Erste Dachdeckerin im Familienbetrieb seit 1896
9. Juli 2019
Das ist wirklich mal Tradition. Seit 1896 gibt es den Betrieb F. Bernhardt Bedachung-Gerüstbau GmbH in Frankfurt. Alle Männer in der Familie waren und sind Dachdecker – in der vierten Generation ist es Oliver Bernhardt, Geselle und Vorarbeiter. Doch auch in einem Traditionsbetrieb gibt es Wandel und so führt mit Melanie Bernhardt erstmals eine Frau im Tandem mit dem Bruder. Und sie ist es, die seit bereits 20 Jahren den Meisterbrief als Dachdeckerin besitzt. „Zunächst wollte ich Abitur machen, doch dann bin ich abgegangen und habe eine Lehre angefangen. Ich hatte schon früh Interesse und unterstützte meinen Vater bereits in der Jugend“, erinnert sich Bernhardt.
Dachdeckerin mit Mut und Standing erarbeitet sich Respekt
In den frühen 90er Jahren waren junge Frauen auf dem Dach noch eine echte Rarität. Da brauchte es Mut und Standing, um der eigenen handwerklichen Leidenschaft zu folgen. Die Lehre absolvierte Bernhardt bei einem Kollegen im Stadtteil. Wie das funktionierte? „Ich habe schon ein natürliches Selbstvertrauen und bin nicht auf den Mund gefallen. Da bekamen die Kollegen auf einen Spruch gleich eine entsprechende Antwort.“ Schon in der Jugend habe sie mit Jungs Fußball gespielt, da hatte die Dachdeckermeisterin nie Berührungsängste. „Die Gesellen haben schnell gesehen, dass ich mit anpacken will und kann“, berichtet Bernhardt. Sie lernte durchzuhalten und sich durchzusetzen in der Männerdomäne, und sie lernte viel an fachtechnischer Ausführung. „Es gab da im Lehrbetrieb einen Altgesellen, der kurz vor der Rente stand, einen Schiefer-Experten. Er hat sich Zeit genommen und mir viele Dinge genau erklärt. Dann konnte ich es selber machen.“
Die Chefin arbeitet täglich selber auf der Baustelle
Die Sache mit dem Schiefer kommt ihr bis heute zugute. Denn in Frankfurt sind viele Häuser noch mit Schiefer eingedeckt. Dachdeckerin zu werden, war das eine Ziel von Melanie Bernhardt, das andere war von Anfang an, später den Familienbetrieb zu übernehmen. Deshalb ging sie schon mit 21 Jahren an die Meisterschule in Mayen. Mit einer Sondergenehmigung, weil damals das Mindestalter noch bei 22 Jahren lag. „Die Leistungen waren ja da“, meint Bernhardt heute. Auch in Mayen habe sie viel an Fachtechnik gelernt. Dieses Know-how ist ihr sehr wichtig. Auch deshalb, weil Bernhardt keine Chefin ist, die vor allem im Büro beschäftigt ist. Im Gegenteil arbeitet sie täglich mit auf der Baustelle, neben dem Bruder gibt es im kleinen Team nur noch zwei weitere Geselle.
Meisterausbildung: wichtiges Know-how für die Betriebsführung
Weil die Dachdeckerin das Arbeiten auf den Baustellen so liebt, fielen ihr die neun Monate sitzen im Klassenraum in Mayen auch nicht so leicht. „Trotzdem war es eine super Ausbildung in Mayen, die Praxis am Modell war top. Und dann natürlich das Wissen in Betriebswirtschaft, Kalkulation oder Führung, ohne dieses Know-how könnte ich heute den Betrieb gar nicht managen.“ Bernhardt ist meist mit dem Bruder unterwegs, die beiden Gesellen machen andere Baustellen. Das Team ist noch relativ neu zusammen, es gab Abgänge wegen Rente und schwerer Krankheit. „Ich bin aber sehr zufrieden mit meinen Gesellen und der Größe des Betriebs.“
Für Bernhardt geht es dabei um eine familiäre Atmosphäre. Der Vater ist zwar schon in Rente aber offiziell noch Geschäftsführer und immer mal vor Ort. Die Mutter hilft mit im Büro. Im kleinen Team kann sich jeder auf den anderen verlassen. „Klar muss die Leistung stimmen, aber auf super streng habe ich keine Lust“, sagt Bernhardt. Als Chefin sorgt sie gerne für eine familiäre Atmosphäre. „Wir setzen uns immer mal wieder zusammen, essen Kuchen, tauschen uns aus.“ Ausbilden würde sie auch gerne, aber von der Qualität her sei das schwierig. „Man muss schon sehr genau wissen, was man tut. Und vielen Jugendlichen fehlt es an Motivation und Disziplin. Da schaffen einige nicht mal das Praktikum.“
Dachdeckerin übernimmt gerne komplizierte Auftragsfälle
Der Betrieb übernimmt von größeren bis kleineren Projekten und Reparaturen alles, vor allem im Bereich Steildach. „Wir betreuen viele Häuser schon über Jahre hinweg. Jetzt sind wir verstärkt im Bereich Dachfenster unterwegs. Und im Dachbodenausbau bieten wir alles aus einer Hand mit Partnern aus anderen Gewerken an.“ Gerne übernimmt die Dachdeckermeisterin auch komplizierte Fälle mit kleinteiligem Arbeiten. Der Qualitätsanspruch hat sich herumgesprochen, so gibt es immer genug Aufträge, auch über Architekten als Multiplikatoren.
Wie der Betrieb arbeitet: Coole Fotos und Videos auf Instagram
Sehr aktiv ist Bernhardt in den sozialen Medien, was erstaunlich ist bei einem Betrieb dieser Größe. Bereits seit 2011 macht sie Facebook für die Generationen 40plus und jetzt auch Instagram für die jüngeren Leute. Dort postet sie fast jeden Tag interessante, ungewöhnliche Fotos und kurze lockere Erklärvideos zu verschiedenen praktischen Fachthemen auf dem Dach. „Instagram ist viel lockerer, persönlicher, da posten wir nicht nur Fachbilder. Wir zeigen, wo wir sind und wie wir arbeiten. Die Kunden sind oft stille Mitwisser. Sie sehen schon, was wir machen, auch ohne Likes“, erläutert Bernhardt. „Das ist erst der Anfang, wir wollen noch professioneller werden mit den Videos.“
Über die sozialen Medien tauscht sich Melanie Bernhardt auch mit Kollegen aus, bundesweit. Da geht es um fachliche Hilfe oder um neue Ideen. „Ich bin da Gewerke übergreifend vernetzt, auch mit den SHK-Leuten oder Malern.“ Ganz traditionell und anlog mag sie es aber auch. Bernhardt ist die PR-Frau in der Frankfurter Innung. „Wir engagieren uns im Betrieb seit jeher in der Innung. „Mit den Kollegen dort verstehe ich mich gut, der Austausch ist mir wichtig.“
Als Ausgleich zur vielen Arbeit und dem Ehrenamt sucht sie beim Reisen gerne die Abgeschiedenheit zum Ausspannen. „Ich bin gerne in der Natur, etwa auf Klettersteigen.“ Die Dachdeckermeisterin ist kein Strand-Typ. „Ich bleibe im Urlaub gerne im Schatten, Sonne habe ich auf dem Dach genug.“
Sie interessieren sich für das Thema Frauen im Handwerk. Dann lesen Sie unseren Artikel über eine Dachdeckerin, die nach dem plötzlichen Tod des Vaters als Chefin ins kalte Wasser gesprungen ist.