Ex-Banker Christian Vonholdt ist jetzt Dachdeckermeister
12. Oktober 2023
Werde Beamter! Lerne bei einer Bank! Arbeite etwas Bodenständiges! Mache Abitur und studiere! Wer kennt sie nicht, diese Ratschläge zur Berufswahl? Sicherheit zuerst und einen Beruf mit Zukunft wählen. Auch Christian Vonholdt aus Frielendorf hat diese mit 14 oder 15 Jahren gehört. Sein Vater ist Handwerker, Dachdecker mit eigenem Betrieb. Doch alles, was er für seinen Sohn wollte, war ein Beruf, in dem man nicht ständig schmutzig wird, nicht von der Konjunktur abhängig ist, mit Arbeit ohne Gefahren und ohne körperliche Anstrengung. Ein gutes Einkommen und steile Karriere sind erstrebenswert.
Abi, Bankkaufmann, Versicherungsfachmann, aber nicht glücklich
Das stand für Christian Vonholdt nach dem Abitur außer Frage. So schien alles geregelt zu sein. Als gelernter Bankkaufmann und Versicherungsfachmann, beides mit Abschluss der Industrie- und Handelskammer, und nach vier weiteren Jahren Außendienst bei der Versicherungsagentur einer regionalen Bank, lief jedenfalls alles in guten Bahnen. Wäre nicht das Problem gewesen, dass Finanzdienstleistungen und möglichst geschickte Verkaufsstrategien, um Abschlüsse zu erzielen, so gar nicht sein Ding waren. Leere machte sich breit, der Sinn fehlte, die Arbeit machte immer weniger Freude und das trotz messbaren, beruflichen Erfolgen. Sollten so die nächsten 40 Jahre aussehen?
Umschüler auf dem Dach
„Nein“, so lautete die Antwort von Christian Vonholdt. Stattdessen wurde ein Handwerksberuf plötzlich Thema. Am Ende eines Tages zu sehen, was man geleistet hat, ist für den heute 35-Jährigen wesentlich wichtiger. Und da gab es ja noch den Betrieb des Vaters. Beim Dachdeckermeisterbetrieb Ulrich Vonholdt in Friesendorf in der Nähe von Kassel, Mitglied der DEG Dach-Fassade-Holz eG, durfte der Sohn ein Praktikum machen, stand auf dem Dach eines Hauses und wusste sofort: „Das ist es!“ Aus dem Banker und Versicherungsfachmann wurde ein Umschüler. Getreu der fernöstlichen Weisheit: „Bist du Meister in einer Disziplin, werde Schüler in einer anderen Disziplin!“
Etwas mit den Händen erschaffen
Der Tag beginnt seitdem morgens etwas früher, endet oft auch später, aber mit den Händen etwas zu erschaffen, gibt einem Arbeitstag immer wieder Sinn. Anspruchsvoll ist die neue Tätigkeit kein bisschen weniger als sein alter Job. Im Gegenteil findet Christian Vonholdt und weiß genau, warum: „Weil man immer mitdenken muss, jedes Dach anders aussieht, räumliches Vorstellungsvermögen gefragt ist.“ Für Christian Vonholdt ist der Dachdeckerberuf sogar anspruchsvoller als stets das gleiche Produkt zu verkaufen.
Prüfungsbester trotz kürzester Lehre
Vom Tag der Entscheidung an ging dann alles rasend schnell. Statt in den geplanten zwei Jahren schaffte es Christian in gerade einmal 15 Monaten bis zum Gesellen. Das übrigens nicht etwa gerade so mit Ach und Krach. Nein, er beendete die Gesellenprüfung als Innungsbester in seinem Prüfungsjahrgang. Und wäre er dafür als Umschüler nicht schon zu alt gewesen, hätte er die Kasseler Dachdeckerinnung, die fast ganz Nordhessen abdeckt, auf Landesebene vertreten dürfen.
Dachdeckermeister in Rekordzeit
Dabei war er die letzten Wochen bereits einer Doppelbelastung ausgesetzt, denn im Betrieb standen Umstrukturierungen an. Zwei Gesellschafter schieden aus gesundheitlichen und Altersgründen aus und damit war klar, der Meisterbrief musste schnell her. Mit einer Ausnahmegenehmigung durfte der Beinahe-Geselle bereits ein paar Wochen vor der Gesellenprüfung die Meisterschule beginnen. Und auch diese absolvierte Christian Vonholdt wenig überraschend in Rekordzeit.
Am 1. September 2017 begann die Umschulung und keine drei Jahre später, am 14. Februar 2020, hatte Christian Vonholdt den Meisterbrief in der Hand. „Theoretisch hätte ich Auszubildenden, die mit mir gemeinsam die Lehre begonnen haben und die normalen drei Jahre ausgebildet wurden, dann die Gesellenprüfung abnehmen können“, schmunzelt der erfolgreiche Handwerksmeister. „Das wird sich nie mehr wiederholen“, vermutet er und dürfte damit richtig liegen.
Die richtigen Befürworter gehabt
So manche Nacht hat er sich mit Büchern, Bauzeichnungen und am PC um die Ohren geschlagen. Marion Schaake vom überbetrieblichen Ausbildungszentrum der Dachdeckerinnung in Kassel erinnert sich: „Wir haben das befürwortet und ermöglicht, weil wir an Christian geglaubt haben!“ Im richtigen Moment haben viele Menschen „Ja“ gesagt und weder sich selbst noch andere hat er enttäuscht.
Seit 2021 ist er nun im Innungsvorstand, seit 2023 außerdem im Gesellenprüfungsausschuss und nimmt sechs Jahre nach Beginn der Umschulung tatsächlich Gesellenprüfungen ab. „Wir haben 50 neue Azubis“, schwärmt er. Sohn Ole ist dieses Jahr übrigens ebenfalls sechs Jahre alt geworden. „Die Familie“, gesteht er ein, „ist vielleicht in dieser Zeit etwas zu kurz gekommen.“
Die Betriebsübernahme steht an
Über Abwechslung kann sich Christian Vonholdt jedenfalls seitdem nicht beklagen. Mal wird bei einem Neubau das Dach gedeckt, mal wird eines repariert und ein anderes Mal umgedeckt. Bei Sturm Friederike vor ein paar Jahren wurde es zwischendurch auch mal hektisch, um Löcher schnell zu beseitigen und größere Schäden zu verhindern.
Längst hat er im Betrieb begonnen, Verantwortung zu übernehmen, da Vater Ulrich Vonholdt sich auf das langsame Ausscheiden in drei bis fünf Jahren vorbereitet. Er ist auch im Büro eingebunden, wo die Mutter Lonie Vonholdt Regie führt, und liefert die Aufmaße für Angebote. Vor allem bei den betriebswirtschaftlichen Themen erkennt er, dass die Lehre zum Bankkaufmann nicht umsonst gewesen ist. Wenn er den Betrieb in naher Zukunft als Einzelunternehmer übernimmt, wird er aber immer noch genauso begeistert jeden Morgen früh aufstehen, sich auf die Arbeit freuen, ganz gleich, was gerade an Herausforderungen auf ihn wartet. Schön, wenn der Beruf auch die Berufung ist.
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