
Dachdecker Sven Rust: Milliardenfund in Zeitkapsel
25. März 2025
Zunächst erschien der Job alltäglich, als Dachdecker Sven Rust den Auftrag zur Sanierung einer Kirche in Achstetten erhielt. Wichtigster und zugleich spannendster Teil der übernommenen Arbeit war der Zwiebelturm des katholischen Gotteshauses St. Oswald. Als Dachdeckermeister wusste Rust um eine Tradition bei alten Bauwerken: Immer wieder wurden in Kirchturmspitzen Zeitkapseln hinterlassen – kleine Metallbehälter, mit Dokumenten und Erinnerungsstücken gefüllt. Insgeheim schwang nun die Hoffnung mit, auf ein Stück Geschichte zu stoßen.
Ein leiser Verdacht wird zur großen Entdeckung
Schon beim ersten Betreten des Turms mit einem Zimmermann kam die Frage auf: „Könnte hier etwas verborgen sein?“ Das Dach war marode, ein Sturm hatte es schwer mitgenommen. Vor drei Jahren war eine provisorische Reparatur erfolgt, doch jetzt stand die umfassende Sanierung an. Mit jeder abgetragenen Schicht wuchs die Spannung. Würde sich eine dieser mythischen Kapseln finden lassen oder war sie vielleicht schon bei einer der früheren Restaurierungen entfernt worden? Die Suche nach einem solchen Schatz ist immer ein Vabanquespiel. Manche Kugeln waren in früheren Zeiten geplündert worden, andere wurden aus Unwissenheit entfernt. Die Hoffnungen waren da, ebenso aber die Zweifel.

Die Kupferkugel: Ein Schatz im Herzen des Turms
Der entscheidende Moment kam, als Sven Rust und sein Team die Spitze des Turms abnahmen. Dort, im Übergang zwischen dem Kreuz und dem Dach, befand sich eine alte Kupferkugel. Mit großer Sorgfalt lösten sie das Metallteil und da war sie tatsächlich: eine Zeitkapsel! Ein kleines, fest verschlossenes Metallröhrchen, sorgsam eingeschoben. Das Herz von Sven Rust schlug schneller. Was mochte sich darin befinden? Wer hatte sie wann hinterlassen?

Ein Fenster in die Vergangenheit öffnet sich
Die Hoffnung wurde nicht enttäuscht: Der Fund entpuppte sich als wahre Zeitreise, denn die Kapsel offenbarte Schriftstücke aus zwei Epochen: 1822 und 1923. Der frühere Inhalt stammte vom Grafen von Reuttner, der seine Gedanken und die politische Situation seiner Zeit dokumentierte. Seine Nachfahren leben noch heute in einem Schloss hinter der Kirche.

Die Dokumente aus dem Jahr 1923 waren von prophetischer Natur: Ein Pfarrer hatte sie hinterlassen und darin bedrückende Vorahnungen niedergeschrieben. „Böse Mächte werden versuchen, die Rasse auszulöschen“, heißt es dort, „ein neuer Krieg wird kommen.“ Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, der 16 Jahre später begann, waren hier auf unheimliche Weise vorhergesehen. Es klingt ein wenig wie die heutigen Verschwörungsgedanken und apokalyptischen Bilder. „Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt sie zu wiederholen“, hat der spanische Philosoph George Santayana einmal gesagt.

Viel wertloses Geld und handschriftliche Dokumente
Besonders bemerkenswert waren mehrere Geldscheine aus dem Jahr 1923, einer Zeit der Hyperinflation. Unter ihnen befanden sich ein Hunderttausend-Mark-Schein aus Laupheim, eine Milliarden-Mark-Banknote aus Biberach und sogar eine Reichsbanknote mit einem Nennwert von fünf Milliarden Mark aus Berlin. Doch nicht nur Währungsgeschichte ließ sich in der Kapsel ablesen: Auch handschriftliche Dokumente, unterschrieben von Camill Graf Reuttner von Weyl zu Dellmensingen, sowie Amtsblätter und ein „Katholisches Sonntagsblatt“ aus dem Jahr 1870 waren enthalten. Diese Schriftstücke lassen darauf schließen, dass die Kapsel im Jahr 1870 erstmals in der Kugel hinterlegt wurde.
Geschichte und Kuriositäten
Neben den wertvollen Zeitdokumenten fanden sich einige Münzen, darunter eine Sechs-Kreuzer-Münze von 1846, eine italienische Lira aus dem Jahr 1867 und zehn französische Centimes von 1855. Interessant ist dabei, dass die französische Münze in einer Zeit hinterlegt wurde, in der das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich äußerst angespannt war. Dies belegt auch ein erhaltenes Amtsblatt vom 27. August 1870, das über die Schlachten des Deutsch-Französischen Krieges jenseits von Metz berichtete.

Ein weiteres bemerkenswertes Detail: Die Kapsel enthielt auch zwei kleine Kugeln, vermutlich Geschosse. Es scheint, als sei die Kupferkugel auf der Turmspitze einst beschossen worden. Die Einschusslöcher hatten zur Folge, dass Wasser in die Kapsel eindringen konnte, wodurch einige Dokumente beschädigt wurden. Trotz dieser Spuren der Zeit blieb der historische Wert des Fundes erhalten.
Eine Tradition wird fortgeführt
Rust und sein Team wollten nicht nur die Vergangenheit bewahren, sondern auch einen Beitrag zur Geschichte leisten. Daher hinterließen sie eine neue Zeitkapsel mit aktuellen Dokumenten: eine Tageszeitung, ein Kirchenblatt sowie Kopien der gefundenen Schriftstücke. Die Originale wurden in einem Tresor gesichert, um ihre historische Bedeutung zu schützen. „Es ist ein unglaubliches Gefühl, selbst Teil dieser Geschichte zu werden“, sagt Sven Rust stolz. „Vielleicht wird in 100 Jahren ein anderer Dachdecker die Kapsel finden und sich über unseren Beitrag zur Geschichte freuen.“

Starkes Netzwerk mit Kollegen
Neben diesem spektakulären Fund beeindruckt auch die Geschichte des Betriebs von Sven Rust, Mitglied der Dachdecker-Einkauf Süd eG. Seit vier Generationen arbeitet seine Familie im Dachdeckerhandwerk. Sein Urgroßvater begann einst an der Bergstraße, sein Vater kam über Umwege nach Laubheim, wo Sven Rust das Geschäft vor 14 Jahren übernahm.
Weil er in Zeiten des Fachkräftemangels aktuell keine Mitarbeiter findet, hat Sven Rust seine eigene Strategie entwickelt. Er setzt auf ein starkes Netzwerk mit Kollegen, anstatt auf Konkurrenz. „Zusammenhalt ist der Schlüssel“, erklärt er. „Jeder will arbeiten, jeder will sein Geld verdienen. Wer sich gegenseitig hilft, hat am Ende mehr davon.“ Auch seine Vielseitigkeit hilft ihm. Er beherrscht Techniken, die nur noch wenige ausführen, wie die Schieferdeckung. Eine Fertigkeit, die ihn besonders gefragt macht.

Die Spuren der Vergangenheit und die Zukunft
Sven Rust und sein Team haben mit ihrem Fund nicht nur ein Stück Geschichte bewahrt, sondern selbst Geschichte geschrieben. Sein Name wird in der neuen Zeitkapsel weiterleben. Und vielleicht wird ein Dachdecker in der Zukunft mit demselben Staunen darauf blicken, wie er selbst auf die Entdeckung von Achstetten. Eines ist sicher: Geschichte ist nicht nur in Büchern zu finden. Manchmal liegt sie gut versteckt in den Dächern alter Kirchen und wartet darauf, von neugierigen Händen wieder ans Licht geholt zu werden.
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