Kluft statt Krönchen: Zimmerin Lea Heuer ist Miss Handwerk 2024
28. Mai 2024
Schubladendenken ist etwas sehr Menschliches: Es hilft unserem Hirn, sich in einer sich ständig verändernden Welt zurechtzufinden und zu orientieren. Im Umgang mit anderen Menschen führt es allerdings oft zu Vorurteilen, die mit der Realität nicht viel zu tun haben. Gerade Frauen im Handwerk machen diese Erfahrung immer wieder – zum Beispiel Lea Heuer, Zimmerin aus dem nordrhein-westfälischen Ahlen und frisch gekürte Miss Handwerk 2024. Sie hat sich darum vorgenommen, ihren Titel zu nutzen, um Klischees zu widerlegen. Sie will junge Menschen im Allgemeinen und junge Frauen im Besonderen dazu ermutigen, ihrem Herzen zu folgen und das zu tun, was sie wirklich wollen.
Vom ersten Berufswunsch Architektin zur Zimmerin
Denn mit unkonventionellen Lebenswegen und Planänderungen kennt sie sich aus: „Ich wollte eigentlich mal Architektur studieren – nun bin ich Zimmerin und damit total glücklich!“ Auf die Frage, wie es zu diesem Sinneswandel kam, erzählt die 24-Jährige: „Ich habe eine Ausbildung zur Bauzeichnerin abgeschlossen, danach wollte ich Architektur studieren. Aber ich habe schon während der Lehre bemerkt: Den ganzen Tag nur im Büro zu sitzen, das ist nichts für mich.“ Im Rahmen der Ausbildung durfte sie zwölf Wochen Praktika absolvieren. „Die habe ich genutzt, um in verschiedene Gewerke reinzuschnuppern: Rohbau, Heizung und Sanitär, Tischlerei, Dachdeckerei, Zimmerei. Letzteres hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich mich dafür entschieden habe, meine ursprünglichen Pläne zu ändern und Zimmerin zu werden. Ich wollte einfach draußen arbeiten, handwerklich auf der Baustelle tätig sein und mit dem nachhaltigen Baustoff Holz arbeiten“, erzählt Lea Heuer.
Gesellenbrief statt Bachelor
Also begann sie direkt nach der Bauzeichnerlehre die Ausbildung zur Zimmerin. Seit Sommer 2023 hat sie ihren Gesellenbrief in der Tasche, der Meisterbrief soll auch irgendwann folgen. Leicht fiel ihr diese Entscheidung nicht immer: „Anfangs hatte ich schon etwas Angst, ob ich das körperlich schaffe, ob die Männer mich akzeptieren, ob ich als Frostbeule im Winter klarkomme und so weiter“, erinnert sich Lea Heuer. Sie dachte viel nach, aber hörte am Ende auf ihr Herz. „Ich dachte mir: Wenn man etwas wirklich möchte, findet man auch für alles eine Lösung. Außerdem muss man sich an Neues eben immer erst gewöhnen, also wollte ich meinem Traum eine Chance geben. Und es war genau die richtige Entscheidung!“ Zum Glück, sagt Lea Heuer, habe sie auch schnell gemerkt, dass ihre Freunde und Familie eine tolle Unterstützung sind, „und dass ich selbst viel mehr kann und schaffe, als ich dachte“.
Zusammenarbeit mit den Kollegen und körperliche Arbeit als Glücksformel
„Was mich am meisten an meinem Beruf begeistert, ist die körperliche Arbeit, die mich abends müde und zufrieden nach Hause kommen lässt. Außerdem sehe ich immer ein Ergebnis meiner Arbeit. Es ist schon ein erhebendes Gefühl, wenn man sieht: Wow, ich habe dabei geholfen, dieses Haus aufzustellen, das ist das Ergebnis meiner Mitarbeit!“ Aber auch die Zusammenarbeit mit den Kollegen sei etwas, das sie in ihrem Job sehr schätze.
Selbstbewusst gegen Klischees und blöde Sprüche
Trotzdem braucht sie gelegentlich eine große Portion Selbstbewusstsein, um im nach wie vor von Männern dominierten Handwerk zurechtzukommen. „In der Berufsschule und auch auf der Baustelle musste ich mir zwischendurch schon manchmal einen blöden Spruch anhören. Frauen auf der Baustelle werden oft nicht für voll genommen und müssen sich erst mal behaupten. Es gibt zum Beispiel Handwerker, die gerne die jüngeren Kollegen aufziehen. Da heißt es dann etwa: ‚Nur, weil eine Frau anwesend ist, musst du nicht aufhören, zu arbeiten.‘ Das finde ich unangenehm, für mich und auch für denjenigen, dem der Spruch gilt. Am Ende wollen wir alle einfach nur unserem Traumberuf nachgehen, was soll das also.“
Durch Leistung und Können Kunden und Kollegen überzeugen
Meist werde sie aber einfach als Mensch gesehen, werde von den Kollegen unterstützt und man helfe sich gegenseitig. „Auf der Baustelle schauen die Kollegen oft erst mal, vor allem, wenn sie mich noch nicht gut kennen. Dann merken sie aber schnell, dass ich einfach meine Arbeit mache und das Ganze ist schnell kein großes Thema mehr.“ Dieselbe Erfahrung macht Lea Heuer auch mit der Kundschaft immer wieder. „Unsere Kunden sind manchmal überrascht, eine Frau auf der Baustelle zu sehen und es kommt öfter vor, dass sie das Bedürfnis haben, mir mit Tipps zu helfen. Gelegentlich ist tatsächlich was dabei, das ich interessant finde. In den allermeisten Fällen denke ich mir aber: Ich weiß, wie das geht, das ist meine Arbeit, ich kann das.“
„Es ist cool im Handwerk zu arbeiten!“
All diese Herausforderungen können die Begeisterung fürs Zimmererhandwerk jedoch nicht trüben. „Dazu mache ich das alles viel zu gerne“, lacht Lea Heuer. Was auch der Grund dafür ist, dass sie sich als Miss Handwerk 2024 beworben hat. „Ich hatte die Ausschreibung für den Titel auf Insta gesehen und fand es toll, dass da Leute sind, Gewerke- und altersunabhängig, die fürs Handwerk brennen und es den Menschen näherbringen wollen. Es ist cool im Handwerk zu arbeiten! Obwohl ich erst studieren wollte, habe ich mich umentschieden und bin meiner Leidenschaft gefolgt. Das kann ich nur jedem empfehlen, auch und gerade jungen Frauen.“
Als Miss Handwerk bundesweite Botschafterin
Im Rahmen des Branchentreffs ZUKUNFT HANDWERK wählte Ende Februar eine hochkarätige Jury Lea Heuer und Ben Yeleza Ngaleba, Maler und Lackierer aus Leverkusen, zu Miss und Mister Handwerk 2024. Die beiden vertreten nun ein Jahr lang das Handwerk als BotschafterInnen deutschlandweit auf Meisterfeiern, Messen und in den Medien. „Ich hoffe, dass ich in dieser Rolle Menschen erreichen und etwas fürs Handwerk bewegen kann“, erläutert Lea Heuer, die selbstverständlich weiterhin ihre Zimmererkluft trägt, statt Krönchen.
„Probiert alles aus, was euch interessiert“
Sie hat sich vorgenommen, die zwölf Monate als „Miss Handwerk“ zu nutzen, um soziale Projekte zu unterstützen und sich ein Netzwerk aufzubauen, um noch mehr junge Menschen zu erreichen, die mit dem Gedanken spielen, ins Handwerk zu gehen. „Dafür teile ich zum Beispiel meinen Arbeitsalltag auf Instagram. Ich will den Leuten Mut machen, den eigenen Weg zu gehen und sie inspirieren“, berichtet Zimmerin Lea Heuer. Ihr Tipp: „Wenn ihr euch fürs Handwerk interessiert, macht Praktika, schnuppert in jedes Gewerk, das euch interessiert und schaut euch alles an, probiert alles aus. Es lohnt sich!“
Sie interessieren sich für den Berufsweg von DachdeckerInnen und ZimmerInnen? Dann lesen Sie unsere Story über den jungen Dachdeckermeister Leon Hain, der für den hessischen Landesverband Nachwuchswerbung mit dem Dachtruck macht.