Eine Dachdeckerin mit Kreuz und starkem Team
6. Juni 2019
Richtige Typen sind das, die als Gesellen für die Dachdeckerei Kühnel in Emmerting in Oberbayern arbeiten. Jeder auf seine Weise ein echter Kerl – und das passt genau zur Chefin Stephanie Kühnel. Die Dachdeckermeisterin ist auch eine Type mit ihren knallroten, wilden Haaren und manchmal ebenso lackierten Fingernägeln. Da wundert es kaum noch, dass sie es 2015 in den Kalender Miss Handwerk/Powerpeople geschafft hat. Doch viel beeindruckender war das, was sie gemeinsam mit ihrem Team in genau demselben Jahr geschafft hat.
Dachdeckerin muss plötzlich in Vaters Fußstapfen treten
Damals arbeitete Kühnel noch als Angestellte im Familienbetrieb, als der Vater völlig unerwartet einem sogenannten Sekundentod starb. Buchstäblich von jetzt auf gleich, war alles anders. „Wir haben den Betrieb drei Tage geschlossen, um trauern zu können. Danach habe ich mich mit den Mitarbeitern zusammengesetzt“, erinnert sich die Dachdeckermeisterin. Sie fragte sich selbst und die Jungs, ob sie denn das Kreuz dafür habe, den Betrieb weiterzuführen. Die Antwort war: Stephie, Du kannst das. Wir schaffen das gemeinsam“, berichtet Kühnel. Keiner der sieben Mitarbeiter kündigte, sie blieben alle an Bord. Kühnel braucht dieses Teamgefühl. „Wenn es mir gut geht, geht es meinen Mitarbeitern gut und umkehrt.“ Das ist ihre Devise. Und auf dieser Basis legte sie los, entschlossen und voller Tatendrang.
Dachdeckerin gewinnt weibliche Kundschaft hinzu
Mit ihrer zugewandten, freundlichen Art und ihrer Fachkompetenz gelang es Kühnel, die Kunden zu halten und neue hinzuzugewinnen. „Das ist oft weibliche Kundschaft, alleinstehende Frauen etwa. Da passt einfach die Chemie.“ Fast alle neuen Aufträge kommen über Empfehlungen, das Geschäft mit Privatkunden aus der Region steht im Fokus. Die Bereiche sind klassisch Steil- und Flachdach, von der Dachrinne bis zum großen Sanierungsprojekt. Alles ist bodenständig angelegt und lebt davon, dass die Chefin Begeisterung für ihr Handwerk versprüht und Kunden gewinnen kann, während auf den Baustellen die Mitarbeiter Qualität abliefern. Das sorgt zusammen für gut gefüllte Auftragsbücher. Kühnel setzt nicht darauf, immer mehr Mitarbeiter einzustellen, sondern darauf, dass die Persönlichkeit im Fokus bleibt. Der Betrieb darf wachsen aber nicht um jeden Preis. „Mein Verhältnis zu meinen Mitarbeitern wird immer persönlich bleiben, ich bin per Du mit den Jungs, der Zusammenhalt ist unser Kapital“, sagt Kühnel. „Wir sind wie eine Familie. Jeder kann zu mir kommen, wenn etwas ist – beruflich oder privat.“
Erst Arzthelferin dann Dachdeckerin
Dachdeckerin ist Kühnel allerdings erst über Umwege geworden. Ihrer soziale Ader folgend lernte sie zunächst Arzthelferin. „Das hat mir damals auch Spaß gemacht.“ Doch in diesem Beruf ging es nicht so recht weiter. Sie war nach ihrer bestandenen Abschlussprüfung zur Arzthelferin zwei Monate arbeitslos, als sie mit ihrem Bruder, der Zimmerer ist und auch im Betrieb arbeitet, ein folgenreiches Gespräch führte. Er sagte mehr im Spaß: „Willst Du nicht Dachdeckerin werden?“ Da begann es bei Kühnel, wie sie selbst sagt, „im Kopf zu rattern“. Und sie schrieb eine richtige Bewerbung an den eigenen Vater. Sie wollte es wagen, das Dach zu erklimmen. „Mein Papa war echt gerührt, ihm kam nie der Gedanke, dass seine Tochter mal Dachdeckerin werden möchte“, erzählt Kühnel. Und nun führt Sie die Familientradition in fünfter Generation fort.
Netzwerken für Frauen: die Dachdecker-Mädelz
Für sie war es der richtige Schritt und heute ermuntert sie junge Frauen, ebenfalls diesen Beruf zu ergreifen, sich das zuzutrauen. Kühnel ist Mitorganisatorin des Netzwerks Dachdecker-Mädelz, dass seit 2018 die Messestände rockt und für die Frauen auf WhatsApp und Facebook Plattformen für den Austausch bietet. „Als Dachdeckerin musst Du schon tough sein und kannst Dir auch was beweisen. Das ist harte körperliche Arbeit, im Sommer bei gefühlten 45 Grad, bei Regen und bei der Kälte im Winter“, meint Kühnel.
Sie selbst hat die Herausforderung in der Ausbildung angenommen, auch die flotten Sprüche auf den Baustellen. „Da brauchst Du schon mal ein dickes Fell.“ Genau zehn Jahre ist es inzwischen her, dass sie in Waldkirchen den Meister gemacht hat. Kühnel hat sich durchgesetzt und Respekt verschafft, ohne sich als Frau zu verleugnen. Mit ihrem Verlobten möchte sie gerne ein Kind haben. Nicht ganz einfach für eine selbstständig arbeitende Frau mit eigenem Handwerksbetrieb. Doch Stephanie Kühnel ist auch das zuzutrauen, denn mit Herausforderungen kennt sie sich aus.
Sie wollen mehr lesen über Frauen, die Dachdecker werden? Wir stellen Ihnen Victoria Weber vor, eine Ruhrpott-Dachdeckerin mit Mut und Herz.