55 Jahre Dachdecker im Betrieb Gläßner: Erhard Schiefelbein
12. Dezember 2023
Erhard Schiefelbein hat 55 Jahre im selben Beruf und Betrieb gearbeitet. Das geht, findet der 70-Jährige, wenn das Arbeitsklima stimmt und man für die eigene Gesundheit ein paar einfache Dinge beachtet. Und die Erfahrung eines Altgesellen kann Gold wert sein für ein Dachdecker-Team.
Ein vergoldeter Schieferhammer
Zum Jahresbeginn 2016 hat Dachdecker Erhard Schiefelbein nur noch wenige Monate bis zu seinem 63. Geburtstag und dem Rentenbeginn. Seit seinem 15. Lebensjahr hat er bei der Dachdecker Gläßner GmbH gearbeitet, einem seit 1924 bestehenden Traditionsbetrieb im ostwestfälischen Bad Salzuflen. Da wird der Betrieb vom langjährigen Firmeninhaber Heinz Dieter Starke an einen jungen, dynamischen Dachdeckermeister verkauft: Yannick Menkhoff übernimmt die vier Mitarbeiter der Firma mit dem Ziel, den Betrieb zu vergrößern.
Im Mai 2016 organisiert der neue Chef mit dem ganzen Team für Erhard Schiefelbein ein schönes Abschiedsfest und überreicht dem scheidenden Altgeselleneinen vergoldeten Schieferhammer. „Das hat mich gewundert“, erinnert sich Erhard Schiefelbein, „Herr Menkhoff hatte doch gerade erst den Betrieb übernommen. Das brauchte der eigentlich nicht. Hat er aber gemacht!“
Will you still need me, when I’m 64?
Ein halbes Jahr später ist Erhard Schiefelbein zurück im Betrieb. Yannick Menkhoff hat ihn darum gebeten, denn er möchte, dass der erfahrene Altgeselle als Teil des eingespielten Kernteams für Kontinuität und Verlässlichkeit sorgt. Der Betrieb wächst sehr schnell und wird umstrukturiert. Jede Veränderung wird von der alten Kernbelegschaft mit begleitet. Die Chemie zwischen Chef und Altgeselle stimmt. Für Erhard Schiefelbein ein wesentlicher Punkt: „Wenn der mich sieht, hat der immer ein Lächeln auf den Lippen. Das hat man nicht so oft, dass man sich mit dem Chef so versteht.“
Weitermachen, weil‘s Freude macht
So kommt es, dass Erhard Schiefelbein weiterarbeitet, fast so wie vorher. „Nur das, was richtig schwer war, das hab ich dann die jungen Leute machen lassen. Die waren froh, dass ich ihnen zeigen konnte, wie das am besten geht.“ Danach gefragt, was es ihm ermöglicht hat, über ein halbes Jahrhundert die körperlich oft anstrengende Arbeit so gut durchzustehen, kommt Erhard Schiefelbein als Erstes gegenseitige Wertschätzung in den Sinn. „Es hat eben Spaß gemacht mit den Kollegen. Wir haben ein schönes Arbeitsklima gehabt. Darum hatte ich viel Freude an dem Beruf.“
Dabei wollte Erhard Schiefelbein ursprünglich eigentlich „Autoschlosser“ werden. Doch jemand schnappt dem Schüler die gewünschte Lehrstelle vor der Nase weg. Zufällig muss zu der Zeit am Dach des Elternhauses in Wüsten bei Bad Salzuflen etwas repariert werden und Dachdeckermeister Hermann Gläßner kommt selbst vorbei. Bald ist es ausgemachte Sache, Erhard Schiefelbein wird bei Gläßner in die Lehre gehen. „So bin ich Dachdecker geworden. Das war 1968.“
Knochenarbeit und schneebedingte Ruhezeiten
1968 gibt es noch keine Lastenaufzüge oder Kräne, die den Dachdeckern die Ziegel aufs Dach bringen. Auch Nagelpistolen sind noch nicht erfunden. Ein bisschen wundert sich Erhard Schiefelbein über junge Leute, die trotz vieler Arbeitserleichterungen nach einem Jahr Lehre das Handtuch werfen. Er selbst fand seine Lehrjahre auch kein Zuckerschlecken. „Früher musste man viel mehr Knochenarbeit leisten.“ Sein Vater, Gärtner im Kurpark Bad Salzuflen, sagte ihm damals nur: „Da musst du durch.“ Es sind die Kollegen, die Erhard Schiefelbein in seinen ersten Berufsjahren motivieren und ihm helfen, schwierige Momente oder Phasen durchzustehen – und die Winter.
Denn in den 60er und 70er Jahren gibt es sie noch, die Winter, in denen länger Schnee liegt. „1968 konnten wir drei, vier Monate zu Hause bleiben. Schneebedingte Ruhezeit“, erinnert sich Schiefelbein. „Auf dem Dach war es zu gefährlich. Heute wird eigentlich immer durchgearbeitet. Damals hat der Meister in den Wintermonaten nur ab und zu gesagt: ‚Komm mal fegen!‘“
Besserer Arbeitsschutz
Der Arbeitsschutz hat sich in der Berufszeit Schiefelbeins sehr verbessert. „Früher hat man bei Schadstoffen ab und zu mal eine Maske aufgehabt. Mehr nicht. Ich werde alle drei Jahre geröntgt, so lange ich lebe, wegen der vielen Asbestplatten, mit denen ich ohne Arbeitsschutzkleidung zu tun hatte.“ Heute ist das anders. Auch in Sachen Sonnenschutz veränderte sich einiges. „Früher hat man sich als Sonnenschutz mal ein T-Shirt angezogen“, sagt Erhard Schiefelbein. „Wenn man das den Jungen heute erzählt, die glauben das nicht.“
Ein Sonnenstich sorgt für den Schlussstrich
Die Sonneneinwirkung ist intensiver geworden. Das hat Erhard Schiefelbein zuletzt noch einmal deutlich gemerkt. Im Mai diesen Jahres holte er sich bei der Arbeit einen Sonnenstich. „Da hat meine Frau gesagt: ‚Jetzt ist aber Schluss!‘. Ich hätte sonst noch ein bisschen weitermachen können.“ Nach 55 Jahren im selben Betrieb und Beruf hat der 70-jährige Dachdecker sich nun endgültig in die Rente verabschiedet.
Sich schützen und sich pflegen
Für ein langes, gutes Berufsleben hat der erfahrene Dachdecker ein paar einfache Gesundheitstipps: „Gute Ernährung, nicht rauchen und Gymnastik. Der alte Herr Gläßner hat mir anfangs gesagt: ‚Vor Arbeitsbeginn erstmal die Knochen in Bewegung bringen. Der Rücken muss beweglich sein und die Muskeln durchblutet, bevor es los geht, sonst läuft nichts.‘“ All die Jahre hat Erhard Schiefelbein das beherzigt und immer etwas Gymnastik gemacht: „So ein bisschen rauf und runter und hin und her. Knieschmerzen oder groß Rückenschmerzen hatte ich nie, da hab ich immer aufgepasst. Die Muskeln wurden einfach durch die Arbeit trainiert und im Sommer hab ich mich gut eingecremt. Mir geht es gut.“
Ein Beruf für Frauen?
Seinen eigenen drei Töchtern hat Erhard Schiefelbein nicht zum Dachdeckerberuf geraten. Zu hart, findet er. Vor Fabienne Ellermeier, der jungen Dachdeckermeisterin, die von 2018 bis 2021 ihre Ausbildung im Betrieb Gläßner gemacht und gerade den Betrieb ihres Vaters übernommen hat, zieht er den Hut. „Die hat das durchgezogen. Wir haben uns immer gut verstanden und gut zusammengearbeitet.“
Die Tage sind weiter gut ausgefüllt
Ruhestand im Sinne von Rumsitzen, das ist nichts für Erhard Schiefelbein: „Ich brauche jeden Tag ein bisschen Bewegung, etwas um die Ohren. Natürlich hat die Kraft nachgelassen und auch die Hände wollen nicht mehr so wie früher. Aber sitzen, das kann ich abends vor dem Fernseher genug. Gerade mache ich bei meiner Tochter, die mit ihrem Freund in eine größere Wohnung zieht, alle Maler- und Tapeziererarbeiten.“ Bis Weihnachten ist Erhard Schiefelbein da beschäftigt. Als Rentner schläft er auch ein bisschen länger als früher. „Und mit meiner Frau verreise ich jetzt viel. Ansonsten halten wir das große Mietshaus in Ordnung, in dem wir wohnen. Ich mache da auch den Garten. Unsere Vermieter sind über 90. Wir kümmern uns um die, wie um die eigenen Eltern, fahren sie zum Arzt und so. Das füllt mich aus.“
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