Dachsanierungen stagnieren: Wärmewende kommt nicht voran
19. November 2024
Jährlich zwei Prozent aller selbstgenutzten Gebäude in Deutschland energetisch zu sanieren – diese Messlatte der Politik liegt offenbar zu hoch und wird permanent gerissen. Die Wärmewende bei Wohngebäuden kommt nicht voran. Das ist das Ergebnis einer im September 2024 veröffentlichten Studie des wissenschaftlichen Kopernikus-Projekts Ariadne.
Ein Prozent Sanierungsquote ist zu wenig
Demnach wurde das Ziel der Bundesregierung von jährlich zwei Prozent Sanierungsquote 2023 gerade mal zur Hälfte erreicht. Für dasselbe Jahr liegt die Quote laut einer auf anderen Daten basierenden Studie des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle e.V. (BuVEG) sogar nur bei 0,7 Prozent. „Die beiden größten Hürden für die Menschen, die sanieren wollen: Sie wissen oft nicht genau, was sie tun sollen, und sie haben häufig nicht die nötigen finanziellen Mittel“, erläutert Maria Bader, Sprecherin des Projekts Ariadne.
Handwerker müssen viel Informationsarbeit leisten
„Viele haben große Fragezeichen beim Thema energetische Sanierung“, sagt Bader. „Aus anderen Studien ist bekannt, dass viele Menschen einen hohen Beratungsbedarf in Sachen Energie und Sanierungsablauf haben. Sie wissen oft nicht genau, wo sie ansetzen sollen.“ Gerade hier sei der Kontakt an der Basis – von Handwerkern zu möglichen Auftraggebern – entscheidend. „Für die Handwerker bedeutet das, dass sie viel Informationsarbeit leisten müssen: Welche Möglichkeiten gibt es, welche Vorteile bringt es, was kostet es, wo gibt es Fördergelder?“
Das Dach sanieren, das Haus dämmen, alternative Energiequellen integrieren – da entstehen Fragen in Sachen Wärmewende, auf die der Praktiker vor Ort Antworten haben sollte. „Es kann für Handwerker ein großer Hebel sein, ihre Leistungen zu verkaufen, indem sie erklären, welche Vorteile die energetische Sanierung hat“, führt Bader aus.
Wo es am nötigsten ist, fehlt das Geld
Ein Ergebnis der jüngsten Umfrage ist, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen selten über die Mittel für energetische Sanierungen verfügen. Gerade einkommensschwache Haushalte wohnen jedoch oft in Gebäuden, die eine energetische Ertüchtigung am nötigsten haben: „Sie wenden aufgrund schlechter Dämmung einen höheren Anteil ihres Einkommens für Heizkosten auf. Hier braucht es mehr Unterstützung, um die Sanierungsrate zu erhöhen“, erklärt Bader.
Zwar gibt es grundsätzlich eine hohe Zustimmung zur Bedeutung des Klimaschutzes (80 Prozent), weniger Einverständnis jedoch bei konkreten Maßnahmen wie etwa der CO₂-Abgabe. Dennoch wird diese Abgabe oft lieber bezahlt, als fossile Heizungen auszutauschen. Auch hier zeigt sich ein Muster: Wer heute schon niedrigere Heizkosten hat, ist eher bereit, klimaschützende Maßnahmen zu ergreifen, als jemand, der hohe Heizkosten hat. Eigentlich ein Widerspruch – aber auch ein Fingerzeig auf die Rolle der Finanzen in Sachen Wärmewende.
Ein Aufwärtstrend, aber klar unter der Zielmarke
Zwischen 2000 und 2020 betrug der Anstieg bei den energetischen Sanierungen selbstgenutzter Gebäude im Durchschnitt nur 0,8 Prozent. 2022 lag die Modernisierungsrate bei 1,1 Prozent, 2023 bei 1,0 Prozent. „Ein Aufwärtstrend“, sagt die Ariadne-Forschende Kathrin Kaestner vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. „Dennoch bleibt dieses Modernisierungsniveau deutlich unter dem 2-Prozent-Ziel der Bundesregierung für jährliche Sanierungen.“ Die Politik hatte diese Zielmarke unter anderem in Reaktion auf die Vereinbarungen der Pariser Klimaschutzkonferenz 2015 festgelegt, mit denen die globale Erwärmung begrenzt werden soll.
Jährliche Umfragen zur Akzeptanz in der Bevölkerung
Die Forscherin aus Essen arbeitet in einer der insgesamt 27 wissenschaftlichen Einrichtungen, die im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) die Wärmewende begleiten. Zusammengefasst sind sie im „Kopernikus-Projekt Ariadne“. Das Projekt hat nicht nur technische Lösungen im Blick, sondern untersucht auch, wie politische Maßnahmen umgesetzt werden und wie die Bevölkerung sie akzeptiert – etwa durch jährliche Befragungen von 15 000 repräsentativen Haushalten im „Ariadne Wärme- & Wohnen-Panel“. So sollen die Einstellungen und Bedürfnisse der Menschen besser verstanden und in die Planung einbezogen werden. Ein wichtiges Ergebnis: In den fünf ostdeutschen Bundesländern ist die Akzeptanz klimapolitischer Maßnahmen im Gebäudesektor geringer als in den alten Bundesländern.
BuVEG-Studie: Am häufigsten werden Fenster saniert
Noch geringer als bei der wissenschaftlichen Ariadne-Studie fällt die Sanierungsquote laut der Marktdatenstudie des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle e.V. aus. Sie gibt für 2023 nur eine Quote von 0,7 Prozent und für 2024 hochgerechnet möglicherweise nur 0,69 Prozent an. Dabei ist die Sanierungsquote bei Fenstern mit 1,19 Prozent am höchsten, bei Fassaden mit 0,5 Prozent am niedrigsten. Beim Dach liegt sie nach den Zahlen des BuVEG bei 0,74 Prozent.
Für BuVEG-Geschäftsführer Jan Peter Hinrichs sind das besorgniserregende Zahlen: „Mit Blick auf den anstehenden Winter werden erneut viele Menschen in Deutschland erleben, was es bedeutet, in einem energetisch schlechten Gebäude zu leben: der Verbrauch großer Mengen an Heizenergie und damit hohe Heizkostenabrechnungen.“
Viele Fragen und Unsicherheiten verzögern die Wärmewende
Theorie ist das eine, Praxis das andere. Dachdecker und Zimmerer stehen mit ihrem Fachwissen und ihren Möglichkeiten bereit. Sie wissen, wie es geht: mehr Dämmung im Haus, dichtere Fenster, effizientere Heizung, am besten noch eine Solaranlage auf dem Dach. Es klingt einfach: Haus gut dämmen, Wärme drin behalten, Heizkosten sparen, CO₂-Emissionen reduzieren. Doch zwischen politischen Entscheidungen, Förderungen und konkreten Aufträgen der Bauherren an die Handwerker stehen offenbar nach wie vor viele Fragen und Unsicherheiten. Und diese verzögern die Wärmewende.
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