Dachdeckerin Pia Schön – ganz schön konsequent
6. Juni 2023
Denn erstens kommt es anders – und zweitens als andere denken. Diese leicht abgewandelte alte Volksweisheit beschreibt den steilen Weg nach „ganz oben“ von Pia Schön wohl am treffendsten. Während ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ihre Abiprüfungen im Frühjahr 2020 Fach für Fach absolvierten, musste Pia Schön ihre Prüfungen krankheitsbedingt nachschreiben. Das Ergebnis konnte sich dennoch sehen lassen: Ihr Abi war unter den Top 15 Prozent ihrer Schule.
Eher etwas planlos nach dem Abi
Einfach mal einen Plan aufzugeben, ist nicht das Ding von Pia Schön, wie man im Gespräch mit der heute 22-Jährigen schnell erfährt. Dabei war sie eigentlich nach eigenen Worten „eher etwas planlos“, was die Zeit nach der Schule anging. Gut, dass gerade zu dieser Zeit das Dach auf dem Hof ihrer Eltern umgedeckt wurde.
Überforderter Berufsberater
Anpacken war für Pia nicht nur Ehrensache, sondern auch die Initialzündung für ihre weiteren Berufspläne. Doch diese Pläne waren in der starren Schublade des Berufsberaters der Arbeitsagentur, der ihr Gymnasium besuchte, nicht enthalten. Pia Schön beharrte auf Vorschlägen zur Ausbildung im Handwerk – und überforderte den auf Studiengänge fixierten Berater damit wohl mächtig.
Suche nach Handwerksbetrieb in die eigene Hand genommen
Also nahm sie die Sache im Herbst 2020 nach dem Erfolgs-Abi selbst in die Hand und bemühte die Suchmaschinen nach Ausbildungsplatz-Angeboten in ihrer altbayerischen Heimat. Doch wie bewirbt sich Frau eigentlich erfolgreich im Handwerk und dazu noch in der Männerdomäne der Dachdecker? „Irgendwie seltsam, dass sich damals relativ wenig Dachdeckerbetriebe trauten, ein Ausbildungsangebot einfach da einzustellen, wo von den Kids gesucht wird – zum Beispiel auf dem Jobportal Stepstone oder den sozialen Medienkanälen auf Augenhöhe“, wundert sich Schön.
Nach dem Praktikum: Dachdeckerin ist mein Beruf
Doch das hat sich inzwischen spürbar geändert: Das Dachdeckerhandwerk setzt nach Corona inzwischen intensiv auf die Online-Suche nach Azubis. Pia Schön hatte es da noch schwerer bei der Suche im Internet, bis ein passender Ausbildungsbetrieb gefunden war. Nach einer Woche Praktikum war sie sich bereits sicher: Dachdeckerin ist mein Beruf. Der Ausbildungsbetrieb sah das genauso und schickte unaufgefordert einen Ausbildungsvertrag zu.
Pia Schön hat dann im Laufe der verkürzten Ausbildung den Betrieb gewechselt und bei der Dachdeckerei J. Lindl GmbH im Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz, einem Mitglied der Dachdecker-Einkauf Süd eG, als Jahrgangsbeste und damit als bayerische Landessiegerin mit 85,48 Punkten abgeschlossen. Dort arbeitet sie aktuell als Gesellin.
Ausbildung: Lernen für das Leben
Wie ist das so als junge Frau in der Männerwelt des Dachdeckerhandwerks, wie kommt eine Frau mit der ganzen Bandbreite einer „Boy-Group“ auf der Baustelle klar? „Die waren zuvorkommend, aber abwartend“, erinnert sich Pia Schön. „Aber der anfängliche Argwohn, ,ob die das denn kann‘, hat sich schnell gelegt. Respekt muss man sich halt erarbeiten“, meint die junge Dachdeckergesellin fast beiläufig. „Außerdem ist das mal richtig gut fürs eigene Selbstbewusstsein und du lernst mit so einer Ausbildung fürs Leben – also das, was in keinem Lehrbuch steht.“
Ihr Abi-Jahrgang ist heute stolz auf Pia Schön
Pia Schön meint damit auch Aspekte wie Menschlichkeit und Verantwortung. Ihr einstiger Abi-Jahrgang ist inzwischen auch schon ganz schön stolz auf sie: „Cool, was du da durchgezogen hast“, ist heute deren Meinung über eine von ihnen, die nach dem Abi eben nicht die Weltreise antreten und dann den Hörsaal betreten wollte.
Denken über den Tellerrand
Die Entscheidung für das „Handwerk ganz oben“ hat sie eigentlich bis heute nicht bereut. Eigentlich? „Ich denke gerne über den Tellerrand hinaus und realistisch ein paar Jahre weiter“, so die 22-Jährige. „Bei 50 Kilogramm Körpergewicht hebst Du in dem Job trotz aller Arbeitshilfen und netter Kollegen einfach jeden Tag mehr, als auf Dauer gesund ist.“ Auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung als Zukunftsperspektive zu setzen, kommt für Pia Schön nicht infrage – ganz abgesehen von den hohen Beiträgen.
Duales Studium zur Bauingenieurin
Ihr Weg führt sie nun doch in den Hörsaal. Mit dem Background einer abgeschlossenen Ausbildung im Dachdeckerhandwerk wurden ihre drei Bewerbungen für ein duales Studium des Bauingenieurwesens nicht von Personalabteilungen beantwortet. „Da haben gleich drei Chefs persönlich zum Telefon gegriffen, mich sofort kontaktiert und mir drei Zusagen erteilt“, freut sich die Oberpfälzerin. Denn ihr Berufsleben sieht sie auch nach dem Studium nicht an einem Schreibtisch. „Meine Welt ist die Baustelle – da bin ich und da bleibe ich.“ Und das auch, weil sie auch in ihrer Freizeit am liebsten Outdoor ist – mit dem Fahrrad oder als Liebhaberin von allem, was grünt und blüht.
Ausbildung im Handwerk ist eine solide Grundlage
Pia Schöns Tipp für alle (auch Gymnasiastinnen und Gymnasiasten), die nicht wissen, wie es nach der Schule weitergeht: Wer nicht gerade zwei linke Hände hat, schafft sich mit einer Ausbildung im Handwerk eine solide Grundlage für alles, was da noch kommt. „Und gerade mit einem Studium plus vorab der praktischen Erfahrung einer abgeschlossenen Ausbildung bist Du gegenüber allen Theoretikern, die den Hörsaal nie verlassen haben, der Favorit“, ist sich Pia Schön sicher. Übrigens auch ein guter Tipp für Berufsberater…
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