Dachdecker schützen: Entsorgung von Asbest auf dem Dach
23. Mai 2024
In Deutschland werden in den nächsten beiden Jahrzehnten vermehrt ältere Gebäude energetisch saniert, modernisiert oder nach spezifischen Bedürfnissen umgebaut. Die IG Bau sieht deshalb unter anderem Zimmerer und Dachdecker erhöhten gesundheitlichen Risiken vor allem durch Asbest ausgesetzt, auch weil PV-Anlagen auf Asbestdächern nicht installiert werden dürfen ohne vorherige Sanierung.
Asbest ist ein gefährlicher Gegner für die Gesundheit
Seit Jahren schon meldet die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) konstant hohe Zahlen von durch Asbest ausgelösten Berufskrankheiten. Auch 2022 kamen weit über 2000 neue Verdachtsfälle dazu, davon fast 1300 asbestbedingte Krebserkrankungen an Lunge, Kehlkopf und Eierstöcken und 700 Fälle von Asbestose. Die auslösenden Asbestfasern im Staub sind unsichtbar, wie die meisten toxischen Elemente in Gefahrenstoffen und die schweren Krankheiten, die sie auslösen, entwickeln sich oft erst Jahrzehnte später. Diese unsichtbaren, gefährlichen Gegner gilt es zu kennen und ihnen gut gerüstet und diszipliniert entgegenzutreten.
Günstig, praktisch, langlebig: Die Gefahrenstoffe von gestern und heute
Yannik Menkhoff, Inhaber und Geschäftsführer des asbestsanierenden Dachdeckerbetriebs Gläßner GmbH zählt die häufigsten Gefahrenstoffe wie aus der Pistole geschossen auf: „Asbest, alte Glas- oder Steinwolle (KMF) in Dämmungen, polychlorierte Biphenyle (PCB) in Fugendichtungen, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) in Teerpappen oder alten Korkdämmungen, giftige Holzschutzmittel in altem Holz.“
Anna-Lisa Tiefenthal, Dachdeckermeisterin und Junior-Chefin von Tiefenthal Bedachungen GmbH und Co. KG, einem ebenfalls zertifizierten asbestsanierenden Betrieb, fügt noch hinzu: „Isocyanate, Ausgangsstoff für alle Lacke, Beschichtungen, Schäume sowie Klebstoffe, die Polyurethane (PU) enthalten. Außerdem haben wir auch mit Blei zu tun. Das findet sich bei alten Kaminabschlüssen und ist bei Kirchen und Denkmälern ein großes Thema. Letztlich, scheinbar banal, ist da auch noch der Taubenkot, ein Gefahrstoff, mit dem wir oft beiläufig zu tun haben. Der fällt unter die Biostoffverordnung.“
Taubenkot kann durch die enthaltenen Mikroorganismen eine ganze Reihe von schweren Infektionen auslösen und enthält zusätzlich Allergene und toxische Stoffe. Die erforderlichen Schutzmaßnahmen sind daher sehr umfangreich: Einweganzug, Schutzbrille, Atemschutz, wasserdichte Handschuhe und Stiefel.
Verordneter Schutz mit unbequemen Maßnahmen
Für die Betriebe verpflichtende Verordnungen sind als Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) oder für Biostoffe (TRBS) verfasst und regeln unter anderem den Umgang mit inzwischen verbotenen Stoffen wie Asbest oder alter Mineralwolle bei „Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten“. Für noch erlaubte Gefahrenstoffe wie Isocyanaten und Biostoffe legen diese Regeln die Schutzmaßnahmen und Höchstwerte fest. Außerdem gibt es Regeln für die Entsorgung sowie Schulungspflichten.
Die meisten der vorgeschriebenen Maßnahmen sind unbequem, machen die Arbeit mit den Stoffen schwieriger, anstrengender, langwieriger, teurer. Viele Gründe, es vielleicht nicht so genau zu nehmen mit den Regeln. Wie sieht die Bereitschaft bei den Mitarbeitenden aus, die Informationen über die Gefährlichkeit der Stoffe, mit denen sie zu tun haben, aufzunehmen und sich selbst durch Anzüge, Schutzbrillen, Atemmasken oder Handschuhe zu schützen?
Begrenztes Interesse an Begrenzung von Gefahren
Die Junior-Chefin Tiefenthal berichtet: „Das ist häufig vom Alter abhängig. Manch ältere Mitarbeiter sehen das lapidar. Denen muss man dann schon öfter sagen: ‚Trage bitte die Maske.‘ Wir müssen sie dann kontrollieren, wie wir ja auch kontrolliert werden. Die Begeisterung der Mitarbeiter für die Schulungen im Umgang mit den Gefahrenstoffen, die wir jährlich organisieren, hält sich in Grenzen.“ Die Anleitungen und Bebilderungen werden als realitätsfern empfunden. „Beispielsweise das Tragen einer Brille beim Spritzen des PU-Schaums scheint übertrieben, denn man spritzt sich den PU-Schaum ja nicht ins Gesicht“, erklärt Tiefenthal die Vorbehalte.
Unwirklich scheinende Gefahr: winzige Dosen von winzigen Partikeln
In der hübschen Sprache der Chemie werden Isocyanate als „reaktionsfreudige Esther“ beschrieben. Weniger schön heißt es in dem „Merkblatt zu der Berufskrankheit Nr. 1315 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV)“, dass durch Isocyanate „Zellmembranen im menschlichen Körper verändert und zerstört werden können“. Aufgenommen werden Isocyanate durch Gase, Dämpfe, Aerosole und Staubpartikel, die Augen oder Atemwege nicht nur reizen, sondern eine Allergie auslösen können. Die Verordnung unterstreicht, dass dazu schon „sehr geringe Konzentrationen“ ausreichen. Die TRGS 430 weist zusätzlich darauf hin, dass durch Isocyanate sensibilisierte Personen Asthma entwickeln können.
Selbstschutz: Bewusstsein der Mitarbeiter schärfen
Der medizinische Arbeitsschutz und die, die geschützt werden sollen, scheinen die Gefahren unterschiedlich einzuschätzen. Von wenig Begeisterung für Schulungen berichtet auch Dachdeckermeister Yannick Menkhoff: „Sicherheitsbeauftragte schulen unsere Mitarbeiter regelmäßig. Wir machen mehrfach auf die verschiedenen Gefahren und den nötigen Schutz aufmerksam. Bei manchen Mitarbeitenden ist da gar kein Bewusstsein, bei vielen aber schon. Sie haben da keine Lust drauf, aber sie machen es.“
Atemmaske früher auch nicht getragen
Keine Lust auf Selbstschutz bei Umgang mit Gefahrenstoffen, die nicht nur Krebs auslösen können, sondern auch das Erbgut verändern, die Zeugungsfähigkeit reduzieren und ein ungeborenes Kind schädigen können? Vielleicht bräuchte es zur Verbesserung der Arbeitssicherheit auch eine grundlegende Schulung im freundlichen Umgang mit sich selbst. Dachdeckermeisterin Tiefenthal erzählt von eher älteren Mitarbeitern, die auf die Aufforderung, eine Atemmaske zu tragen, antworten: „Haben wir früher auch nicht getragen und ich rauche ja auch.“
Eine gesundheitsbewusstere Kundschaft honoriert den Schutz
Die KundInnen jedenfalls versuchen schon länger nicht mehr, die Problematik der Gefahrenstoffe herunterzuspielen oder gar selbst ein Asbest-Dach abzudecken, um Kosten zu sparen, wie es früher vor allem bei Aufträgen von landwirtschaftlichen Betrieben vorgekommen sein soll. Yannik Menkhoff und Anna-Lisa Tiefenthal berichten übereinstimmend von gestiegenem Gesundheitsbewusstsein. „Manche Kunden sind belesen und fragen nach nachhaltigen Stoffen. Sie wissen auch, wie anstrengend die Arbeit in Schutzanzügen ist und sagen: ‚Preist es mit ab‘,“ erzählt die Dachdeckermeisterin, deren Betrieb Mitglied der DEG Alles für das Dach eG ist.
Fachlich korrekte Entsorgung wird erwartet
Auch die Kundschaft der ostwestfälischen Gläßner GmbH, Mitglied der DEG Dach-Fassade-Holz eG, wird vom Geschäftsführer Menkhoff als „sehr penibel und erpicht auf fachlich korrekte Entsorgung“ beschrieben. Menkhoff unterstreicht: „Eine Tonne Asbest korrekt zu entsorgen ist billiger, als die Gebühr für eine Tonne Hausmüll. Es ist die durch Schutzanzüge erschwerte Arbeit, die sich im Preis einer Sanierung bemerkbar macht.“ Diese Mehrkosten findet Anna-Lisa Tiefenthal völlig gerechtfertigt. Denn: „Eine Asbest-Sanierung im Sommer, bei 30 bis 35 Grad im Anzug mit Maske, ist für die Mitarbeiter eine extreme körperliche Belastung, die ohne regelmäßige Pausen nicht leistbar ist. Das muss anerkannt und honoriert werden.“
Heutige Materialien mit weniger Schadstoffen
Wieviel Gefahrenstoffe wird es wohl in Zukunft am Bau geben? Yannik Menkhoff sieht prinzipiell eine positive Entwicklung: „Die Altlasten wie Asbest wird es noch viele Jahre geben. Aber die heutigen Stoffe sind PAK-frei, KMF- und FCKW-frei. Allerdings werden vielleicht die Stoffe, die heute als unbedenklich gelten, demnächst als Schadstoffe erkannt werden. Da kommt immer wieder was Neues raus. Aber im Allgemeinen wird es immer besser, immer sauberer. Holzfaserdämmung, Hanfdämmung, das kann man fast essen.“
Sie interessieren sich für Arbeitssicherheit? Dann lesen Sie unsere Story über die seit August 2023 vorgeschriebene Schulungspflicht für PU-Bauschaum.