Dachdeckermeisterin Janine Neureuther: Ein Vorbild im Handwerk
7. Juli 2022
Sie ist Dachdeckermeisterin, Geschäftsführerin im Familienbetrieb, Lehrkraft an der Meisterschule Karlsruhe sowie aktives Mitglied der Dachdecker-Mädelz. Und seit März 2022 ist Janine Neureuther auch stellvertretende Landesinnungsmeisterin im Landesverband des Dachdeckerhandwerks Baden-Württemberg, als bundesweit erste Frau in dieser Position. Insbesondere das Thema Dachdecker-Nachwuchs liegt ihr hier am Herzen. Darum bildet sie auch selbst in ihrem Betrieb aus.
Mit dem Familienbetrieb groß geworden
Die 38-Jährige aus Rheinstetten bei Karlsruhe hat also reichlich zu tun. Im Tagesgeschäft leitet die zweifache Mutter gemeinsam mit ihrem Mann den Betrieb Neureuther GmbH, Mitglied der Dachdecker-Einkauf Süd eG. Mit dem Dachdeckerhandwerk ist Janine Neureuther von klein auf groß geworden. Ihr Urgroßvater hat 1949 den Dachdeckerbetrieb gegründet, der bis heute, in mittlerweile vierter Generation, in Familienhand ist und aktuell 14 Mitarbeiter beschäftigt.
Janine Neureuther wollte den Betrieb übernehmen
„Immer haben die Söhne in der Familie das Geschäft von ihren Vätern übernommen – bis mein Vater eben zwei Töchter bekommen hat“, lacht sie. Janine Neureuther wusste schon früh, dass sie das Familienunternehmen weiterführen möchte. „Ich bin schon als Schülerin in den Ferien mit auf die Baustellen gefahren. Mir hat das immer richtig Spaß gemacht“, erinnert sie sich. Und da ihre Schwester kein Interesse daran hatte, den Meisterbetrieb zu übernehmen, hat Janine Neureuther von Beginn an daraufhin gearbeitet.
Dachdeckerlehre gegen den Rat des Vaters
Dabei hätte sie auch einen anderen Beruf erlernen dürfen: „Mein Vater hat mir eigentlich geraten, mir andere Berufe anzuschauen. Das habe ich dann nach dem Abi während eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) gemacht, in dem ich in der Altenpflege gearbeitet habe. Das hat schon auch Spaß gemacht, aber mir war schnell klar: Mein Herz schlägt für die Dachdeckerei.“
So hat sie nach dem FSJ ihre auf zwei Jahre verkürzte Ausbildung begonnen. „Ich habe mich bewusst für einen Ausbildungsbetrieb etwas weiter weg von daheim entschieden“, erzählt sie. „Ich wollte einfach die Gelegenheit nutzen, noch mal was anderes zu sehen, ehe ich den Rest meines Arbeitslebens im elterlichen Betrieb verbringe. Wettbewerber im näheren Umkreis kamen für mich auch nicht infrage. Und ich wollte mich nicht von den Menschen ausbilden lassen, deren Chefin ich einmal werden würde, um niemanden in eine unangenehme Situation zu bringen.“
„Du bist ein Mädel, was willst du hier?“
Also ist sie zwei Jahre lang täglich eine Stunde zum Ausbildungsbetrieb gependelt – und abends wieder zurück. In der Ausbildung bekam sie das erste Mal zu spüren, was es heißt, als Frau einen vermeintlichen Männerberuf erlernen zu wollen. „Einer der Gesellen, der mich ausbilden sollte, begrüßte mich mit den Worten ‚Du bist ein Mädel, was willst du hier? Frauen gehören nicht aufs Dach.‘ Heute bin ich ihm eigentlich dankbar für diesen Spruch. Denn für mich war das der Ansporn, es ihm und allen anderen Zweiflern zu zeigen. Na klar gehöre ich aufs Dach!“ Bewiesen hat sie das unter anderem, indem sie ihre Ausbildung als Jahrgangsbeste abschloss.
Gesellenbrief, Studium, Meisterschule
Nach dem Gesellenbrief folgte ein Studium an der Berufsakademie in Stuttgart, das sie als Bachelor of Arts (BA) mit dem Schwerpunkt „Handwerk“ abschloss. „Ein BA-Studium besteht ja aus wechselnden Praxis- und Theorie-Phasen. Ich war also immer drei Monate an der Berufsakademie, dann wieder drei Monate im elterlichen Betrieb“, erzählt Neureuther. Dort hat sie dann auch die Büroarbeit kennengelernt: „Im Büro zu sitzen macht zwar nicht annähernd so viel Spaß wie auf dem Dach zu stehen. Aber diese Arbeit gehört nun mal zur Betriebsführung dazu und ist wichtig, damit das Unternehmen läuft.“ Nach dem Studium folgte eine weitere Zeit des Lernens an der Meisterschule Karlsruhe.
Engagement als Lehrkraft in der Meisterausbildung
„Nachdem ich 2010 meinen Meisterbrief gemacht habe, bin ich endgültig und in Vollzeit in unseren Fachbetrieb eingestiegen, seit 2020 leite ich ihn zusammen mit meinem Mann“, sagt Janine Neureuther. „2012 und 2014 kamen unsere beiden Söhne zur Welt, da habe ich natürlich eine Weile pausiert. Mittlerweile arbeite ich aber wieder Vollzeit und kann über Langeweile wirklich nicht klagen.“ Und trotzdem engagiert sie sich noch in anderen Aufgabenfeldern als ihrem eigenen Unternehmen: „Ich unterrichte seit rund sechs Jahren an der Meisterschule in Karlsruhe Berufs- und Arbeitspädagogik. Das heißt, ich befähige künftige Meister dazu, Lehrlinge auszubilden.“
Den Nachwuchs fürs Dachhandwerk begeistern
Überhaupt ist das Thema Bildung und Nachwuchs fürs Handwerk bei Janine Neureuther allgegenwärtig. Seit 2017 ist sie im Meisterprüfungsausschuss für das Dachdeckerhandwerk tätig. Sie ist aktiv bei den Dachdecker-Mädelz, einer Gruppe von Dachdeckerinnen in Deutschland, die sich stark fürs Dachhandwerk und ganz besonders für Frauen im Dachhandwerk macht.
In der Dachdeckerinnung Karlsruhe engagiert sie sich als PR-Referentin und kam darüber auch in den Ausschuss des Landesverbands, der das neue Dachmobil entwickelt hat. „Das Dachmobil ist ein Pick-up mit Anhänger und funktioniert wie eine Art rollender Info- und Messestand. Im Innern gibt es einen Simulator für Drohnenflüge und andere Virtual-Reality-Attraktionen, die junge Menschen fürs Dachhandwerk begeistern sollen. Auf diese Weise will der Landesverband Fachbetriebe dabei unterstützen, Azubis zu finden. Sie können das Mobil zum Beispiel für lokale Ausbildungsmessen, Firmenfeste und dergleichen mieten.“
Einstimmig zur stellvertretenden Landesinnungsmeisterin gewählt
Durch diese Arbeit wurde schließlich wohl auch der Landesinnungsverband auf Neureuther aufmerksam. „Als Michael Braunwarth nach über acht Jahren sein Amt als stellvertretender Landesinnungsmeister niedergelegt hatte, wurde ich als seine Nachfolgerin vorgeschlagen.“ Eine Nominierung, die auf die breitest mögliche Zustimmung der Mitglieder stieß: Janine Neureuther wurde von allen zehn Dachdecker-Innungen Baden-Württembergs einstimmig in Amt und Würden gewählt. Eine ihrer neuen Aufgaben ist auch hier die Bildung. Sie hat etwa das Amt der Landesreferentin für Berufsbildung übernommen und somit auch die Zuständigkeit fürs Dachdecker-Bildungszentrum in Karlsruhe mit der überbetrieblichen Ausbildung und der Meisterschule.
Sie interessieren sich für starke Frauen? Dann lesen Sie unsere Story über Marion Mecke, die sich ebenfalls auf die Fahnen geschrieben hat, dem Nachwuchs die Liebe fürs Dachhandwerk mit auf den Weg zu geben.