Susanne Heinrich: Dachdeckerlehre nach Marketingstudium
1. September 2022
Susanne Heinrich (27) bereitet sich voller Elan auf die für 2023 geplante Übernahme des väterlichen Dachdeckerbetriebs Heinrich Bedachungen GmbH in Wolfsegg bei Regensburg vor. Die Entscheidung für diesen beruflichen Weg traf Susanne Heinrich vor rund drei Jahren, im gerade begonnenen Marketingstudium. Da hatte sie noch gar keine Dachdecker-Lehre absolviert. Ihr berufliches Ziel war das Event-Management. Heute kann sie es kaum erwarten, nächsten Sommer ihre Meisterprüfung abzulegen und die Firma des Vaters vollverantwortlich zu übernehmen.
Lebensträume und Herzenswünsche
Dachdeckermeister Werner Heinrich gründete das Unternehmen 1990. In den 32 Jahren des Bestehens wuchs die Belegschaft auf zehn Mitarbeiter an. Mit dem eigenen Unternehmen erfüllte sich Werner Heinrich einen Herzenswunsch. „Der Dachdeckerbetrieb“, so erzählt die Tochter, „war sein Traum und er wollte, dass auch wir das umsetzen, was unserem Traum, unseren Wünschen entspricht. Es gab nie den Druck, dass wir Kinder den Betrieb übernehmen müssen.“ So schlug der Bruder eine andere Laufbahn ein und auch bei Susanne Heinrich selbst sah es zunächst nicht nach einer Karriere im Dachdeckerhandwerk aus.
Viele Qualifizierungen – berufsbegleitend und im Fernstudium
Denn die Realschulabsolventin interessierte sich zunächst für die Welt der Medizin und machte eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten (MFA) mit einer zusätzlichen Qualifikation im Bereich Dialyse. Anschließend arbeitete sie weiter in einem Krankenhaus und besuchte parallel die Kurse einer berufsbegleitenden Fachoberschule – bis zum Fachabitur.
Susanne Heinrich beginnt ein Marketing Studium an einer Fernuniversität für angewandtes Management. Ihr Schwerpunkt ist Eventmanagement. Auch während des Studiums arbeitet sie, jobbt, absolviert Praktika bei einem Musikfestival, einer Messe oder einer großen Sportveranstaltung. Die Onlinekurse machen es möglich. Zusätzlich unterstützt sie den Familienbetrieb mit ihren Computerkenntnissen, beim Büromanagement und Marketing.
Mit Herz und Hand in den Betrieb
Dann braucht der Vater im Betrieb plötzlich viel mehr Unterstützung und Susanne Heinrich trifft eine überraschende Entscheidung. Selbst sie, mit ihrem guten Zeitmanagement, kann nicht zwei ganztägige Jobs und das Studium gleichzeitig schaffen. So entscheidet sie sich für die volle Mitarbeit und eine Ausbildung im Familienunternehmen, Mitglied der Dachdecker-Einkauf Süd eG, mit der Perspektive der Betriebsübernahme.
Susanne Heinrich macht keine halben Sachen. Gemeinsam mit dem Vater bespricht sie den Weg zur Betriebsübernahme, als zukünftige Dachdeckermeisterin. „Er hat das von mir gar nicht erwartet. Mein Vater hätte nie gedacht, dass ich da einsteige. Er hat sich schon sehr gefreut. Er wollte die Entscheidungen seiner Kinder nicht durch seine Entscheidungen beeinflussen. Jetzt ist er begeistert, weil ich es aus Freude mache.“
Selbst ist die Frau – Gesellenbrief und Bachelor fast gleichzeitig
Bedingt durch die erste abgeschlossene Ausbildung, verkürzt sich Susanne Heinrichs Lehrzeit auf 18 Monate. Sie schafft es sogar, in dieser Zeit parallel das Eventmanagement-Studium abzuschließen und sich Fachwissen in Betriebswirtschaftslehre, Marketing und Unternehmensführung zu erarbeiten. Bachelor und Gesellenbrief fast gleichzeitig zu erwerben, schafft sie auch dadurch, dass sie in Sachen Berufsschule nur die überbetrieblichen Kurse für die Dachdecker besuchen muss.
Selbstdisziplin und Organisationsfähigkeit
Zwei Ausbildungen, Fachabitur, ein Studium, vielseitige Arbeitserfahrungen: Wie ist es möglich, soviel und so verschiedene berufliche Erfahrungen und Qualifikationen in so wenigen Jahren zu erwerben? Da braucht es neben Onlinekursen viel Selbstdisziplin und Organisationsfähigkeit. Wenn Susanne Heinrich erzählt, scheint das alles kein Problem zu sein. Schon als Jugendliche helfen sie und ihr Bruder in der Firma des Vaters aus. Ihre Tage sind immer lang, es gibt viel zu tun und das Arbeiten macht Spaß.
Das Gute an der Arbeit sehen und Spaß dabei haben
„Ich bin ein offener Mensch, mir macht jeder Job eigentlich Spaß. Ich sehe immer das Gute daran. Ich hab vielfältige Interessen und Kenntnisse und bin kein Mensch, der immer vor dem PC sitzt. Es ist mir wichtig, mit Menschen zu arbeiten und es macht Spaß zu sehen, was du gemacht hat.“ Das sei besonders toll im Handwerk. „Du wirst jeden Tag belohnt, das ist schon cool.“ Diese Freude würde Susanne Heinrich gerne dem Nachwuchs vermitteln. „Es ist schade, dass viele Jugendliche nur was mit Computern machen wollen. Bei der Büroarbeit schaltest du den Computer aus und siehst nicht, was du gemacht hast.“
Meisterschule: ausgebremst durch die Pandemie
Gleich nach der Gesellenprüfung 2021 beginnt die junge Dachdeckerin die Meisterschule. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte Susanne Heinrich die Meisterprüfung schon dieses Jahr abgelegt. Doch die Corona-Pandemie mit ihren Folgen bremste diese dynamische berufliche Entwicklung etwas ab. Kurse fielen 2021 aus und eine Neuanmeldung war erst für 2023 möglich.
Eine kompetente Chefin mit schlauen Mitarbeitern
Doch Susanne Heinrich weiß ihre Zeit zu nutzen. Die fachübergreifenden Kurse der Weiterbildungen für Meister und Meisterinnen – kaufmännische Betriebsführung und Ausbildereignung – hat sie berufsbegleitend schon absolviert. Damit sie als zukünftige Chefin in allen Bereichen kompetent einspringen kann, bereitet sie sich gerade auf die LKW-Fahrprüfung vor. Susanne Heinrich wird den Betrieb erst dann übernehmen, wenn sie Meisterin ist. „Ich will im Fall des Falles in allen Bereichen des Betriebes die Arbeiten selbst machen können.“
Dabei sind alle zehn Mitarbeiter des Betriebes fachlich gut ausgebildet und der Chefin in spe ist es wichtig, dass sie mit ihren Kenntnissen immer auf dem neuesten Stand sind. Mit dem Vater zusammen hat sie eine jährliche Schulung aller Mitarbeiter beschlossen. „Wir wollen mit ihnen immer sehr gut aufgestellt sein. Die Mitarbeiter sollen am schlauesten sein, am besten wissen, was zu tun ist. Das ist mir ganz wichtig.“
Erfahrungen weitergeben, Verantwortungen klären
Ihrem Vater, Werner Heinrich, ist es wichtig, dass seine Tochter einen Neustart machen kann und nur für ihre eigenen Arbeiten verantwortlich ist. Susanne Heinrich weiß das zu schätzen: „Ich bin sehr dankbar, dass mein Vater weitermacht und mir die Unterstützung gibt. Man kann viel wissen, auch schlau sein, aber die Erfahrungen kann man nicht einfach haben.“
Susanne Heinrich ist eine fitte Chefin
Die einzige Frau im Betrieb zu sein ist für Susanne Heinrich kein Problem. „Unsere eigenen Leute sind im Umgang mit mir super, ganz cool. Aber wenn‘s für die Mitarbeiter anderer Gewerke darum geht, auf der Baustelle Sachen zu klären, dann gehen die immer zu unserem männlichen Fachpersonal und nicht zu mir. Die denken halt, dass ich die Blonde bin, die im Büro sitzt.“ Nur sitzen, das ist allerdings nicht so die Sache von Susanne Heinrich. Nach der Arbeit geht’s drei bis viermal die Woche ins Fitnessstudio. „Ich brauche das zum Runterkommen.“ Denn die Firma ist nun wesentlicher Bestandteil ihres Lebens, jeden Tag, auch am Wochenende. „Deswegen ist man ja auch der Chef.“
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