetonbauer und wollte Architektur studieren. Jetzt hat er das Gespräch mit mir gesucht und ich freue mich natürlich sehr über die Kehrtwende“, erzählt Huckschlag.
Die Dachdeckermeisterin reizt der Wettkampf
Wie sie das am Anfang trotzdem geschafft hat? Huckschlag macht da keine großen Worte. Vielleicht reicht auch ein Blick ins Büro. Dort hat alles seine Ordnung, auf den beiden Schreibtischen liegt kein Blatt Papier herum. Ihr Telefon ist so richtig Hightech, eine kleine Schaltzentrale für sich. Erste Idee: Die Frau ist richtig gut organisiert. Muss sie auch sein, denn zwei Jahre nach der Betriebsübernahme kommt der erste Sohn zur Welt, drei Jahre später der zweite. Die Dachdeckermeisterin erzählt das so nebenbei. Als sei es eine Alltäglichkeit, einen Betrieb zu führen und zwei Kinder großzuziehen.
Da hilft das Organisationstalent, zudem ist Huckschlag tatkräftig, zielstrebig und voller Energie. Seit ihrer Jugend spielt Huckschlag Volleyball im Verein, früher auch im Leistungsbereich. „Mich reizt heute noch der Wettkampf, nur Joggen oder so, das wäre nichts.“
Lesetipp: Macht Wettkämpfe als Fitnessathletin: Die Dachdeckerin und Miss Handwerk Sonja Theisen
Das Miteinander im Betrieb ist wichtig
Auch an der Dachdeckerei gefällt Huckschlag der Kontakt mit Menschen – in der Beratung oder auf den Baustellen. „Ich bin gerne draußen und unterwegs.“ Neues kennenlernen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, das ist ihre Sache. Huckschlag baut schnell Kontakt auf und nimmt sich Zeit. Dauernd auf der Baustelle ist sie aber nicht. „Ich muss meine Mitarbeiter nicht permanent kontrollieren und setze auf Vertrauen und Verlässlichkeit im Team. Das Miteinander ist mir wichtig, meine Leute sollen sich wohl fühlen im Betrieb.“
Die offene und schnörkellose Art kommt auch bei Kunden gut an. „Da zählt am Ende die Kompetenz und nicht, ob ich eine Frau oder ein Mann bin“, berichtet Huckschlag von ihren Erfahrungen. Natürlich gibt es immer Kunden, die gerne den Mann sprechen wollen. Da antwortet sie schon mal: „Von denen hat hier keiner was zu sagen.“ Erzählen tut Huckschlag sowas mit einem Schmunzeln. Aktuell ist die Auftragslage so gut, dass sie bei Anfragen schon mal absagen muss. „Das tut mir in der Seele weh, aber ich brauche auch noch Puffer für meine Stammkunden.“
Imagefilm statt Gelbe Seiten: Die Dachdecker Schmiers GmbH:
Dachdeckermeisterin hat drei Ausbildungen
Auch wenn sie ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hat, Umwege ist sie doch gegangen. Vielleicht einfach aus Neugier, weil Huckschlag gerne ihren Horizont erweitert – im Job und privat. So hat sie nach der Schule zuerst Arzthelferin gelernt beim Kinderarzt. War aber nicht das Richtige, also dann gleich eine zweite Ausbildung als Dachdeckerin hinterher. Von der warmen Arztpraxis ging es bei Wind und Wetter aufs Dach. Viel größer konnte der Kontrast nicht sein. Der Vater hat sie dabei unterstützt. „Ich war als junge Frau gleich mittendrin, Probleme mit dem raueren Ton auf Baustellen gab es keine. Der einzige Unterschied war, dass die Männer von den Kunden Zigaretten bekamen und ich eine Tafel Schokolade.“ Berufsbegleitend machte sie auf der Abendschule noch die Ausbildung zur Bürokauffrau, ihre dritte. Dann folgte sogleich die Meisterschule in Eslohe.
Zwischenstation beim Dachdecker-Einkauf in Hagen
Doch danach führte ihr Weg nicht automatisch zurück in den väterlichen Betrieb. Huckschlag machte eine berufliche Schleife und sammelte bei der DEG Dach-Fassade-Holz eG in Hagen Erfahrungen im Vertrieb. „Da habe ich in den drei Jahren viel gelernt, Einblicke in andere Betriebe bekommen und Kontakte aufgebaut.“ Und sie hat die Zeit als Angestellte genutzt für eine fünfwöchige Weltreise. „Meine Mutter sagte damals, ich könne das viele Geld doch besser ins Haus stecken. Doch so eine Reise würde ich immer wieder machen. Die Erlebnisse sind es wert“, erläutert Huckschlag. Bei der DEG ist ihr Betrieb Mitglied, zudem ist sie stellvertretende Obermeisterin der Innung Unna. „Wir sind dort eine große Familie, es gibt mehr als Konkurrenz.“
Wandern auf dem Jakobsweg – Singen im Gospelchor
Mit dem Betrieb ist sie zudem Mitglied der örtlichen Handwerkerkooperation „Bauteam“. Sie wurde angesprochen, ob sie mitmachen wolle. Die Dachdeckermeisterin schaute bei einem Treffen vorbei und sagte kurzentschlossen zu. Der Austausch über den Tellerrand ist ihr wichtig, es gibt sogar gemeinsame Reisen zum Skilaufen. Aufträge gewinnt ihr Betrieb natürlich auch im „Bauteam“ und seit einem Jahr auch über ihr zweites Netzwerk BNI. Angesprochen wird Birgit Huckschlag häufiger. Einige Menschen halten wohl einiges von ihr. So kam sie auch zum Ehrenamt als Richterin am Arbeitsgericht Dortmund, zum Singen im Gospelchor oder zum Wandern auf dem Jakobsweg. Da war sie zuerst mit Dachdeckerkollegen eine Woche auf dem Schlussabschnitt unterwegs.
Das hat Birgit Huckschlag so inspiriert, dass sie 2015 und 2016 wieder mit zwei Dachdeckerkollegen vor Ort war und 2019 mit einer Freundin erst den portugiesischen Weg bis Santiago de Compostela und von dort weiter bis zum Kap Finisterre gewandert ist. „Das war wunderbar“, sagt Huckschlag. Heute kann sie wieder mehr reisen, denn die Jungs sind erwachsen und der Betrieb mit den acht Mitarbeitern läuft rund – auch mal ohne die Chefin.
Sie interessieren sich dafür, wie Frauen ihren Weg als Dachdeckerinnen gehen? Dann lesen Sie unseren Artikel über Melanie Bernhardt auf Frankfurter Dächern.