Erst Bankerin – dann doch Karriere als Dachdeckerin
13. August 2020
Andrea Aland ist da ganz offen. „Gleich nach dem Abitur habe ich mich nicht getraut ins Handwerk zu gehen.“ Und dies, obwohl alles ganz nah lag. „Wir haben am Betrieb gewohnt, der Opa war da.“ Seit vier Generationen gab es damals das Unternehmen Aland Bedachungen in Arnsberg im Sauerland, Mitglied der DEG Dach-Fassade-Holz eG. In diese großen, langjährig ausgetretenen Fußstapfen wollte Aland zunächst nicht treten. Und es wurde auch nicht erwartet. „Unsere Eltern haben in Sachen Nachfolge nie Druck gemacht.“ Ihre Schwester arbeitet heute als Krankenschwester im OP-Bereich und Andrea Aland startete nach dem Abitur eine Lehre als Bankkauffrau bei der Sparkasse.
Dreimonatiges Praktikum als Dachdeckerin ändert alles
Wie kam es dann zum Sinneswandel? „Schon während der Banklehre habe ich mir erste Gedanken gemacht, ob ich unseren Familienbetrieb vielleicht später kaufmännisch übernehmen könnte“, sagt die heutige Dachdeckermeisterin. Ihre Frage war damals: Wie bilde ich mich weiter? Nach der Lehre kündigte die heute 27-Jährige bei der Sparkasse und begann ein dreimonatiges Praktikum im Familienbetrieb inklusive Mitarbeit auf den Dächern. Das hat ihr so gut gefallen, dass danach alles ganz schnell ging. Erst kam die Ausbildung, dann die Meisterschule in Eslohe und jetzt gerade der Abschluss zum Geprüften Betriebswirt nach der Handwerksordnung (HwO). Letzterer bildet die höchste Qualifikationsebene im Handwerk und ist sogar mit dem akademischen Master Studium gleichgestellt.
Nach dem Meister noch den Betriebswirt HwO
Aland geht konsequent ihren eigenen Weg. Sie will so gut wie möglich vorbereitet sein, wenn sie irgendwann den Familienbetrieb vom Vater übernehmen wird. Eine Herausforderung, denn Aland Bedachungen beschäftigt 31 Mitarbeiter, darunter zwei angestellte Meister. Da kam ihr die Weiterbildung zum Betriebswirt (HwO) gerade recht. Denn diese ist berufsbegleitend konzipiert und ein echtes Fitness- und Aufstiegstraining. Im Rahmenlehrplan sieht die Handwerkskammer folgende Qualifikationsbereiche vor: Strategieentwicklung, Unternehmensführung, Personalmanagement und Innovationsmanagement. Also alles, was heute auch ein moderner Handwerksbetrieb braucht, um nachhaltig wettbewerbsfähig zu sein und die dringend benötigten Fachkräfte zu gewinnen.
Projektarbeit über „Neuinvestition für einen Kran“ gleich umgesetzt
Man bekomme eine ganz andere Sicht der Dinge und könne auf Augenhöhe besser mitreden, berichtete Aland der Westfalenpost. Daher fühle sich die Dachdeckerin jetzt beispielsweise im Gespräch mit dem Steuerberater fitter und weniger abhängig. Zusätzlich gebe es laut Aland auch den Blick über den betrieblichen Tellerrand. „Dank der beruflichen Vielfalt der Lehrgangsteilnehmer werden Gewerke übergreifend Kontakte geknüpft. Man tauscht sich aus, man lernt zusammen, man bleibt auch nach dem Kursus in Verbindung.“ Neben den schriftlichen Prüfungen steht zum Abschluss des Lehrgangs eine Projektarbeit mit einer aktuellen Problemstellung an. Die „Neuinvestition für einen Kran“ ist im Dachdeckerbetrieb Aland längst in die Praxis umgesetzt und der Kran geliefert, erzählte Aland der Westfalenpost.
Dachdeckerin startet im richtigen Moment durch
Rückblickend fügt sich für die 27-jährige Durchstarterin ihr Werdegang zu einem stimmigen Bild. „Es war der richtige Weg und der richtige Zeitpunkt, um Dachdeckerin zu werden. Nach ihrer Banklehre hatte Aland das nötige Selbstbewusstsein, um den Sprung zu wagen. „Es waren fast alles Jungs in Eslohe bei der Ausbildung zur Dachdeckerin. Ich war die einzige Frau unter 27 Männern, und es war eine tolle Zeit.“ Ein Frauenthema hatte sie nie. „Ich war jung, ich wollte lernen, das wurde von den männlichen Kollegen akzeptiert.“ Und ihr Ziel war es dabei, den Familienbetrieb irgendwann zu übernehmen, in der fünften Generation.
Eigene Bauprojekte von A bis Z
Aktuell kann sie schon viele Sachen verantwortlich machen in dem großen Betrieb. Aland betreut vor allem Privatkunden, komplett vom Auftragsgespräch über das Angebot, die Arbeitsvorbereitung und Projektplanung bis zur Übergabe. Da ist auf der Baustelle immer ein Vorarbeiter dabei. Mit ihm ist die Dachdeckerin viel im Austausch. Aland ist eine, die sehr gerne andere Sichtweise aufnimmt und von der Erfahrung anderer lernen möchte. Auch wenn sie schon viele Kompetenzen in sehr kurzer Zeit erworben hat. „Ich finde bei uns eigentlich alle Bereiche interessant. Unser Betrieb macht viel Flachdach, auch Einfamilienhäuser, Sanierungen, Reparaturen oder Austausch von Dachfenstern.“
Offiziell gehört Andrea Aland noch nicht zur Geschäftsführung, „aber mein Vater und ich entscheiden bereits alles zusammen.“ Sie selbst möchte eigene Ideen einbringen und Erfahrungen mitnehmen, gerade bei schwierigeren Baustellen. Eine Aufgabe, die sie angehen möchte, ist die Optimierung im Büro. Allerdings gilt für sie: „Digitalisierung machen wir nur da, wo es wirklich Sinn ergibt. Einen Testlauf starten wir demnächst bei den Stundenzetteln.“
Herausforderung: Fachkräfte selber heranziehen
Generell möchte die Dachdeckerin die Familientradition hochhalten und weiterhin für zufriedene Kunden und Mitarbeiter sorgen. „Die Basis sind unsere gut ausgebildeten, loyalen Mitarbeiter. Einer ist schon 40 Jahre im Betrieb, seit der Ausbildung.“ Im August startet trotz Corona wieder ein neuer Auszubildender. „Fachkräfte selber heranziehen, ist sehr wichtig. Aktuell haben wir zwei Lehrlinge, aber es ist nicht einfach, gute Bewerber zu finden“, sagt Aland. Doch einfach ist der Dachdeckerin ja auch generell zu leicht. Sie stellt sich gerne echten Herausforderungen.
Sie interessieren sich für das Thema Frauen im Handwerk? Dann lesen Sie doch unsere Story über eine Dachdeckermeisterin, die gerne Azubis betreuen würde.