Bauunfälle 2022: Ein tödlicher Absturz alle fünf Tage
20. April 2023
Trotz leicht rückläufiger Bauunfälle gibt es solche Vorfälle noch immer viel zu oft. Ein 61 Jahre alter Dachdecker ist am Donnerstag, 13. April 2023, bei einem Sturz von einem Baugerüst in Schulzendorf gestorben. Das teilte die zuständige Polizeidirektion Süd in Cottbus mit. Aus noch unbekannten Gründen stürzte der Mann auf der Baustelle eines Einfamilienhauses rund sechs Meter in die Tiefe. Er sei trotz Reanimationsmaßnahmen an seinen schweren Verletzungen gestorben.
Alarmierende Bilanz Bauunfälle 2022
Dass dieser tödliche Absturz kein Einzelfall ist, zeigt die jüngst von der Berufsgenossenschaft für die Bauwirtschaft (BG Bau) vorgelegte Jahresbilanz der Bauunfälle 2022. Als „alarmierend“ bezeichnete denn auch der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), Robert Feiger, das Unfallgeschehen auf Deutschlands Baustellen. So starb, statistisch gesehen, im vergangenen Jahr bundesweit alle dreieinhalb Arbeitstage ein Bauarbeiter im Job. „74 tödlich verletzte Bauarbeiter und 99 380 gemeldete Bauunfälle insgesamt – das sind erschreckende Zahlen“, meint Feiger.
IG Bau: Dunkelziffer Bauunfälle weit höher
„Auch wenn die Zahlen gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen sind, ist das Unfallgeschehen auf dem Bau hoch. Baustellen gehören nach wie vor zum Sorgenkind in Sachen Arbeitsschutz“, so Feiger. 2021 wurden 103 518 Unfälle gemeldet, bei denen 85 Arbeiter gestorben sind. Nach Einschätzung des IG BAU-Bundesvorsitzenden liegt die Dunkelziffer der Bauunfälle noch deutlich höher als die Zahlen in der Statistik. „Zum einen werden viele – gerade kleinere Unfälle – gar nicht gemeldet. Zum anderen werden da, wo ausländische Beschäftigte auf Baustellen arbeiten, Unfälle vielfach bagatellisiert oder vertuscht“, berichtet Feiger.
Tödliche Bauunfälle: Absturz als häufigste Ursache
Fast ein Drittel der durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (baua) erfassten tödlichen Arbeitsunfälle sind Absturzunfälle. Dabei sind die Personen von Gerüsten, Leitern, Bauwerksdächern oder Maschinen gestürzt oder durch Bauteile wie Lichtkuppeln durchgebrochen. Das aktualisierte Faktenblatt „Tödliche Arbeitsunfälle – Absturzunfälle“ benennt einzelne Unfallfaktoren und -ursachen. Die Kenntnis darüber soll laut Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) für die Gefahren sensibilisieren und so zur Reduzierung von Absturzunfällen beitragen.
Wichtig gegen Bauunfälle: die Gefährdungsbeurteilung
Als zentrales Instrument des Arbeitsschutzes gilt die Gefährdungsbeurteilung. Bei 434 der 717 Absturzunfälle, 60,5 Prozent, ist bekannt, dass eine solche Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz vorlag, diese in 200 Fällen jedoch unvollständig war. In 195 Fällen war sie nicht an aktuelle Änderungen des Arbeitssystems angepasst. Das heißt: Lediglich bei 170 Absturzunfällen wurde die Gefährdungsbeurteilung als vollständig und aktuell eingestuft. Das ist ein Besorgnis erregender Befund.
Um zukünftig Absturzunfälle und generell Bauunfälle zu vermeiden, sind deshalb laut ZVDH situationsgerechte und aktuelle Gefährdungsbeurteilungen unerlässlich. Sie dienten als Grundlagen für geeignete Arbeitsschutzmaßnahmen wie regelmäßige Unterweisungen und Sensibilisierung von Beschäftigten sowie das Tragen von persönlichen Schutzausrüstungen. Auf diese Weise helfen Gefährdungsbeurteilung und die Umsetzung von Maßnahmen diese Absturzunfälle zu vermeiden.
Bauunfälle: Prävention ist alles
Die BG BAU informiert ausführlich, wie Unfälle vermieden werden können, so zum Beispiel auf der Webseite „Absturz und Durchsturz vermeiden“. Auch der Einsatz der Bausteine-App oder der webbasierten App DigitGB hilft laut ZVDH, sich der Gefahren noch einmal bewusster zu werden. Und nicht nur die jüngeren KollegInnen müssten sensibilisiert werden, auch erfahrene Mitarbeitende sollten immer wieder mit den Themen Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit konfrontiert werden. Und da auch manchmal Humor ein guter Lehrmeister ist, weist der ZVDH auf ein Video von YouTuber Varion hin, der im Auftrag der BG Bau in humorvoller Weise ein ernstes Thema gekonnt in Szene setzt.
Für den IG BAU-Bundesvorsitzenden Feiger ist die neueste Unfallbilanz der BG Bau ebenfalls ein dickes Ausrufezeichen, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz für die Beschäftigten noch ernster zu nehmen und die Arbeitsgefahren so weit wie möglich zu minimieren. „Sicherheit auf den Baustellen muss oberste Priorität haben“, so Feiger. Hoher Kosten- und Zeitdruck dürften nicht dazu führen, dass der Arbeitsschutz vernachlässigt werde.
Bauunfälle: Forderung nach höherem Kontrolldruck
Nach Einschätzung von Carsten Burckhardt, Mitglied im IG BAU-Bundesvorstand und zuständig für Arbeitsschutz, passieren die meisten Unfälle in kleineren Betrieben. „Hier müssen wir dringend ein anderes Bewusstsein schaffen. Obwohl die BG Bau in puncto Sicherheit schon eine gute und wichtige Arbeit leistet, brauchen wir angesichts der hohen Zahlen noch mehr Prävention“, fordert Burckhardt. Allerdings dürfe man nicht nur auf Eigenverantwortung setzen. Deshalb müssten in Sachen Bauunfälle die staatlichen Arbeitsschutzkontrollen in den Bundesländern deutlich verstärkt werden. „Notwendig ist ein höherer Kontrolldruck für die Betriebe, die es mit der Arbeitssicherheit nicht wirklich ernst nehmen“, so Burckhardt.
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