EPS-Dämmstoffe: Recycling statt Entsorgungsprobleme
11. November 2021
Was ist für die PET-Flasche aus dem Discounterregal Alltag, aber für den alten EPS-Dämmstoff schier unerreichbar? Mal richtig recycelt werden. Eine Innovation, die seit Juni in Terneuzen, Niederlande, bei PolyStyreneLoop im Zuge einer europaweiten Branchen-Kooperative in der praktischen Erprobung ist, hat das Ziel eben dies als Massenprodukt zu etablieren. Es geht um die Wiederverwertung von altem expandiertem Polystyrol (EPS) – umgangssprachlich meist Styropor genannt – und in der Zukunft auch von gebrauchtem extrudiertem Polystyrol (XPS).
Was derzeit schon geht: Aus Abfall-EPS können fabrikneue EPS-Dämmstoffe für den Einsatz auf den Dächern im Sinne der europäischen Klimawende hergestellt werden. Zudem stamme die in der Recyclinganlage genutzte Energie aus regenerativen Quellen, nämlich „von Windmühlen“, wie es Jan Noordegraaf, Co-Director der Anlage, ausdrückt.
Mögliche Lösung für das HBCD-Problem
Dabei steht PolyStyreneLoop nicht nur für Nachhaltigkeit, sondern kann für Dachdecker und Zimmerer zukünftig auch bares Geld bedeuten. Denn vor allem das inzwischen verbotene Flammschutzmittel HBCD sorgt aktuell im Alltag immer wieder für Ärger. Denn laut einer Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) aus dem Jahr 2020 berichten rund 30 Prozent der befragten Unternehmen, dass HBCD-haltige Dämmplatten nicht durch die Entsorger eingesammelt werden. „Das ist nicht nur schädlich für die Unternehmen und Kunden, sondern konterkariert auch die Bemühungen der Branche im Sinne der Klimawende“, verweist Philip Witte, Referent Technik und Kommunikation beim ZVDH, auf den wichtigen Beitrag von Dachdeckern und Zimmerern bei der energetischen Sanierung von Gebäuden.
Recycling EPS-Dämmstoffe mit neuer Technologie
Die Anlage in den Niederlanden baut auf der CreaSolv® Technologie des Fraunhofer Instituts für Verfahrens- und Verpackungstechnik (IVV) auf. Darunter ist ein physikalischer Recycling-Prozess zu verstehen, der mithilfe von Lösungsmitteln über mehrere Verfahrensschritte hinweg die Rohmaterial-EPS-Briketts löst und dabei HBCD und andere Störstoffe abtrennt. Das HBCD wird danach in einer Brom-Rückgewinnungsanlage sicher zerstört. Das Endprodukt des Verfahrens ist ein Polystyrolgranulat, das wieder zu neuen EPS-Dämmstoffen aufgeschäumt werden kann.
Die Recycling-Technologie im Video:
„In dieser speziellen Vorgehensweise ist das Fraunhofer IVV europaweit führend und bietet eine einzigartige Lösung“, sagt Swetlana Wagner, Mitarbeitern im Bereich Verfahrensentwicklung für Polymer-Recycling. Bis dato werden Abfälle dieser Art thermisch verwertet, also verbrannt und leisten in dieser Form höchstens einen Beitrag als Heizleistung in Fernwärmeanlagen. „Das kann und darf aber nicht der langfristige Umgang sein“, stellt Wagner klar. „Wir müssen auch hier recyceln, um Rohstoffe einzusparen.“
Machbarkeit größerer Recyclinganlagen in der Prüfung
PolyStyreneLoop stellt mit seinen 3.300 Jahrestonnen einen nach Ansicht verschiedener Experten vielversprechenden Ansatz für eine geschlossene, industrielle Kreislaufwirtschaft für EPS/XPS-Dämmplatten dar. Gegründet wurde die PolyStyreneLoop Cooperative von einer niederländischen, gemeinnützigen Organisation, deren Mitglieder mehr als 70 Branchenvertreter der gesamten Polystyrol-Wertschöpfungskette umfassen. Das Projekt wird mit EU-Fördermitteln unterstützt.
Bis zum Sommer kommenden Jahres soll nun die Machbarkeit größerer Anlagen geprüft werden. Denn nur so könne man in Zukunft wirtschaftlich arbeiten. „Wir sind da aber sehr optimistisch“, so Wagner. Dementsprechend überrascht es nicht, wenn Serena Klein, Sprecherin der Geschäftsführung des Industrieverbandes Hartschaum, bekundet, es gebe bereits einen niederländischen Investor, der eine zweite Anlage errichten möchte – mit einer Kapazität bis zu 10.000 Tonnen pro Jahr. Laut der Wissenschaftlerin Wagner beginne bei dieser Größenordnung auch die Wirtschaftlichkeit der Methode.
Recycling EPS-Dämmstoffe: Problem Verunreinigungen
„Je mehr wir recyceln, desto besser“, sagt Philip Witte vom ZVDH. „Aber Abfall geht immer den günstigsten Weg“, benennt auch er den Punkt der notwendigen Wirtschaftlichkeit – und zwar aus Sicht aller Beteiligten. Was ihm beim Recycling der EPS-Dämmstoffe aber vor allem Sorgen bereitet, ist die benötigte Reinheit der Abfälle. „Es wird relativ reines Material verlangt. Und das haben Sie natürlich in der Realität nicht oft.“ Witte verweist dabei auf die sehr diverse Mischung von unterschiedlichsten Materialien auf Dächern oder in Wänden, die zudem der Witterung über Jahrzehnte ausgesetzt gewesen sind. „Das kriegen sie manchmal kaum sortenrein zurückgebaut.“
Die Sorge ist berechtigt. Aber auf der anderen Seite wird an den Sammelstellen in den Niederlanden wie auch Deutschland die Mischung an Dämmabfall gereinigt und komprimiert, auch Wasser wird dadurch zum großen Teil entfernt. Die Gesamtmenge an Verunreinigungen, gemessen pro Brikett, darf für das Recycling der EPS-Dämmstoffe den Grenzwert von sieben Gewichts-Prozent nicht überschreiten. Nur Asbest darf auf keinen Fall anhaften. Die Praxis wird jetzt zeigen, wie viele der EPS-Dämmstoffe tatsächlich recyclingfähig sind.
Ziel ist ein europaweites Netz an Recyclinganlagen
„Genug Altmaterial ist vorhanden, wir müssen es nur nutzen“, sagt Swetlana Wagner. Deshalb sei man bestrebt nicht nur in den Niederlanden Anlagen zu errichten, sondern europaweit. Aufgrund des geringen Gewichtes bei gleichzeitig großem Volumen seien weite Transportwege von EPS/XPS-Material zu Sammelstellen nämlich unwirtschaftlich: „Man fährt ja quasi Luft über den Kontinent, das würde keinen Sinn machen.“ Lein Tange, Co-Director von PolyStyreneLoop, unterstreicht mit Blick auf ein breit ausgeworfenes Netz für alte EPS-Dämmstoffe: „Das Ziel dieser Anlage [in Terneuzen] besteht darin, den Weg für den Bau ähnlicher EPS-Recycling-Anlagen im übrigen Europa zu ebnen.”