Dachabsturz 2020: Zahl tödlicher Berufsunfälle steigt stark an
27. Oktober 2020
Oft muss erst etwas Einschneidendes passieren, bevor Menschen tatsächlich Veränderungen in die Tat umsetzen. Das gilt auch für den Dachabsturz, der zwei Drittel aller Unfälle bei Dacharbeiten ausmacht. Die Devise: Bei uns passiert das nicht, wir passen auf. Eine Gefahrenanalyse vorab für das jeweilige Dach oder eine Absturzsicherung brauchen wir nicht, kostet auch zu viel Zeit.
19-jähriger Dachdecker-Azubi stürzt tödlich ab
Bis dann zu lesen ist, dass im April 2020 ein 19-jähriger Dachdecker in Ausbildung tödlich abstürzte. Ereignet hat sich das Unglück im baden-württembergischen Neuhausen. Der junge Mann, der auf dem Dach eines Wohnhauses gemeinsam mit mehreren Kollegen arbeitete, stürzte aus bisher unbekannten Gründen von einem Dachvorsprung zweieinhalb Meter in die Tiefe. Ärztliche Hilfe kam für ihn zu spät.
Oder ein Absturz aus 17 Meter Höhe im August 2020 auf der Arena-Baustelle an der Lüner Rennbahn in Lüneburg. Auch hier stürzte ein Dachdecker aus noch ungeklärter Ursache vom Dach und wurde dabei schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Die Arbeiter, die den Vorfall miterlebt haben, mussten seelsorgerisch und psychologisch betreut werden. Sie verließen danach die Baustelle.
Zunahme der Dachabstürze ist besorgniserregend
Jeder Einzelfall ist furchtbar und einer zu viel. Und sie häufen sich. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2020 ereigneten sich 40 tödliche Arbeitsunfälle auf Baustellen – fast 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Fast die Hälfte der Unfälle lässt sich auf Abstürze oder Durchstürze zurückführen, so die aktuelle Auswertung der BG BAU. Allein zwischen April und Mitte Mai verunglückten sechs Menschen bei Dach-Durchstürzen tödlich. Das sind fast so viele wie im gesamten Jahr 2019. Auch die Zahlen für tödlichen Dachabsturz sowie Absturzunfälle von Leitern und Gerüsten ist viel zu hoch. Denn schon ein Absturz aus geringer Höhe kann, wie im oben beschriebenen Fall des Azubis fatale Folgen haben.
Eine Ursache für Dachabsturz: fehlendes Gefahrenbewusstsein
Welche Ursachen sieht die BG Bau für den Anstieg tödlicher Dachabstürze 2020? Die meisten Unfälle sind auf Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften, wie zum Beispiel das Arbeitsschutzgesetz oder die Unfallverhütungsvorschrift Bauarbeiten, zurückzuführen. Probleme bereiten aber auch das fehlende Gefahrenbewusstsein sowie Nachlässigkeiten von manchen Beschäftigten.
„Gefährdungsbeurteilungen dürfen daher nicht als lästige Pflicht gesehen, sondern müssen schon bei der Planung der Arbeiten vorgenommen werden“, sagt Bernhard Arenz, Präventionsleiter BG Bau. Notwendig seien ebenso regelmäßige und baustellenspezifische Unterweisungen der Beschäftigten, auch um Nachlässigkeiten durch Routine bei älteren Berufstätigen und fehlende Erfahrungen bei den Jüngeren auszugleichen.
Gefahrenquellen für Dachabsturz: Oberlichter und Lichtbänder
Gerade Lichtbänder und Lichtkuppeln aus Acryl oder Polycarbonat können zu Todesfallen werden. Nach der Herstellung zunächst durchsturzsicher, kann der Kunststoff aufgrund der Witterung sowie nutzungsbedingt jedoch zunehmend spröde werden. Bei allen Oberlichtern wie Lichtkuppeln, Lichtbändern, Lichtplatten, Glasoberlichter und Shed-Verglasungen ist deshalb Vorsicht geboten.
Dazu Arenz: „Oberlichter müssen mit festen Absturzsicherungen, etwa Geländern sowie innen- oder außenliegenden Gittern geschützt sein.“ Bei allen Arbeiten in der Umgebung, beispielsweise beim Auswechseln von Oberlichtern, müssten zudem geeignete persönliche Schutzausrüstung (PSA) vor Ort und ein Rettungskonzept vorhanden sein.
Beitragsunabhängig: neues Prämienpaket der BG Bau gegen Dachabsturz
Hochgelegene Arbeitsplätze und unzureichende Sicherheitseinrichtungen sorgen immer wieder für schwere und tödliche Arbeitsunfälle. Mit dem neuen Prämienpaket gegen Dachabsturz bietet die BG BAU jetzt beitragsunabhängige Förderungen. Unternehmen sollen so finanziell dabei unterstützt werden, verstärkt in Sicherheit und Absturzprävention zu investieren – unabhängig von ihrem Mitgliedsbeitrag. Die Fördersumme beträgt bis zu 10.000 Euro.
Zudem gibt es weiterhin die beitragsabhängige Förderung der BG Bau. Mit finanziellen Anreizen über Prämien wird die Anschaffung spezieller Sicherungssysteme gegen Dachabsturz unterstützt, wie Podestleitern, Stufen-Schiebeleitern, Kleinsthub-Arbeitsbühnen, Ein-Personengerüste oder temporäre Lifeline-Systeme mit Höhensicherungsgerät und Auffanggurt.
Dachabsturz hat den Chef wachgerüttelt
Gut investiertes Geld, wie ein Geschäftsführer eines Dachdeckerbetriebs es anonymisiert auf der Homepage der BG Bau formuliert. Nachdem ein Mitarbeiter in Anwesenheit von Kollegen tödlich durch eine nicht tragfähige Wellplatte auf einem Flachdach abstürzte, hatte es ihn wachgerüttelt. „Ich habe viel investiert in neue persönliche Schutzausrüstung und arbeite eng mit einem Gerüstbauer im Nachbarort zusammen. Sicherheit und Gesundheit stehen für uns nun an erster Stelle und ohne Schutz geht keiner mehr aufs Dach. Es ist traurig, dass wir das auf die harte Tour lernen mussten. Und wir müssen nun alle damit leben.“
Sie interessieren sich für sinnvolle Maßnahmen gegen Dachabsturz. Dann lesen Sie unsere Story über PSA-Schulungen und den Aha-Effekt im Auffanggurt.
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