Zusammenbruch: Dachdeckerin macht sich zu viel Druck
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Zusammenbruch: Dachdeckerin macht sich zu viel Druck

2. September 2021

 · Larissa Würtenberger

Was mich heute im Betrieb erwarten wird, weiß ich nicht. Mein Arbeitskollege und ich bekommen unsere heutige Arbeit zugeteilt. Vor mir liegt ein Zettel mit Materialien für den Tag. Mein Chef erklärt uns, wie unser Tagesablauf aussieht. Habe ich verstanden. Ich laufe los, möchte die notwendigen Sachen holen. Auf halber Strecke merke ich, dass ich vergessen habe, was ich brauche. Ich hole die anderen Dinge dennoch, laufe zum Auto, schaue auf den Zettel – und weiß eigentlich ganz genau, was ich vergessen habe. Wir laden unseren Pritschenwagen und fahren anschließend auf die Baustelle.

Dachdeckerin weiß die Arbeitsschritte nicht mehr

Was machen wir jetzt nochmal? Ich versuche das Gespräch mit dem Chef im Kopf erneut abspielen zu lassen. Los geht’s. Ein Tag wie jeder andere mit Arbeiten, die ich schon öfter eigenständig und sicher erledigt habe. Vor Ort weiß ich nicht mehr, wie Schritt Nummer eins ging. Mein Arbeitskollege steht neben mir und fragt mich, was los sei. Ich weiß keine Antwort, habe wohl einen schlechten Tag erwischt, kann ja mal passieren. Ich bitte ihn um Hilfe und durch den Denkanstoß klappt es wieder. Als ich fertig bin, frage ich mich, ob ich das richtig und vor allem gut gemacht habe. Ich bin unsicher und frage nach. Etwas genervt bekomme ich ein „Ach ja, logisch ist es richtig, hast du doch schon tausend Mal gemacht“ zurück.

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Larissa Würtenberger ist eine verlässliche, gute Dachdeckergesellin. Doch zuletzt stieg öfter die Panik in ihr auf beim Arbeiten. (Alle Fotos: Würtenberger)

Panik steigt auf

Alles klar, dann geht’s los zur nächsten Aufgabe. Es klappt allerdings nicht so, wie ich mir das gedacht habe. Ich kann doch jetzt aber nicht schon wieder nach Hilfe fragen, was denkt er denn von mir. Ich mache es lieber alleine, ich kann‘s ja eigentlich auch. Ich merke allerdings, dass ich unsicher werde in dem, was ich tue. Es dauert länger als normal. Jetzt muss ich mich auch noch beeilen, sonst merkt er ja, dass etwas nicht stimmt. Ein Gefühl von Panik steigt in mir hoch. „Jetzt stell dich nicht so an, das wirst du doch wohl hinkriegen“, sage ich zu mir selbst. Ich habe jedoch das Gefühl, als würde ich alles nur schlimmer machen. Ich gebe auf.

Ich kann nicht mehr – Tränen steigen auf

Mit gesenktem Kopf laufe ich zu meinem Arbeitskollegen und erzähle, dass ich glaube, etwas falsch gemacht zu haben. Ich zeige ihm peinlich berührt meine Arbeit. Er korrigiert meine Arbeitsschritte, sagt mir, was ich falsch gemacht habe, und gibt mir die Chance, es erneut zu versuchen. Nun sitze ich wieder da. Doch ich schweife ab mit meinen Gedanken. Es fällt mir schwer, meiner eigenen Stimme im Kopf nicht zuzuhören.

Der Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, dass ich nutzlos bin, dass ich nichts richtig mache und zu nichts zu gebrauchen sei. Mein Arbeitskollege merkt mir mein geknicktes Verhalten an. Tränen steigen mir in die Augen, ich kann es nicht mehr zurückhalten. Ich fange an zu weinen und schluchze die Worte: „Ich kann nicht mehr.“ Er versucht mich aufzubauen, nimmt mich in den Arm und nach Feierabend reden wir eine Weile darüber.

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Ein unbeschwertes Foto beim Arbeiten, doch der innere Leistungsdruck macht Larissa Würtenberger sehr zu schaffen.

Innerer Leistungsdruck und Perfektionismus

Ich habe überhaupt nicht realisiert, wann dieses Gefühlschaos anfing. Ich dachte die ganze Zeit, ich sei einfach nur perfektionistisch, weil ich immer alles besonders gut machen wollte. Ich hatte immer ein Auge auf die Anderen, habe mich verglichen und wollte keinesfalls schlechter sein. Ich hatte das Verlangen mitzuschwimmen, ganz oben, sodass ich mein Selbstvertrauen hintangestellt habe. Der Druck, den ich mir selbst aufgebaut habe, der wurde mir zum Verhängnis. Je mehr ich wollte, desto mehr ging schief. Je schneller ich sein wollte, desto mehr Fehler sind passiert. Ich hatte ständig das Gefühl, ich muss abliefern, um anerkannt zu werden, aber das konnte ich nicht.

Mittlerweile habe ich einen Therapieplatz

So oft stand ich einfach auf der Baustelle und habe mich gefragt, was ich da eigentlich mache. Ist das wirklich der richtige Beruf für mich, kann ich überhaupt etwas, werde ich gebraucht? Jeden Morgen auf der Arbeit zu funktionieren, wurde immer anstrengender, da ich mir auch nichts anmerken lassen wollte. Dann kam der Punkt, an dem ich selbst gemerkt habe, dass ich aus diesem Loch nicht mehr ohne Hilfe herauskomme. Ich habe mittlerweile einen Therapieplatz gefunden und versuche, mich positiv darauf einzulassen.

Wichtige Unterstützung vom Chef

Wichtig war dann, dass ich mit meinem Chef gesprochen habe. Ich war ziemlich aufgeregt, als ich zu ihm ins Büro ging, da es mir unangenehm und peinlich war. Ich habe frei drauflos gesprochen und mir wirklich einige Sachen von der Seele reden können. Meine Chefin saß zu diesem Zeitpunkt auch im Büro und beide haben mir Mut gemacht und waren sehr verständnisvoll, was mich sehr gefreut hat. Ich hatte Bedenken, sie würden mir eventuell nicht glauben und denken, dass das alles nur Ausreden seien. Doch das Gegenteil war der Fall. Ich habe meinem Chef dann berichtet, wann die Therapiesitzungen stattfinden, und wir haben auch dafür eine für beide Seiten gute Lösung gefunden.

Mir ist dadurch ein kleiner Stein vom Herzen gefallen, da ich jetzt nicht mehr das Gefühl habe, mich verstecken zu müssen. Ich freue mich, wenn ich durch Zufall an meinem Chef vorbeilaufe und er mich angrinst, als Zeichen dafür, dass ich lächeln soll. Wenn ich mit ihm arbeite und er merkt, dass ich schlechte Laune habe, versucht er sie durch Witze oder lustige Bemerkungen zu heben. Er ist generell ein Mensch ist, der eigentlich immer gute Laune hat.

Doch seit unserem Gespräch kümmert er sich anders um mich. Ein Beispiel: Auch ich trinke gerne ein Bier nach Feierabend, habe jedoch gemerkt, dass sich das nicht positiv auf meine Stimmung auswirkt. Deshalb habe ich meinen Chef gefragt, ob er zusätzlich alkoholfreies Bier kaufen könne, und er hat mir diesen Wunsch erfüllt. Es sind die Kleinigkeiten, die schon viel bewirken können.

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Langsam wird es besser: Larissa Würtenberger macht eine Therapie und hat wieder ein Ziel vor Augen.

Ich sehe wieder ein Ziel

Als ich am Tag nach dem Gespräch in die Firma gefahren bin, war scheinbar alles so wie vorher. Für mich jedoch nicht. Ich bin mit ganz anderen Gedanken zur Arbeit gefahren. Ich wusste, dass ich so sein kann, wie ich zurzeit nun einmal bin, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Meine Offenheit, mit dem Krankheitsbild Depression umzugehen, hat mir Mut gegeben, mich nicht komplett fallen zu lassen. Die vielen kleinen Schritte, die ich wahrnehme, zeigen mir, dass es ein Ziel gibt und dass ich eines Tages dort ankommen werde. Ganz klar möchte ich abschließend hervorheben, dass die Arbeit im Betrieb nicht der Auslöser für meine Probleme war.

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