Fachkräfte: Patrick Gottlieb macht Fußballer zu Dachdeckern
2. Juli 2024
Was haben der SV Wehen Wiesbaden, die TGSV Holzhausen und die Gottlieb Bedachung GmbH, Mitgliedsbetrieb der DEG Alles für das Dach eG, miteinander zu tun? Auf den ersten Blick wenig. Viele Geschichten kann man sich nicht ausdenken, die schreibt das Leben. So wie die von Patrick Gottlieb – Dachdecker und Fußballer aus Leidenschaft – der Beruf, Nachwuchsgewinnung und Sport miteinander verbindet.
„Immer du und dein Sport“
18 Jahre ist Patrick Gottlieb jetzt als Jugendtrainer aktiv und fährt zweimal die Woche Richtung Trainingsplatz. Und das, obwohl im Handwerk ein pünktlicher Büro- oder Arbeitsschluss nicht wirklich leicht fällt. Seine Sekretärin frotzelt gerne: „Immer du und dein Sport.“ Neulich hat er geantwortet: „Zieh doch mal die Fußballer bei unseren Mitarbeitern ab. Zähl durch, wie viele dann noch da wären.“ Auf die Frage, was die Fußballer gegenüber anderen Jugendlichen auszeichnet, findet Patrick Gottlieb schnell eine Antwort: „Ganz klar Zuverlässigkeit, Vertrauen, Verantwortungsbewusstsein und Teamgeist. Das ist das, was den Mannschaftssport ausmacht. Was dort gelernt wird, ist für Betriebe so wichtig.“
Nachwuchswerbung im lokalen Sportverein über ehrenamtliches Engagement, diese Idee liegt eigentlich auf der Hand. Doch bislang gehen wenige Betriebe diesen Weg. Patrick Gottlieb ist damit so erfolgreich, dass sein Engagement bereits überregionales Interesse weckt. So wurde der Dachdeckermeister im ZVDH-Podcast interviewt zu seiner Azubi-Werbung im Fußballverein.
Dachdeckerei beim Hausbau seines Vaters kennengelernt
Patrick Gottlieb hat Fußball schon in der Schule gerne gespielt und folgerichtig auch den Sport-Leistungskurs belegt. Die berufliche Richtung hingegen stand lange Zeit noch nicht fest. Allerdings hat der Vater 1991, als Patrick Gottlieb 15 war, ein Mehrfamilienhaus gebaut. Abends und an Wochenenden ging es wie selbstverständlich mit auf die Baustelle. Die Arbeit der Zimmerleute hat ihn immer fasziniert, bei den Dachdeckern war er komplett dabei. Aber erst mal Abitur, dann Bundeswehr und eigentlich stand ein Maschinenbaustudium anfangs noch im Fokus. Doch mit der Baustellenerfahrung im Rücken reifte zunehmend der Gedanke: „Handwerk kann funktionieren!“
Inzwischen 20 Jahre erfolgreich selbstständig
Es gab wenige Dachdecker im Umkreis von Hohenstein im Taunus, gelegen zwischen Limburg und Wiesbaden. Die Lehre fand in einem kleinen Betrieb statt, die wichtigen Erfahrungen sammelte er danach in einem großen Unternehmen. Fußballer haben den Drang zum Tor, Ziel ist stets die Vorwärtsbewegung, und Kicker wissen, das geht nur als Mannschaft. Schnell stand fest: Patrick Gottlieb braucht eine eigene Mannschaft und deshalb war die Selbstständigkeit der logische nächste Schritt. Mit der gleichen Zielstrebigkeit wie im Sport hat Patrick Gottlieb dann den Meisterbrief erworben und die Firma 2004 gegründet, die er mit Erfolg seit 20 Jahren führt.
Zweimal Jugendtrainer für zwei Söhne
Fußball spielt er nur noch aus Spaß oder zum Aushelfen in der „Zweiten“. Er trainiert jetzt die Jugendlichen. Auch das hat sich eher zufällig entwickelt, denn der jüngere Sohn Luis wollte – wie auch sein älterer Bruder – Fußball spielen. Weil beim örtlichen TGSV Holzhausen gerade kein Trainer zur Verfügung stand, hat Patrick Gottlieb das Training der Jugendmannschaft kurzerhand übernommen. Das Trainerhandwerk hatte er bereits für seinen älteren Sohn vor 20 Jahren erlernt. Die aktuelle Mannschaft hat er von der B-Jugend an begleitet. Der eine oder andere Erfolg ist dabei herausgesprungen.
Fünf Fußballer aus seinem Team werden Dachdecker
Was er nicht geplant, ihn aber gefreut hat, ist, dass fünf Jugendspieler aus dieser Mannschaft als Lehrlinge bei ihm im Betrieb angefangen haben. Und einer aus der Mannschaft des älteren Sohns hatte schon ein paar Jahre vorher das Dachdeckerhandwerk erlernt. Dabei nimmt Patrick Gottlieb gerne in Kauf, dass Fußball als gefährlich gilt. Gelegentlich legt mal ein Bänderriss einen Sportler lahm, der dann nicht arbeiten kann. Vor allem aber wegen der „Montagskrankheit“ wollen viele Unternehmen keine Kicker beschäftigen. Manche erteilen sogar Fußballverbot. Für den leidenschaftlichen Fußballer vom Dach ist das kein Thema. „Ich praktiziere hier so eine Art Verknüpfung von Hobby und Beruf, Chef und Trainer“, erläutert Patrick Gottlieb.
Ein Zufallstreffen begründet Kooperation
Dass der Fußball gerne große Netzwerke knüpft, sollte Gottlieb, der auch im Vorstand der Kreishandwerkerschaft sitzt und viele Menschen kennt, schnell erfahren. Eines Tages – bei einem guten Spiel im Rheingau – fiel ihm ein Name auf der Spielerliste auf: Finn Minzel. Es war tatsächlich der Sohn von Alf Minzel, einer Legende beim SV Wehen Wiesbaden. Und so stand dieser Ex-Profi, der gerade ins Marketing des aktuellen Drittligisten gewechselt war, neben Patrick Gottlieb am Spielfeldrand. Das Spiel ging zu Ende ohne Kontaktaufnahme zwischen den beiden Fußballvätern. „Ich wollte nicht wie ein Papa wirken, der bei einem Fußballstar Vorteile für die Karriere des eigenen Sohnes sucht“, erinnert sich Patrick Gottlieb.
Handwerkerloge beim SV Wehen Wiesbaden
Ein schöner Zufall also, aber ohne weitere Folgen? Nach dem Spiel an der nächsten Tankstelle hielt allerdings ein Auto hinter ihm. Alf Minzel stieg aus. „Ich habe den Firmennamen auf deinem Auto gesehen und mir haben schon viele gesagt, du musst den Patrick Gottlieb kennenlernen. Warum sagst du nichts?“ Das wollte der Ex-Profi schließlich wissen. Minzel selbst kommt aus einer Handwerker-Familie und war auf der Suche nach Schnittstellen zwischen Handwerk und dem Verein. Schnell entstanden Kooperationen, wurden soziale Projekte unterstützt und Handwerksfirmen spendeten Trikots für Kinder. Gleichzeitig entstand in der Brita-Arena, dem Stadion des SV Wehen Wiesbaden, eine Handwerker-Loge. Hier trifft sich das Handwerk und befördert die Netzwerkarbeit zwischen Sport und Wirtschaft. „Das Ergebnis ist riesig“, schwärmt der Dachdeckermeister.
Freisprechungsfeier im Fußballstadion
„Nur in der Loge sitzen bringt allerdings nichts“, erläutert Patrick Gottlieb. „Man muss auch auf Veranstaltungen gehen und am besten selbst welche organisieren. So fand eine große Freisprechungsfeier für die Dachdeckergesellen in der Brita-Arena statt, moderiert von Tobias Radloff, Radio FFH. „Viel mehr Eindruck kann man bei jungen Menschen kaum hinterlassen. Die sind alle total stolz auf ihren Beruf, tragen gerne ihre Zunftklamotten, sogar beim Friseur“, so Patrick Gottlieb. Sohn Luis Darwin ist inzwischen auch mit dem Dachdecker-Virus infiziert. Nach dem Fachabitur startete er seine Ausbildung, ist im zweiten Lehrjahr, hat bereits die Zwischenprüfung hinter sich und begleitet den Papa schon auf Innungsversammlungen. „Da ist offensichtlich vieles richtig gelaufen“, stellt Patrick Gottlieb zufrieden fest.
„Alf Minzel spielt jetzt auch bei mir Fußball in unserer Herrenmannschaft“, sagt Gottlieb stolz. Und ein bisschen wirkt Alf Minzel auch als Motivator im Holzhäuser Team mit. Der SV Wehen Wiesbaden und die TGSV Holzhausen haben längst eine Partnerschaft vereinbart. Der große Bruder weicht gelegentlich bei Spielen von Jugendmannschaften auf den Sportplatz im Dorf aus. Der Spielertrainer von Holzhausen ist Thorsten Barg, der außer in Bochum natürlich in Wiesbaden gespielt hat, bis ein Achillessehnenriss die Profikarriere beendete.
Spaß an der Sache ist die beste Motivation
Im Betrieb Gottlieb Bedachungen spielen heute insgesamt zehn Mitarbeiter aktiv Fußball. Alle haben ihre eigene Geschichte dazu, einer hat beispielsweise vorher woanders Fußball gespielt und neben der Firma auch konsequent den Verein gewechselt. Ohne das Vorbild Patrick Gottlieb, sein ehrenamtliches Engagement und sein gutes Netzwerk wäre diese Entwicklung kaum möglich. Eine beeindruckende Geschichte, in der sich Sport und Handwerk über die gemeinsamen Tugenden wunderbar verbinden. Nachwuchswerbung leicht gemacht? Irgendwie schon, wenn man feststellt, dass der Spaß an der Sache die beste Motivation für alles ist. Das gilt für den Sport und den Beruf gleichermaßen.
Sie interessieren sich für interessante Ideen in der Nachwuchswerbung? Dann lesen Sie unsere Story über Dachdeckermeister Tim Evertz, der die 4-Tage-Woche im Betrieb eingeführt hat.