Hitze-Ausfallgeld im Sommer für Dachdecker startet ab Juni 2020
26. Mai 2020
Für manch einen Dachdecker gehört sengende Hitze auf dem Dach zum Berufsbild. Melanie Bernhardt, Dachdeckermeisterin in vierter Generation, sieht das anders: „Man merkt deutlich, dass sich die Sommer in den letzten Jahren sehr verändert haben. Die Temperaturen sind extremer geworden und Hitzeperioden halten viel länger an.“
Mangelnde Abkühlung und Erholungsphasen bekommen sie und ihre Mitarbeiter im Frankfurter Familienbetrieb zu spüren. „Wenn die Nächte gefühlt fast ebenso heiß sind wie die Tage, ist man nach einer Weile einfach mürbe“, meint die Handwerkerin. „Bringt mir die Nacht kaum Erholung, dann gehe ich am nächsten Tag auch nicht voll leistungsfähig an die Arbeit.“ Für sie steht fest: Je heißer der Sommer, desto schneller sinkt die Arbeitseffizienz. Während einer anhaltenden Hitzewelle wie im Sommer 2019 ist es dann irgendwann nicht mehr zumutbar, aufs Dach zu gehen.
Verbindliche Regelungen bei Sommerhitze müssen her
In den Sommermonaten versorgen Melanie und Bruder Oliver Bernhardt ihr Team mit UV-Schutz-Shirts, ausreichend Wasser und Sonnensegeln. Sich gegenseitig regelmäßig an Trinkpausen zu erinnern, ist für die Kollegen mittlerweile selbstverständlich. Doch irgendwann sind diese Maßnahmen nicht mehr ausreichend, um vor einem Sonnenstich oder Kreislaufkollaps zu bewahren. Die Arbeit muss zum Schutz der Angestellten ruhen. Weil das Kunden nicht immer verstehen, plädiert Melanie Bernhardt für eine Regelung durch den Gesetzgeber oder die Verbände.
„Ich würde das gar nicht an einer konkreten Gradzahl festmachen, sondern individuell bewerten. Auf einem exponierten Schiefer- oder Metalldach entstehen ja ganz andere Temperaturen als in geschützteren Bereichen.“ Mit verbindlichen Vorschriften im Rücken ließe sich Kunden aber plausibel darlegen, warum sich Handwerker zum eigenen Schutz nicht ununterbrochen auf dem sengend heißen Dach aufhalten können.
Recht auf Hitzefrei besser als Früharbeit
„Leider versteht nicht jeder Kunde, dass ein langer und harter Arbeitstag in der prallen Sonne keine angenehme Sache ist. Nach so einem Sommertag habe ich in meiner Freizeit selbst keine Lust mehr, mich irgendwo in die Sonne zu legen.“ Die Möglichkeit, früher mit der Arbeit anzufangen und vor der Mittagszeit dann aufzuhören, hält die Dachdeckermeistern nur für bedingt anwendbar. „Selbst, wenn ich in Wohngebieten keinen Ärger mit den Anwohnern hätte – wann sollen wir denn mit der Arbeit beginnen? In manchen Sommern war es um 10 Uhr schon unzumutbar auf dem Dach. Deshalb können wir aber nicht um vier oder fünf Uhr mit der Arbeit beginnen.“ Gegenüber der Süddeutschen Zeitung hat Bernhardt aktuell in einem Interview Stellung bezogen zum Hitze-Thema.
Eine Herausforderung, die auch in der Politik wahrgenommen wird. Der von den Grünen im vergangenen Jahr vorgelegte und vieldiskutierte Hitzeaktionsplan greift die Problematik zu hoher Temperatur am Arbeitsplatz auf. Neben einem „Recht auf Homeoffice“ für Büroangestellte sieht der Plan auch ein „Recht auf Hitzefrei“ für die Baubranche vor. „Für Melanie Bernhardt kein falscher Ansatz: „Ein eindeutiges Arbeitsverbot in einem unzumutbar heißen Arbeitsumfeld schützt die Gesundheit meiner Mitarbeiter und ist ein Argument gegenüber dem Auftraggeber, über das nicht diskutiert werden muss.“
Hitze-Ausfallgeld im Sommer macht Sinn
Aktuell hat der Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks eine Lösung mit der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt erarbeitet, die ab Anfang Juni gilt, zunächst für dieses Jahr. Das Hitze-Ausfallgeld in Höhe von 75 Prozent des Stundenlohns kann von den Betrieben dann bei der Soka-Dach beantragt werden. Dachdeckermeisterin Bernhardt unterstützt diese Lösung: „In den immer wärmeren Wintermonaten wird das Saison-Ausfallgeld mittlerweile seltener benötigt. Im Sommer hingegen ist die Entwicklung umgekehrt. Hier wird ein Hitze-Ausfallgeld den Beschäftigten weiterhelfen, wenn bei Extremtemperaturen einfach nicht gearbeitet werden kann.“
In ihrem unter Dachdeckern beliebten Instagram-Kanal thematisieren Melanie und Oliver Bernhardt die Hitzeproblematik auf dem Dach immer wieder – gerne auch mal mit einem Augenzwinkern. So haben sie beispielsweise ein Foto von einer Temperaturmessung auf einem aufgeheizten Schieferdach gepostet. 70 Grad Celsius zeigte der Temperaturmesser im Hochsommer an. Dass unter solchen Bedingungen nicht stundenlang gearbeitet werden kann, sollte auch Menschen einleuchten, die ihrem Beruf nicht unter freiem Himmel ausüben.
Sie interessieren sich für das Themenfeld Hitze. Dann lesen Sie unseren Artikel zum Thema Schutz der Mitarbeiter im Sommer auf der Baustelle.