Dachdeckerin Jana Görgen liebt die Herausforderungen
6. Mai 2021
Es gibt ein besonderes Bild, das Dachdeckerin Jana Görgen auf ihrem Instagram-Kanal gepostet hat. In luftiger Höhe balanciert sie den Körper einer Freundin nur mit den Beinen auf einem schmalen Steindurchgang. Es ist Akrobatik pur und eine echte, auch mentale Herausforderung. Sie schreibt dazu: „Vertrauen ist, wenn man mit dem Leben eines anderen so umgeht, als wäre es das eigene.“
Mit viel Selbstvertrauen ins Praktikum gestartet
Das Bild sagt einiges darüber aus, wie diese junge Dachdeckerin tickt, die aktuell ihre Meisterausbildung an der Handwerkskammer Stuttgart startet. Sie übernimmt gerne Verantwortung und Herausforderungen mutig an – beruflich und privat. „Ich habe einen starken Charakter und zudem viel Selbstvertrauen“, sagt Görgen. Das brauchte sie auch 2017 nach der Realschule. Über einen Bekannten der Familie machte Görgen direkt nach den Prüfungen ein Praktikum als Dachdeckerin. „Da gab es aufgeweckte Leute und die Arbeit war abwechslungsreich. Ich konnte schon so viele verschiedene Eindrücke sammeln, obwohl ich gerade mal zehn Prozent der Tätigkeiten kennengelernt habe.“ Da gewann sie den Eindruck, dieser Job könnte passen.
Den Ausbildungsplatz bei der FBS Bedachungen GmbH in Hemmingen fand sie dann eher zufällig. „Meine Mutter ist mit meinem Hund spazieren gegangen und hat an einer Baustelle gefragt, ob der Dachdeckerbetrieb ausbildet. Da bin ich noch am gleichen Tag ins Büro gegangen und schon hatte ich den Vertrag“, erinnert sich Görgen. „Ich bin ehrgeizig und habe mir gesagt, du passt da rein.“ Sie ist die erste Frau im Betrieb. „Der Juniorchef meinte, dass sie mal was Neues machen sollten. Er hatte Lust auf die gemeinsame Reise. Das war am Ende die richtige Entscheidung für beide Seiten.“
Herausforderung: Umgang mit den Mitschülern
Eine Herausforderung war es trotzdem, gerade auf der Berufsschule mit den jungen Männern. „Mich kann man wenig verletzen. Ich weiß, wie ich mit den Jungs umgehen muss“, sagt Görgen. Es ging ganz gut, weil sich die junge Frau abgrenzen konnte. „Ich bin schlagfertig und lasse mich nicht ärgern. Respekt habe ich mir durch Leistung in der Schule verschafft.“ Relativ human sei es alles in allem gewesen. Es ist herauszuhören, dass es sicher manchmal nicht so einfach war.
Viel Wertschätzung im Ausbildungsbetrieb
Im Betrieb ist es besser mit der Wertschätzung. „Ich wurde sehr gut ausgebildet in Sachen Technik und Organisation und bin sehr froh.“ Entweder mit dem Juniorchef oder einem Gesellen ging es auf wöchentlich wechselnde Baustellen. Und es gab die Möglichkeit für zusätzliche Praxis mit gestellten Materialien in den Firmenräumen. „Im ersten Jahr habe ich mehr zugeschaut. Da wurde mir alles gezeigt und vorgemacht. Im zweites Jahr konnte ich selber loslegen und die Lernphase starten. Im dritten Jahr habe ich schon richtig gearbeitet“, erzählt die Dachdeckerin.
Jede Woche auf dem Dach etwas dazugelernt
So Schritt für Schritt gab es zwar Herausforderungen, aber keine Überforderung in der Lehre. Und die 21-Jährige konnte in allen Bereichen von Steil- und Flachdach bis Spenglerei praktische Erfahrungen auf der Baustelle sammeln, nicht nur in den überbetrieblichen Lehrgängen. „Insgesamt habe ich in den bisherigen vier Jahren als Auszubildende und Gesellin jede Woche etwas dazugelernt.“
Sicher auch ein Grund, warum die Dachdeckerin beim Landesentscheid der besten Lehrlinge in Baden-Württemberg Platz drei belegte und dieses Jahr am Bundesentscheid teilnehmen kann. Über diesen Erfolg berichteten auch die Stuttgarter Nachrichten, was für den Betrieb einen sehr positiven Effekt in Sachen Nachwuchswerbung hatte. „Wir haben dieses Jahr zwei neue Azubis gewonnen, die wegen des Berichts Kontakt aufnahmen“, berichtet Görgen.
Nach der Meisterschule Führungsposition im Betrieb
Für die Meisterschule, die sie im Mai 2022 abschließen wird, entschied sich die 21-Jährige, um als Frau im Job mehr Möglichkeiten zu haben. „Ich will nicht 40 Jahre nur auf dem Dach stehen, sondern in einer Führungsposition mehr Büro machen, Kunden und Projekte verantwortlich betreuen. Bei den Chefs rennt sie da offene Türen ein. „Der Senior wird wohl in ein, zwei Jahren den Betrieb ganz an den Junior angeben. Und dann kann ich als zweite Meisterin in eine Führungsrolle einsteigen“, sagt Görgen. Eine Perspektive, auf die sie sich sehr freut. Da kann sie Verantwortung übernehmen.
Cocktails mixen am Wochenende
Das tut Görgen auch in der Freizeit. Seit 2018 arbeitet sie nebenbei als Minijob in einer Bar im Heimatort Ditzingen. Sie tut das, weil ihr das Ambiente gefällt, sie gerne Getränke mixt und Kunden happy macht. „Damit habe ich noch mehr Verantwortung“, sagt Görgen und lacht dabei. Aktuell steht sie wegen Corona nicht hinter der Theke, was ihr fehlt. Die 21-Jährige ist eben gerne mit Menschen zusammen und in Bewegung. Aktuell nutzt sie die zusätzliche freie Zeit für Spaziergänge mit ihrem Hund. Und dann gibt es noch das Motorrad. Geschwindigkeit ist auch ihr Ding. Nur abheben tut die bodenständige junge Frau nicht. Aber sie weiß genau, was sie will und verfolgt ihre Ziele.
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