Dachdeckermeisterin Joana Wegner kämpft für ihre Azubis
14. September 2023
Inzwischen lehnt Joana Wegner alle weiteren Interviewanfragen ab. Die Dachdeckermeisterin hatte Ende August via Facebook ein Schreiben an einen Kunden online gestellt. Der Post wurde bis heute rund 7000 Mal geteilt, knapp 1000 Nutzer kommentierten ihn – fast nur positiv. Der NDR und RTL, die lokale Nordsee-Zeitung und viele andere Medien berichteten. Stein des Anstoßes war, dass der Kunde den in Rechnung gestellten Stundenlohn von 35 Euro für den Auszubildenden nicht bezahlen wollte. Die Begründung: Der hat ja nur dem Gesellen bei der Arbeit zugeschaut.
Kunde wollte Lehrlingslohn nicht bezahlen
„Für mich war diese Reaktion das i-Tüpfelchen. Denn leider kommt es hin und wieder vor, dass Kunden den in Rechnung gestellten Stundenlohn für unsere Auszubildenden nicht bezahlen wollen. Aussagen wie ‚der Stand ja nur da und hat die Leiter festgehalten‘ oder ‚ich bezahle doch nicht ihre Ausbildung‘ kommen uns dann zu Ohren“, erzählt Joana Wegner. Ihre Devise: „Nicht mehr mit uns!“ Sie erstattete dem Kunden den Stundenlohn des Lehrlings und beendete freundlich aber bestimmt die Zusammenarbeit. „Da Ihnen die Ausbildung der Fachkräfte von morgen scheinbar nichts wert ist, möchte ich Sie bitten, beim nächsten Problem mit Ihrem Dach eine andere Dachdeckerei zu kontaktieren.“
Es geht um Anerkennung und Wertschätzung
Gerade angesichts des Fachkräftemangels und fehlenden Nachwuchses traf der Post wohl den Nerv der Zeit. Für Joana Wegner geht es darüber hinaus auch um Anerkennung und Wertschätzung für Arbeit und Dienstleistung. „Dafür gilt es einzustehen.“ Und was die Ausbildung angeht: „Jeder von uns hat doch mal angefangen zu arbeiten und zu lernen.“ Auch ihre Mitarbeiter waren entsetzt, dass da ein Kunde den Auszubildenden nicht bezahlen wollte. Im Betrieb Wegner Bedachungen aus Loxstedt bei Bremerhaven, Mitglied der Dachdecker-Einkauf Nordwest eG, sind 17 gewerbliche Mitarbeiter beschäftigt, darunter fünf Lehrlinge. „Uns ist die Ausbildung in unserem Gewerk sehr wichtig, denn wir wollen auch in 30 Jahren noch mit guten, motivierten und fähigen MitarbeiterInnen in unserem Betrieb auf dem Markt präsent sein. Daher stecken wir viel Zeit und Engagement in die Ausbildung unseres Nachwuchses“, schreibt Joana Wegner in ihrem Kundenbrief.
Betrieb ist präsent auf Ausbildungsmessen
Zeit und Engagement braucht es dafür auch. Die Dachdeckermeisterin ist auf der Berufsinfobörse im nahen Bremerhaven und von drei Schulen in ihrem niedersächsischen Landkreis vertreten, jedes Jahr mit einem Stand. Zudem ist sie Lehrlingswartin der Dachdeckerinnung. „Wir bekommen aktuell ohne Probleme Auszubildende“, sagt Joana Wegner. Aber sie tut auch etwas dafür und zeigt eben auch gegenüber Kunden Rückgrat. „Wir lieben, was wir tun. Wir bilden aus Überzeugung aus und wir freuen uns jedes Jahr aufs Neue über interessierte junge Menschen, die den Weg ins Handwerk finden und eine Ausbildung bei uns machen wollen, und das muss wertgeschätzt werden.“
„Diese Frau muss geehrt werden“
Die Resonanz auf ihre klare Haltung ist sehr positiv in den sozialen Medien. So gab es etwa auf dem Instagram-Profil der NDR-Sendung Hallo Niedersachsen, wo der Beitrag mit Joana Wegner zu sehen ist, über 30 000 Likes für den Post – viel, viel mehr als sonst. Eine Nutzerin kommentierte: „Diese Frau muss von der Handwerkskammer geehrt werden. Wer so für seine Azubis einsteht, der muss belohnt werden. Ohne Handwerker sehen wir alle alt aus.“ Die Gläßner GmbH von Kollege Yannick Menkhoff meldete sich auf dem Instagram-Profil von Wegner Bedachungen zu Wort: „Klare Haltung! Wir können eure Perspektive voll und ganz verstehen. Eure Einstellung zur Ausbildung zeigt eure langfristige Denkweise und das Engagement für das Handwerk. Mit dieser Art von Kunden haben wir – leider – auch Erfahrungen gemacht.“
„Respekt an die Firmenleitung“
Die Kommentare auf Facebook sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache. Da heißt es etwa: „Als Inhaber eines Handwerksbetriebes kann ich nur sagen, alles richtig gemacht. Selbst ungelernte Helfer kosten Geld und müssen bezahlt werden. Solche Kunden werden sich zukünftig noch umsehen, dass überhaupt noch jemand kommt.“ Oder: „So muss man zu seinem Beruf und hinter seinen Angestellten und Azubis stehen – großartig! Deine Mitarbeiter können froh sein, so eine Chefin zu haben.“ Und zum Abschluss: „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Auszubildende lernen unter anderem durch zusehen und sollen auch dafür ihren Lohn bekommen! Respekt an die Firmenleitung.“
Im Bekanntenkreis zum Nachdenken anregen
Joana Wegner hat eine solch enorme Resonanz überhaupt nicht erwartet. „Wenn ich das gewusst hätte, wäre der Kundenbrief gar nicht online gegangen. Ich wollte nur in meinem Bekanntenkreis zum Nachdenken anregen.“ Das ist ihr offenbar gelungen, allerdings mit weit größerer Wirkung. Doch da sie jetzt keine Interviews mehr annimmt, kann sie sich wieder dem widmen, was sie am liebsten macht, ihrem Job als Dachdeckermeisterin und Inhaberin von Wegner Bedachungen.
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