Höchstes Holzhochhaus der Welt: The Ascent
15. September 2022
Bauliche Rekorde sind keine Seltenheit für die USA. Nicht zuletzt das Empire State Building in New York stand mit seinen weit über 300 Metern von 1931 bis 1972 als damalig höchstes Gebäude der Welt für Einfallsreichtum, Technik und Wagemut. Ein Holzhochhaus in Milwaukee, der größten Stadt im nördlichen Bundesstaat Wisconsin, tritt seit Mitte des Jahres in seine Fußstapfen – dank Vorfertigung und Fachwissen aus Österreich.
The Ascent, Deutsch „der Aufstieg“, ragt mit seinen 25 Stockwerken zwar nur 87 Meter in die Höhe, doch im Gegensatz zu allen Stahl-Riesen der Vereinigten Staaten ist es das erste Holz-Hybrid-Hochhaus der USA und das aktuell höchste Holzhochhaus der Welt. Für Holz-Hybride gibt es keine genaue Definition jenseits davon, dass zusätzlich zum Holz ein weiterer Baustoff eine wortwörtlich tragende Rolle spielt. Im Falle vom The Ascent wurden die ersten sechs Etagen, Teile des siebten Stockes sowie die zwei zentralisierten Fahrstuhlschächte aus Stahlbeton gefertigt.
Holzhochhaus: 18 Stockwerke aus Massivholz
Die obersten 18 Stockwerke bestehen aus Massivholz-Elementen – vorrangig amerikanische Weißfichte. In seinem Inneren beherbergt der neue Rekordhalter 259 Luxus-Apartments unterschiedlicher Größe, einen Pool, eine Parkgarage für 330 Fahrzeuge sowie in seinem Erdgeschoss Einzelhandel. Die Spitze des großflächig von Glas ummantelten Gebäudes bildet ein Gemeinschaftsbereich für die Bewohner des Gebäudes. Hier finden sich auch eine Bar und Aussichtsdecks.
Ausblick auf Holz
Die gewählte Bauweise gewährt auf jedem der Holz-Stockwerke einen Blick auf die tragenden Elemente – etwa die Hälfte der Struktur ist nach Angaben der Architekten im Inneren sichtbar. Vor Feuchtigkeit durch Wind und Wetter wird außen liegendes Holz durch Verglasung oder durch spezielle Beschichtungen geschützt. Einen guten Eindruck vom Aufbau vermittelt auch das eingebundene Zeitraffervideo.
Zwei Jahre Planung, zwei Jahre Bau
Der Spatenstich von The Ascent fand im August 2020 statt. Entworfen haben den Rekordbau die Architekten Korb + Associates. Ähnlich wie einst beim Empire State Building mussten für das nach heutigen US-Maßstäben revolutionäre Bauwerk viele Hürden genommen werden. Denn The Ascent ist das erste Holz-Hochhaus der USA überhaupt. Um dieses zu bauen, war reichlich Pionierarbeit und Detailplanung in Sachen Genehmigungsverfahren, Brandschutz, Design und Ingenieur-Holzbau notwendig.
Wissen und Holz aus Österreich
Beim Rekordträger aus den USA kommen Brettschichtholz (BSH) und Brettsperrholz (BSP) zum Einsatz – komplett vorgefertigt im oberösterreichischen Altheim und dann per Schiff in die USA transportiert für die Montage. Denn obwohl die USA über ausreichend Wald verfügen, fehlt es an Fachwissen und entsprechender Technologie. Dies ändert sich nur langsam.
Digitaler Zwilling
Denn nicht nur das Material, auch der Entwurf steht für Fortschritt. Vom The Ascent gibt es einen vollständigen digitalen Zwilling: Jeder Träger, sämtliche Deckenelemente, von jedweder Schraube bis zum Pfeiler, all das existiert auch in einem Computermodell. So konnte die hölzerne Struktur in Österreich passgenau Teil für Teil vorgefertigt werden, inklusive aller Bohrungen und Kanäle für die Haustechnik. Dabei musste exakt gearbeitet werden – Toleranz 1,5 Millimeter.
Vor Ort in Milwaukees Kunst- und Kulturviertel East Town musste das Holzhochhaus schließlich nur noch nach Bauanleitung von Fachkräften zusammengesetzt werden. Trotz des scheinbar ausufernden Aufwands in Sachen Logistik lohnt sich der Holz-Hybrid wohl dennoch im Vergleich zur Stahlbeton-Bauweise: Die Architekten gehen etwa von einer Zeitersparnis bis zur Fertigstellung von 25 Prozent aus.
Feuersicher? Aber ja!
Und da die Brandschutzbestimmungen in den USA nicht für eine Holzbauweise im Hochhaus-Segment ausgerichtet waren, musste erst gesondert gezeigt werden, dass der Entwurf sicher ist. Gemeinsam mit dem zuständigen US Forest Service untersuchten die Projektentwickler also, wie widerstandsfähig Massivholz bei einem Brand ist. Kurzum: Mehrere Holz-Träger wanderten in einen Hochleistungsofen und bestanden die Tortur mit Bravour. Die verkohlte Oberfläche des Holzträgers wirkt als eine Art Schutzschicht für den Kern. Deren Stärke wurde zur finalen Fassung der Baupläne hinzuaddiert, um die Stabilität im Brandfall zu garantieren. Neu waren diese Erkenntnisse aus wissenschaftlicher Sicht nicht, aber Holzbau über mitunter Dutzende Stockwerke ist ein junges Einsatzfeld, weswegen regulatorisch hierzu viel in Bewegung ist.
Massivholz und Klimaschutz
Doch das Potential des Holzbaus ist enorm. Denn das Massivholz in all seinen Spielarten ist einer der Hoffnungsträger für die Revolution der Baubranche weg vom Top-Kohlenstoffdioxid-Sünder hin zum Akteur für den Klimaschutz. Wälder stellen natürliche Kohlenstoffsenken dar, da sie das Treibhausgas zum Wachstum nutzen. Sie können deshalb nachhaltig als Rohstoffquellen genutzt Ausgangspunkt von Wertschöpfungsketten sein, um die herkömmliche Stahlbetonbauweise zunehmend zu ersetzen. Einer der Vorreiter in diesem Feld ist Österreich.
Die Wertschöpfungskette Holz bietet hier über 172 000 Betrieben mit rund 280 000 Mitarbeitern Einkommen. Der Produktionswert der gesamten Kette beträgt rund 12 Milliarden Euro pro Jahr. Der durchschnittliche Exportüberschuss beträgt 3,5 Milliarden Euro – einer der Hauptdevisenbringer. Fast die Hälfte der österreichischen Staatsfläche besteht aus Wald, in Relation weit mehr als in Deutschland (30 Prozent). Die Waldfläche hat in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich um jeweils 3 400 Hektar zugenommen, was über 2 000 Fußballfeldern entspricht.
Problembaum Fichte
Aber: Der Wald unseres südlichen Nachbarn setzt sich wie in Deutschland größtenteils aus Fichten zusammen, in Österreich sind es fast 60 Prozent. Dieses Holz kam auch bei The Ascent zum Einsatz und zählt zu den Bauhölzern schlechthin. Doch seine Ära geht zu Ende. Die Folgen des Klimawandels stellen für die Baumart enormen Stress dar. Anpassungen, zum Beispiel durch eine Verlagerung des Anbaus vom Flachland in die Höhenlagen seien laut dem österreichischen Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) zwar möglich. „Doch blickt man auf die nächsten 100 Jahre, dann werde es Regionen geben, wo es in Zukunft keine Fichte mehr geben wird“, so BFW-Leiter Peter Mayer. Für Deutschland gilt zwangsläufig Ähnliches. Auch in unseren Wäldern ist die Fichte neben der Kiefer der dominierende Baum, auf den wir in Sachen Massivholz für das moderne Holzhochhaus setzen.
Massivholzbau in den USA: Mehr als verzehnfacht in acht Jahren
Das höchste Holzhaus der Welt fügt sich derweil gut in eine Entwicklung ein, die seit einigen Jahren auch in den Vereinigten Staaten an Zug gewinnt: Gab es 2013 über alle Bundesstaaten verstreut nicht einmal 50 Gebäude aus Massivholz, sind 2022 bereits fast 700 moderne Holz-Bauten fertiggestellt oder befinden sich im Bau. Gut 800 weitere liegen derzeit auf den Reißbrettern der Architekten – darunter alleine 475, bei denen Brettschichtholz und Brettsperrholz wie in Milwaukee zum Einsatz kommen sollen. Zu verdanken ist dies auch den neuen Bauvorschriften für den Massivholzbau, die dank der Brandschutz- und Statiküberprüfungen schneller als erwartet umgesetzt wurden. Aktuell erfolgt die schrittweise Übernahme dieser neuen Regularien durch die US-Bundesstaaten. Bereits dabei sind neben Wisconsin Kalifornien, Utah und Washington.
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