Fabienne Ellermeier: Stolze Dachdeckerin auf Meisterkurs
2. Februar 2023
Beinahe wäre Fabienne Ellermeier aus Kalletal im Lipper Bergland nach dem Mittleren Schulabschluss Erzieherin geworden, nicht aus Leidenschaft, sondern weil einige Freundinnen sich für diese Richtung entschieden hatten. Die Realschülerin wusste eine Zeitlang nicht, worauf sie beruflich Kurs setzen sollte.
Für ihre Freude an handwerklicher Arbeit konnte die Tochter eines Dachdeckermeisters sich zunächst keinen passenden beruflichen Entwicklungsweg vorstellen. Inzwischen trägt die Zwanzigjährige nach einer erfolgreichen Lehre als Dachdeckergesellin schon große Verantwortung im väterlichen Betrieb, Ellermeier Bedachungen, Mitglied der DEG Dach-Fassade-Holz eG. Mit dem Besuch der Meisterschule legt sie die Grundlage dafür, später einmal ganz die Führung übernehmen zu können.
Die Kraft wächst mit den Aufgaben
Heute liebt Fabienne Ellermeier es, Flachdächer mit Flüssigkunststoff abzudichten – Brenner in der Hand und einen Fuß auf der Bitumenrolle. Gemeinsam mit dem zweiten angestellten Gesellen des Betriebes kann sie schon viele Aufträge selbständig abarbeiten. Ihre Kräfte sind mit den Aufgaben gewachsen. Die regelmäßige Arbeit auf dem Dach hat das Fitnessstudio überflüssig gemacht. Auch mental fühlt sich die Dachdeckerin durch die Arbeitserfahrungen und -herausforderungen gestärkt.
„Am Anfang der Ausbildung“, erinnert sich die Gesellin, „war ich sehr schüchtern und gar nicht selbstbewusst. Ich hab mich in der Berufsschule kaum getraut, vor der Klasse was vorzutragen. Zuletzt bin ich Klassensprecherin geworden!“ Heute genießt sie vor allem den direkten Kontakt mit den Kunden und Kundinnen auf der Baustelle und kann sich eine spätere Betriebsübernahme vorstellen.
Steht dir was Handwerkliches nicht besser?
Vater Andreas Ellermeier hatte die Freude der Tochter an handwerklicher Arbeit und ihr Potential stärker wahrgenommen als sie selbst. Obwohl auch der Großvater Dachdeckergeselle war, schien das Handwerk für die Schülerin lange keine Option. Aber als sie sich anschickte, gemeinsam mit Freundinnen die Erzieherin-Ausbildung zu beginnen, fragte der Vater noch mal nach: „Meinst du nicht, was Handwerkliches stünde dir besser?“ Dass mit dem „stehen“ war damals allerdings so eine Sache. Als Teenagerin fühlte die junge Frau sich noch unwohl damit, sich in Arbeitskleidung sehen zu lassen.
Was sollen nur die Leute denken?
Fabienne Ellermeier erinnert sich: Einmal, als sie noch als Schülerin ihrem Vater auf der Baustelle geholfen hatte, sollte sie, noch in Arbeitssachen, zum Bäcker gehen. „Das geht doch nicht“, dachte ich. „Was sollen die Leute denn von mir denken?“ Es ging nicht so sehr um Schick, als um gesellschaftliche Anerkennung. Nur auf dem Bau zu arbeiten, das schien Fabienne Ellermeier damals zu bedeuten, es zu nichts gebracht zu haben.
Während der Schulzeit war ihr immer wieder eine klare Abwertung des Handwerks durch Mitschüler und Mitschülerinnen begegnet, die Berufe ablehnten, bei denen man „sich schmutzig macht“. Heute versteckt die Gesellin ihre Berufswahl nicht mehr, vielmehr sagt sie: „Ich würde in meinen Arbeitssachen sogar zu einer Feier gehen.“
Von der helfenden Hand zur Nachfolgerin
Fabienne Ellermeier war mit Dächern seit ihrer Kindheit in Berührung. Der Großvater hatte sie als kleines Kind mit auf die Baustellen des Vaters genommen. Als Schülerin war sie ihrem Vater später immer mal helfend zur Hand gegangen. Gegen Ende der Schulzeit hatte sie das Baugewerbe beruflich durchaus in Betracht gezogen, allerdings als Architektin. Sie suchte sich einen Praktikumsplatz bei einem Architekten, arbeitete im Büro und ging mit auf Baustellen. Das Bauzeichnen lag ihr, aber die Aussicht auf ein langes Studium und lange Stunden am Schreibtisch war abschreckend.
Die Berufswahl Dachdeckerin wurde für Fabienne Ellermann erst konkret, als der Vater gegen Ende ihrer Schulzeit für den Betrieb nach einem Mitarbeiter suchte, der langfristig eine verlässliche Unterstützung auf den Baustellen sein würde. Da platzte der Knoten. Von da an ging alles ganz schnell.
Ausbildungsberaterinnen sorgen für passgenaue Besetzung
Vater Ellermeier, hoch erfreut über den Vorschlag seiner Tochter, in seine Fußstapfen zu treten, um ihn unterstützen zu können, bat sofort bei der Dachdecker-Innung Lippe um ein Beratungsgespräch. „Die beiden Ausbildungsberaterinnen der Innung haben mich dann unter ihre Fittiche genommen,“ erinnert sich Fabienne Ellermeier. „Wir haben uns beim Bäcker getroffen, Kaffee getrunken und dabei haben sie mir Fragen gestellt und Vorschläge gemacht. Durch sie habe ich dann meinen Ausbildungsbetrieb kennengelernt.“
Der große Ausbildungsbetrieb Dachdecker Gläßner liegt nur rund 20 Kilometer entfernt von Kalletal, war damit aber auch nicht zu nah am väterlichen Betrieb dran. Der junge Chef unterstützt Frauen auf ihrem Weg ins Handwerk. So passten Auszubildende und Betrieb dank der Begleitung durch die Ausbildungsberaterinnen gut zusammen.
Blöde Sprüche in der Männerwelt
Trotzdem gab es hin und wieder die noch immer verbreiteten dummen Sprüche einiger Männern. Die fielen auf den großen Baustellen, wenn andere Gewerke dazu kamen. „Da kamen blöde Anmachsprüche wie: ‚Hey, Hübsche, krieg ich deine Nummer?‘“ Fabienne Ellermeier erinnert sich auch an eine Szene zu Beginn der Ausbildung: Da hatte sie die Aufgabe, Dachpfannen auf einen Aufzug zu legen und dem jungen Gesellen eines anderen Betriebes aufs Dach zu schicken. Der rief dann in unfreundlichem Ton: „Hey, geht das auch schneller? Wenn nicht, komme ich da gleich mal runter!“ Prägend war die Reaktion des Altgesellen aus dem eigenen Betrieb, der die junge Frau sofort in Schutz nahm und den jüngeren Gesellen zurechtwies: „Was nimmst du ir da raus, so mit dem Lehrling zu sprechen!?“
Nach der Gesellenprüfung ins kalte Wasser gesprungen
Fabienne Ellermeier hatte gerade ein paar Monate ihren Gesellenbrief in der Tasche, als im Januar 2022 ihr Vater erkrankte und einige Wochen den Betrieb nicht leiten konnte. Die Tochter wurde im Betrieb angestellt und übernahm aus dem Stand viel Verantwortung. Gemeinsam mit dem zweiten Gesellen sorgte sie dafür, dass auf den Baustellen alles rund lief. Sie hielt den Kontakt zu den Kunden und war in den Gesprächen und Beratungen in ihrem Element.
Im Büro hielt die Mutter die Stellung. Die Sorgen des Vaters, dass Gesellin und Geselle allein den guten Betriebsstandard in Punkto Effizienz und Qualität vielleicht nicht würden halten können, erwiesen sich als unbegründet. Es klappte gut und der Sprung ins kalte Wasser machte klar, dass die Tochter fachlich und persönlich in der Lage war, sich substanziell in den Betrieb einzubringen.
Kurs auf den Meister
So hat Fabienne Ellermeier gleich den nächsten Schritt in Angriff genommen und schon Anfang 2022 die berufsübergreifenden Teile der Meisterkurse bei der Handwerkskammer in Bielefeld erfolgreich abgeschlossen. Seit Mitte 2022 stehen berufsspezifische Fachtheorie und Fachpraxis an. „Das wird noch spannend werden“, meint die Gesellin. „Handwerklich denke ich, dass ich das ganz gut schaffe. Aber baurechtliche Vorgaben und Regeln auswendig zu lernen, so was fällt mir schwer, weil es weniger handwerklichen Praxisbezug hat.“
Fabienne Ellermeier hat sich für die Vollzeitausbildung am Bildungszentrum des Westfälischen Dachdeckerhandwerks im sauerländischen Eslohe entschieden. So könnte sie, wenn alles klappt, noch vor Ablauf dieses Jahres, mit 21 Jahren, ihren Meisterbrief in den Händen halten.
Dachhandwerk ist cool
Wenn die junge Dachdeckerin heute ihre berufliche und persönliche Entwicklung betrachtet, ist sie stolz und zeigt das auch auf ihrem Instagram-Profil. Freundinnen, Freunde und Bekannten signalisieren ihr: „Das ist cool, was du machst.“ Fabienne Ellermeier fühlt sich anerkannt, auch von den Privatkunden des Betriebes, die sie oft schon seit vielen Jahren aus alltäglichen Begegnungen im eigenen Ort und den Dörfern rund herum kennt. Aus ihr ist was geworden, als stolze Handwerkerin auf dem Bau und dem Dach.
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