
Gefahrstoffverordnung: neue Anforderungen für Dachdecker
25. Februar 2025
Zum 5. Dezember 2024 ist die novellierte Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) in Kraft getreten. Die neuen Regelungen haben praktische Auswirkungen für Dachdecker, insbesondere im Umgang mit asbesthaltigen Materialien. Philip Witte, Leiter Messe und Marketing beim Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) und Experte für Entsorgung, Recycling, Arbeits- und Umweltschutz, erläutert die neuen Anforderungen und Herausforderungen der Novelle für die Dachdeckerbetriebe.
Ampel-Modell mit Risikostufen
Die neue Gefahrstoffverordnung bringt wesentliche Änderungen im Umgang mit Asbest mit sich. Sie führt ein risikobasiertes „Ampel-Modell“ ein, das Tätigkeiten in drei Risikostufen einteilt. Das Konzept definiert folgende Bereiche:
Grün: geringes Risiko (Asbest-Faserstaubbelastung < 10 000 Fasern/m³),
Gelb: mittleres Risiko (Asbest-Faserstaubbelastung < 100 000 Fasern/m³) und
Rot: hohes Risiko (Asbest-Faserstaubbelastung > 100 000 Fasern/m³).
Mit dem Ampel-Modell existiert für die Betriebe jetzt ein praxistaugliches Instrument, um bei der Arbeit mit krebserzeugenden Gefahrstoffen die Schutzmaßnahmen risikobezogen festlegen zu können. Je höher die Belastung am Arbeitsplatz ist, desto anspruchsvoller müssen die Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten sein.

Schulungspflicht für Mitarbeiter
Arbeiten mit Asbest dürfen ab sofort nur noch von Mitarbeitern ausgeübt werden, die über Grundkenntnisse zu Asbest, die sogenannte Fachkunde, verfügen. Diese Qualifikation können die Beschäftigten durch einen Fortbildungskurs mit zehn Lehreinheiten, zum Beispiel als E-Learning bei der BG Bau, erwerben. Da die Anforderung an die Qualifikation der Beschäftigten neu eingeführt wird, gilt hierfür eine dreijährige Übergangsfrist bis Dezember 2027. Klar ist: geschulte Mitarbeiter sind sensibilisiert für die gesundheitlichen Gefahren im Umgang mit Asbest.
Arbeiten zur funktionalen Instandhaltung
Mit der neuen Gefahrstoffverordnung werden bestimmte Arbeiten zur funktionalen Instandhaltung im Bereich geringer und mittlerer Risiken legalisiert. Das können laut BG Bau Arbeiten wie das Fräsen eines Schlitzes in asbesthaltigem Putz zur Verlegung einer Elektroleitung sein. Diese waren bislang formal nicht zulässig, dürfen aber jetzt mit den entsprechenden Schutzmaßnahmen durchgeführt werden.
Kein Überdeckungsverbot mehr für asbesthaltige Bitumenbahnen
Die feste Überdeckung, Überbauung oder Aufständerung von Asbestzementdächern, etwa durch Photovoltaikanlagen, bleibt untersagt. Neu hinzugekommen in der Gefahrstoffverordnung ist ein Überdeckungsverbot für Asbestzement-Wand und -Deckenverkleidungen sowie asbesthaltige Bodenbeläge.
Hingegen dürfen asbesthaltige Bitumenbahnen fortan überdeckt werden. „Das ist eine der wenigen positiven Neuerungen. Sobald diese Regelung rechtlich verankert ist, schafft das endlich Rechtssicherheit bei einem lange umstrittenen Thema“, erläutert Philip Witte vom ZVDH. Verboten bleiben laut BG Bau in Zukunft weiterhin die Reinigungs- und Beschichtungsarbeiten an nicht vollflächig beschichteten Asbestzementdächern und Außenwandverkleidungen aus Asbestzement.

Förderung: BG Bau hilft bei der Umsetzung
Um die Anforderungen der neuen Gefahrstoffverordnung sicher und rechtskonform umzusetzen, stellt die BG BAU ihren Mitgliedsunternehmen folgendes Angebot zur Verfügung: Mit der Arbeitsschutzprämie „Schutzpaket für das Bauen im Bestand“ fördert die BG Bau mit bis zu 5000 Euro die technische Grundausstattung, die für ein sicheres Arbeiten an asbesthaltigen Materialien erforderlich ist. Dazu gehören etwa Handmaschinen mit Absaugung, Bauentstauber, Luftreiniger oder Staubschutztüren sowie Schleusen.
Kritik an der Abschwächung der Veranlasserpflicht
Besondere Kritik erfährt die Entscheidung, die Veranlasserpflicht nicht zu stärken. Ursprünglich sollte die Verantwortung für die Asbesterkundung vor Beginn von Bauarbeiten beim Bauherren liegen. In der finalen Fassung der Gefahrstoffverordnung wurde diese jedoch weitgehend wieder gestrichen. Bauherren müssen nun lediglich Informationen bereitstellen, die ihnen „mit zumutbarem Aufwand“ verfügbar sind. Was darunter zu verstehen ist, bleibt laut Witte jedoch vage. „Die Streichung der ursprünglich vorgesehenen Veranlasserpflicht ist eine rein politische Entscheidung, die den Ergebnissen des nationalen Asbestdialogs widerspricht.“

Dachdecker müssen über Asbestbeprobung entscheiden
Die Konsequenz: Dachdecker sind gezwungen, im Zweifel kostenpflichtige Asbestbeprobungen zu veranlassen und in ihrer Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen. „Das Ergebnis verlagert die gesamte Last auf die Betriebe“, kritisiert Witte. „Die Dachdecker müssen entscheiden, ob sie auf Grundlage der wenigen Fakten, wie zum Beispiel das Datum des Baubeginns, eine Beprobung veranlassen oder potenziell gesundheitliche Gefahren ignorieren.“ Diese Regelung verursacht laut Witte nicht nur mehr Bürokratie, sondern erhöht auch das Risiko für die Gesundheit der Mitarbeiter, insbesondere in Betrieben, die weniger sorgfältig arbeiten.
Gefahren und Wettbewerbsverzerrung
Die fehlende Veranlasserpflicht sorgt für weitreichende Problemen. „Sie kann dazu führen, dass weniger gewissenhafte Unternehmen Schutzmaßnahmen vernachlässigen, um Kosten zu sparen“, erklärt Witte. Die gesundheitlichen Risiken von Asbest sind seit Jahrzehnten bekannt. Dennoch gibt es zahlreiche Altlasten in Gebäuden, die vor dem Asbestverbot von 1993 errichtet wurden. Asbestfasern können schwerwiegende Krankheiten und Lungenkrebs verursachen. „Jeder Mitarbeiter hat das Recht, vor solchen Gefahren geschützt zu werden“, betont Witte.

Rückkehr zur Veranlasserpflicht gefordert
Philip Witte fordert eine Umsetzung der Veranlasserpflicht, wie sie im nationalen Asbestdialog noch Konsens war. „Die Verantwortung für die Gefahrstofferkundung muss bei den Bauherren liegen. Nur so kann eine einheitliche Rechtsgrundlage geschaffen werden, die verhindert, dass die Gesundheit der Dachdecker durch unsachgemäßen Umgang mit Asbest gefährdet wird.“ Zusätzlich sei verstärkte Aufklärung notwendig. Der ZVDH setzt dabei immer mehr auf digitale Plattformen und eine intensivierte Öffentlichkeitsarbeit, um die Betriebe zu informieren.
Trotz der Mehrbelastung appelliert Witte an die Dachdecker, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. „Ehrlich währt am längsten. Wir können nicht darauf warten, dass die Politik alle Probleme löst. Es liegt an uns, die Gefährdungsbeurteilung ernst zu nehmen und für die Sicherheit unserer Mitarbeiter zu sorgen.“
Sie interessieren sich für das Thema Arbeitssicherheit? Dann stöbern Sie doch einmal in unserer entsprechenden Rubrik.