Eine Dachdeckerin geht ihren Weg als Gesellin
21. Mai 2019
Bestandene Prüfung zur Gesellin: Erleichterung und Stolz
Völlig erschöpft und überwältigt endet mein Tag gegen sechs Uhr abends im Berufsbildungs- und Technologiezentrum in Weiterstadt. Ich habe meine praktische Gesellenprüfung hinter mir. Mit gemischten Gefühlen verlasse ich das Gelände, da nicht alles nach Plan verlief. Jetzt steht mir das Schlimmste noch bevor – warten. Eine Woche später versammelten wir Prüflinge uns zur Verkündung der Ergebnisse erneut in der Schule. Jeder wurde nach der Reihenfolge der Liste in den Klassenraum gebeten. Als mein Name fiel, schlug mein Herz schneller vor Aufregung. Dann war ich dran: „Larissa Würtenberger, herzlichen Glückwunsch, Sie haben ihre Gesellenprüfung erfolgreich bestanden.“ Mir kullerte vor Erleichterung und Stolz eine Träne übers Gesicht. Nach zweieinhalb Jahren Ausbildung bin ich endlich Dachdecker-Gesellin.
Vom Azubi zur Gesellin: Erstmal den Schalter umlegen
Die ersten Wochen musste ich mich ehrlich gesagt daran gewöhnen zu sagen, dass ich mittlerweile Gesellin bin. Es schien mir am Anfang noch so surreal und ich suchte den Schalter, der für den Wandel vom Azubi zum Gesellen umgelegt werden musste. Etwas realer wurde es nach dem Gespräch mit meinem Chef. Ich erhielt einen unbefristeten Arbeitsvertrag und wir haben den Stundenlohn besprochen. Mir wurde eine feste Kolonne zugeteilt, die sich aus einem Gesellen als Vorarbeiter und zwei Helfern zusammensetzt. Mit unserer Kolonne bekamen wir dann auch direkt eine Großbaustelle in Bad Schwalbach, also eher ungewöhnlich, da diese auch nicht gerade um die Ecke lag. Zurzeit bin ich in Frankfurt eingesetzt und ich denke mal, dass die zukünftigen Baustellen größtenteils im Rhein-Main-Gebiet liegen werden. Der Schwerpunkt liegt definitiv auf Steildach.
Meine Arbeitsschritte haben sich am Anfang nicht viel verändert. Wie üblich habe ich beim Be- und Entladen geholfen, die Arbeit erledigt und aufgeräumt, so wie alle anderen. Ich führte bezüglich meiner Arbeitsweise auch ein intensiveres Gespräch mit meinem Vorarbeiter. Dabei sagte ich ihm, dass ich Angst habe, Sachen falsch zu machen oder falsch bei Entscheidungen zu reagieren. Seine Worte waren klar und eindeutig: „Mache einfach.“ Ich entgegnete ihm mit einem Blick und fragte: „Echt? Aber was ist wenn…“ Und dann fiel er mir wieder ins Wort: „Mache einfach, vertraue mir. Wenn was schief geht, wird man es retten können. Mache dir keine Gedanken, dass du was falsch machst, sondern mache es einfach.“
Als Dachdecker-Gesellin auch mal selber den Ton angeben
Es gab echt gute Tage auf der Baustelle, aber auch schlechte Tage, an denen mal etwas nicht klappte. Ich habe mich davon schnell runterziehen lassen und an mir und meinen Fähigkeiten gezweifelt. Aber davon lasse ich mich natürlich nicht unterkriegen und habe erst recht den Ansporn besser zu werden. Und dann begann sich der Schalter bei mir umzulegen. Um weiterzukommen und den Namen einer Gesellin tragen zu können, muss man auf eine gewisse Art und Weise den Ton angeben, allerdings ohne egoistisch oder heroisch zu wirken.
Ich persönlich habe ein gesunde Balance gesucht in der Kommunikation zwischen Gesellen und Helfern, aber auch unter den Gesellen selbst. Ich fände es einfach falsch, mich ab sofort auf die Baustelle zu stellen und andere Leute rumzukommandieren, nur weil ich ja jetzt Gesellin bin. Dennoch hat sich meine Präsenz nach knapp vier Monaten im Betrieb Falter GmbH und auf Baustelle geändert. Ich gehe ganz anders an die Arbeitsschritte heran, überlege was wir an Material für den nächsten Tag brauchen, welche Tätigkeiten heute durchgeführt werden können. Der Ton wird natürlich immer noch von dem Vorarbeiter angegeben, aber zwischendurch mische ich mich da auch ein.
Ich arbeite öfters alleine als vorher, aber dennoch in der Gruppe zusammen. Ich bin zufrieden, wie sich das alles bisher entwickelt hat und bin mir sicher, dass es immer besser und vor allem weiter geht. Mein Fokus liegt generell auf dem Entwicklungsprozess. Ich möchte lernen, mich verbessern und an meinen Fähigkeiten arbeiten, um irgendwann sagen zu können, dass ich mein Handwerk sicher beherrsche. Die nächste Baustelle wartet.
Gesellin spielt eine Hauptrolle in TV-Beitrag über den Betrieb
Der Hessische Rundfunk kam auf mich zu, da die Journalisten die Beiträge der Handwerkskammer Rhein-Main gesehen hatten, wofür ich auch schon vor der Kamera stand. Die HWK wiederum kam auf mich zu durch Germanys Power People, also die Aufnahme in den Kalender Miss Handwerk 2019. Der Kalender war so der Stein, der das alles ins Rollen gebracht hat.
Für die Filmaufnahmen habe ich einen Anruf bekommen von unserem Büro. Da hieß es einfach: „Ja Larissa, das Fernsehen kommt morgen in die Firma, Schule fällt aus.“ Das Fernsehen wollte eine Handwerksserie drehen mit Beiträgen über verschiedene Gewerke. Was die Dachdecker betrifft, haben die Journalisten sich dementsprechend auch diverse Betriebe angeguckt, sich dann aber letztendlich für unsere Firma entschieden, weil sie es eben sehr spannend fanden, dass der Betrieb mit mir eine Dachdeckerin beschäftigt. Sie wollten damit auch das Thema aufgreifen, dass eben nicht nur Männer handwerkliche Berufe lernen und leben.
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