Mit 21 Jahren Dachdeckermeisterin statt Krankenschwester
13. Oktober 2020
Der Start als Dachdeckerin war schon echt hart für Lilly Wiegel. „Ich war am Anfang noch das kleine schüchterne Mädchen und habe nicht viel raus bekommen.“ Dazu kam die Umstellung auf die schwere körperliche Arbeit auf dem Dach und das Wetter – heiß im Sommer und sehr kalt im Winter. Es gab da den Punkt während der Ausbildung im elterlichen Betrieb, wo Wiegel dachte, „ich kann nicht mehr“. Doch dann hat die heute 21-Jährige die Kurve bekommen. Sie redete mit den Eltern und entschied sich, die Lehre durchzuziehen und dann zu schauen, wie es weitergehen soll.
Dachdeckermeister mit Ehrgeiz und starkem Willen
Wiegel ist keine die einfach aufgibt, wenn es schwierig wird. Vielmehr erwacht dann der Ehrgeiz in ihr. „Wenn ich abgebrochen hätte, wäre ja alles super klar gewesen nach dem Motto: Das Mädchen kann nicht schleppen. Da wollte ich alle vom Gegenteil überzeugen“, erinnert sich Wiegel. Und sie ist dann so richtig reingewachsen als Dachdeckerin. „Die Arbeit ist echt meins, ich mache alle Aufgaben gerne.“ Besonders liegen ihr dabei die kleinen, filigranen Sachen, die Blech- und Klempnerarbeiten oder das Schweißen auf dem Flachdach.
Dachdeckermeisterin werden mit dem Ziel Chefin
Nach der Realschule hätte Wiegel noch nicht gedacht, dass sie mal Dachdeckermeisterin wird. „Ich habe überlegt, ob ich noch mein Fachabitur mache und wollte eher in den medizinischen Bereich.“ Doch nach einem Praktikum im Krankenhaus war das Thema schnell wieder vom Tisch. „Mit Papa war ich dann am Girls’Day mit draußen auf den Baustellen, das war ganz cool.“ Und danach kam der Gedanke, doch im elterlichen Betrieb Dachdeckerin zu lernen. Auch schon mit der Überlegung, später mal selbst die Chefin zu sein bei der Dachdeckerei Wiegel im niedersächsischen Wittmar, Mitgliedsbetrieb des Dachdecker-Einkaufs Ost eG.
Und da Wiegel nach der Ausbildung schon gut drin war in der Theorie, machte sie direkt im Abschluss an die Lehre den Meister in St. Andreasberg, alle vier Teile in neun Monaten Vollzeit. Dort war die 21-Jährige zwar nicht die einzige Frau aber die jüngste Teilnehmerin. „Das war eine spannende Herausforderung, gerade auch in Corona-Zeiten. Aber wir hatten eine sehr vielfältige Gruppe und haben uns untereinander gut verstanden.“ Als Dachdeckermeisterin kehrte sie im Sommer in den Familienbetrieb zurück. Und wie hat das Umfeld reagiert? „Meine Eltern waren sehr stolz, das hatten sie ja so nicht erwartet. Das gilt auch für meine Freunde, die sich richtig mitgefreut haben“, erzählt Wiegel.
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Praktische Erfahrungen sammeln und erste Aufgaben im Büro übernehmen
Nun ist sie wieder zurück auf den Dächern der Region, wie geht es da weiter? „Ich will erstmal viel draußen sein und weiter praktische Erfahrungen sammeln. Dazu kommen auch erste Aufgaben im Büro: Angebote oder Rechnungen schreiben. Und mein Vater nimmt mich mit zu Kundengesprächen und führt mich langsam ein“, berichtet die Dachdeckermeisterin. Neben ihr und Papa Dirk Wiegel als Meister arbeiten im Betrieb aktuell noch drei Gesellen und zwei Lehrlinge.
„Die Größe ist für mich in Ordnung. Ich mag es lieber kleiner und familiärer“, erläutert Lilly Wiegel. Gerade das Ausbilden ist ihr sehr wichtig. „Wir wollen alles richtig machen, damit die Mitarbeiter auch als Gesellen gerne bei uns bleiben.“ Bislang klappt das sehr gut und die Dachdeckermeisterin möchte ihren Teil dazu beitragen, dass dies so bleibt. Auf Instagram postet sie seit dem Abschluss der Meisterschule Beiträge über ihre Arbeit, realistisch, freundlich mit Spaß und bodenständig. So macht sie auf ihre Weise erfolgreich Werbung für den Beruf Dachdecker.
Dachdeckermeisterin will vielleicht noch Bauingenieurin studieren
Gibt es Pläne für die Zukunft, Dinge, die sie gerne in Angriff nehmen möchte? „Ich bin da eher noch unschlüssig“, sagt Wiegel. Was sie sich vielleicht vorstellen kann, ist ein zusätzliches Studium als Bauingenieurin. Doch das ist Zukunftsmusik. Und wie sieht es privat aus? „Ich bin sehr gerne mit Menschen zusammen, den Freunden und der Familie. Und das Reisen ist meine Leidenschaft. Es macht mir Spaß, verschiedene Länder und Kulturen näher kennenzulernen.“
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