Wo Schiefer-Ornamente zu Kunst werden
21. Juli 2020
Ist das noch Dach oder ist das schon Kunst? Das wird sich schon so mancher Einwohner oder Besucher des kleinen nordhessischen Städtchens Vellmar gefragt haben, der eine der Einfallstraßen des Ortes nahe Kassel befährt. Denn an vier der sechs Straßen gibt‘s was zu sehen – aus schwarzem und farbigem Schiefer gestaltete Drachen, Hummeln, Eidechsen oder Ornamente finden sich in den Dächern, Fassaden, Gauben und Schornsteinverkleidungen. Spielereien und gleichzeitig echte Hingucker, bei denen so mancher denkt: Das hätte ich auch gerne. „Wir kriegen nicht selten Anfragen, die sich auf diese ‚Aushängeschilder‘ beziehen. Und genauso war es auch gedacht: einerseits als Verschönerung der Stadt, andererseits natürlich auch als Werbung für unsere Fähigkeiten“, sagt Chef Michael Wenzel zum Thema Schiefer-Ornamente.
Vom Schornsteinfeger zum Dachdecker
Schiefer hat es Wenzel angetan, seitdem er merkte, dass er zum Dachdecker geboren ist. Dafür brauchte er einen kleinen Umweg. Erstmal machte der heute 49-Jährige nämlich eine Schornsteinfeger-Lehre. „Aber ich habe schnell gemerkt, dass mir das zu eintönig ist. Ich habe dann relativ spontan umgeschaltet und zunächst ein Jahr als Helfer in einer Dachdeckerei gearbeitet. Das hat mir gefallen, und über eine Umschulung bin ich zum Dachdecker geworden. Bis zum Meister und zum eigenen Betrieb waren es dann auch nur wenige Jahre.“
Händchen für Schiefer-Ornamente in der Ausbildung entdeckt
Gleich in der Ausbildung kam Wenzel mit Schiefer in Kontakt. „Da habe ich gemerkt, dass ich ein Händchen dafür habe. Mit Schiefer zu gestalten, hat mir unheimlichen Spaß gemacht, und mein Lehrchef hat mir oft freie Hand gelassen.“ Seine Schiefer-Ornamente und Kettengebinde fielen auf – zum Beispiel auf den Messen, zu denen er immer wieder mitfahren durfte, um dann vor Ort „live“ mit Schiefer zu basteln. Er steigerte sich, besuchte als Gast Ornamentkurse und sammelte mehr und mehr Erfahrung: „Aus einem kleinen Seepferdchen zu Anfang wurden immer größere Projekte. Heute ist die Arbeit mit Schiefer ein wichtiges Standbein der Firma. Wir haben hier in der Gegend ein Alleinstellungsmerkmal. Wenn es um Schiefer geht, fällt automatisch unser Name.“
Auffällige Selbstdarstellung und außergewöhnliche Schiefer-Ornamente
Das liegt nicht nur am Können, sondern auch an der durchaus auffälligen Selbstdarstellung. Wenzel Bedachungen, Mitglied der DEG Dach-Fassade-Holz eG, will anders sein und zeigt es auch. „Eine kleine Firma aus etwas anderen Dachdeckern mit nicht so normalen Talenten“, so beginnt einer der Filme, die der Chef selbst mit seinem Smartphone gekonnt schneidet.
Und dann macht es „Bumm! Peng! Krach!“ in dem Streifen und zu sehen ist das Außergewöhnliche: mit schwarzem und farbigem Schiefer gestaltete Hummeln, Eidechsen, Drachen, Tauben, Mühlen, Sonnenuhren oder Windrosen, aber auch ungewollt „schräg“ gestaltete Vordächer. „Wir wollen besonders sein und auch mal ‚gegen den Strich‘ arbeiten“, so Michael Wenzel, „und das präsentieren wir dann auch mit Filmen auf YouTube und Fotos bei Facebook und Instagram.“ Wobei der Chef zugibt, dass hier auch der Einfluss seiner jüngeren Mitarbeiter zum Tragen kommt. „Ob ich damit zusätzliche Kunden gewinne, weiß ich nicht. Aber zumindest zeigen wir so, was wir können.“
Die Spezialisierung auf Schiefer hat zu vielen ausgefallenen Gestaltungen geführt, über die auch schon die Presse öfters berichtet hat. Manche besonders auffällige Arbeiten entstanden auch zu Übungszwecken oder als Vorzeigeobjekte, um zu demonstrieren, was alles geht. Ein ehemaliger Mitarbeiter erstellte zum Beispiel ein „Hänsel-und-Gretel-Knusperhäuschen“, das dann der Stadt Kassel geschenkt wurde. „Die Brüder Grimm haben ja sehr lange in Kassel gelebt“, so Wenzel.
Eigenes Schiefer-Lager aufgebaut
Um bei Aufträgen in Sachen Schiefer schnell auf die besonderen Wünsche der Kunden reagieren zu können, hat sich der Betrieb aus Vellmar ein eigenes Lager aufgebaut. „Schwarzer Schiefer ist in Deutschland kein Problem, aber roten, grünen und braunen Schiefer findet man nur im Ausland. Im Laufe der Jahre baut man sich ein Netzwerk auf und weiß, welches Material man sich in größeren Mengen hinlegen muss.“ Wenzel geht hier in Vorleistung. Nicht in jedem Fall entspricht das finanzielle Ergebnis dem vorherigen Aufwand: „Auf die Stunde gerechnet verdient man an den Spezialarbeiten nicht viel. Für mich ist das auch ein Ausgleich zu den Bürotätigkeiten. Andere fahren Rad oder laufen – ich bastele Schiefer-Ornamente.“
Immer eine Besonderheit mit dabei
Natürlich beherrscht die Wenzelerei, wie Michael Wenzel seinen Betrieb gerne bezeichnet, auch das klassische „Brot und Butter“-Geschäft. Neueindeckungen, Dachreparaturen, den Austausch von Dachflächenfenstern, Abdichtungen mit Kemperol, sämtliche Zimmerei-Arbeiten, Schornsteinverkleidungen sowie Bauklempnerei und Gerüstbau werden zum Festpreis und in bester Qualität ausgeführt. „Aber wir haben immer eine kleine Spielerei dabei“, schmunzelt der Firmenchef. „Wenn es nicht offen zu sehen ist, verstecken wir halt was, was nur uns ins Auge fällt.“ Das Verstecken kann auch wörtlich gemeint sein: „Manchmal landen eine Zeitung, eine kleine Flasche Schnaps oder eine andere Besonderheit hinter der Fassade. Wenn das dann in 50 Jahren jemand findet, freut er sich vielleicht.“
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