Carina Ahrens: Alleinerziehende Mutter lernt Dachdeckerin
Bild von Dachdeckerin Carina Ahrens und den Dachdeckermädelz

Carina Ahrens: Alleinerziehende Mutter lernt Dachdeckerin

3. Dezember 2024

 · Anja Streiter

Mit der Endnote 1,14 im Abschlusszeugnis der Berufsschule und einer besonderen Auszeichnung für ihr einzigartiges Berichtsheft hat Carina Ahrens im August die Gesellenprüfung in ihrem Traumberuf Dachdeckerin bestanden. Seit 2021 trägt die als Heimkind aufgewachsene junge Mutter allein die Verantwortung für ihre beiden Töchter, sechs und acht Jahre alt. Der größte Wunsch der Jung-Gesellin ist, für ihre Kinder und im Beruf ein Vorbild zu sein. „Ich möchte so gerne etwas für die Zukunft tun. Ich will dazu beitragen, dass das, was schlecht läuft, ausgeglichen wird.“

Es ist ein Geschenk, lernen zu können

Für Carina Ahrens ist Zeit zum Lernen ein Privileg. Die Lehre erschien ihr als Luxus-Zeit und das Ausbildungszentrum St. Andreasberg wie ein 4-Sterne-Hotel. „Wir wurden bekocht, hatten tolle Freizeitangebote, unsere Zimmer wurden geputzt und wir durften uns ganz aufs Lernen konzentrieren.“ Die Worte von Sascha Apel, Mitinitiator des Bremer Dachdecker Campus und Obermeister der Dachdeckerinnung Bremen zur Freisprechung im August 2024 klingen in der Jung-Gesellin nach: „Es ist ein Geschenk, lernen zu können. Hört nie auf, an euch und euren Fähigkeiten zu arbeiten.“

Bild von Dachdeckerin Carina Ahrens, sie sitzt am Pressetisch im Bremer Weserstadion
Im Rahmen der Freisprechungsfeier im Bremer Weserstadion sitzt Carina Ahrens dort, wo sonst Trainer Ole Werner und die Fußballer der Presse Rede und Antwort stehen. (Foto: Dachdeckerinnung Bremen)

Kreative Lösung für das Berichtsheft

Carina Ahrens hat in der Lehre an ihren Fähigkeiten gearbeitet. Wegen einer Lese- und Schreibschwäche fühlte sie sich beim Berichtsheft verloren. Aber sie findet eine kreative Lösung. Als ihre Töchter sich einen Bausatz für ein Haus wünschen, stellt sie eine Verbindung zur Dokumentationsaufgabe her und baut mit den Kindern ein Mini-Haus, an dem sie detailliert Dach-, Wand- und Abdichtungstechniken sowie Klempnerarbeiten darstellt. Sie ringt sich auch durch, die wöchentliche Arbeit und die freien Tätigkeiten gut aufzuschreiben. „Das ist so wichtig!“, unterstreicht sie und zitiert schwungvoll ihre Berufsschullehrerin Vera Linke: „Durch die Hand in den Verstand!“ Alles Nötige für eine gute Prüfung zu schaffen, war für Carina Ahrens nicht leicht. „Aber ich wollte meinen Kindern zeigen, dass man seine Träume verwirklichen kann, wenn man es will.“

Bild von Berichtsheft von Dachdeckerin Carina Ahrens
Carina Ahrens hat ein Berichtsheft der besonderen Art geschaffen. (Foto: Dachdeckerinnung Bremen)

Vom Kinderheim ins Handwerk

Als sie selbst so alt war, wie ihre jüngste Tochter heute ist, wurden die heute 31-jährige Carina Ahrens und ihr Bruder vom Jugendamt in Obhut genommen. Nach einem kurzen Zwischenspiel bei einer desinteressierten Pflegefamilie lebte sie in einem Kinderheim im niedersächsischen Vechta. Als Jugendliche profitierte sie von der Kooperation ihrer Ganztagsschule mit regionalen Betrieben. In praktischen Projekten lernte sie das Handwerk kennen und entdeckte den Straßen- und Tiefbau: „Tolle Naturstoffe, Steine, Split, Beton, alles was das Herz begehrt. Man kann sich ausleben, die Welt verbessern, zum Beispiel durch Hochwasserschutz.“

Bild von einer als Ziegeldach gestalteten Seite des Berichtsheftes von Dachdeckerin Carina Ahrens
Liebe zum Detail: Das Berichtsheft erhielt ein Auszeichnung. (Foto: Dachdeckerinnung Bremen)

Endlich Selbstbestimmung

Aber das Jugendamt stellte sich quer. Es hieß: Das ist doch kein Beruf für eine Frau! „Ich habe dann eine Ausbildung zur Lagerlogistikerin durchgezogen, weil ich danach über mich selbst bestimmen und zumindest als Bauhelferin im Straßen- und Tiefbau arbeiten konnte“, berichtet Carina Ahrens. Dort lernte die junge Frau ihren zukünftigen Ehemann, einen Dachdecker, kennen und zog mit ihm nach Bremen. „Wir waren viele Jahre ein gutes Team, als Paar und auf der Arbeit.“

Hoch hinaus aufs Dach nach der Geburt der Töchter

Nach Geburt der Töchter fühlte Carina Ahrens sich der körperlich sehr harten Arbeit im Straßen- und Tiefbau nicht mehr so gewachsen. Familienangehörige drängten sie, ganz zu Hause zu bleiben. „Ich wollte aber keine Hartz-IV Mutter sein“, sagt sie entschieden. Stattdessen arbeitet Carina Ahrens zur Probe bei einem Dachdecker. „Kaum war ich oben, hat es mich gepackt. Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Die Lehre beginnt sie 2021 in dem Betrieb, in dem ihr Mann arbeitet. Doch wegen zunehmend belastender Konflikte leitet Carina Ahrens die Scheidung ein und wechselt in der Lehre den Ausbildungsbetrieb.

Bild von Dachdeckerin Carina Ahrens auf dem Steildach
Liebe auf den ersten Blick für den Beruf als Dachdeckerin. (Foto und Titelbild: Carina Ahrens)

Vorbilder, Dankbarkeit und Wertschätzung geben Kraft

Ab Ende des zweiten Lehrjahres lernt Carina Ahrens bei Heinrich Strangmann Bedachungen. Der Betrieb macht beim „Dachdecker-Campus“ mit. Hier unterrichten die Meister von fünf Bremer Dachdeckerbetrieben einmal im Monat samstags praktischen Lehrstoff, der im Alltag zu kurz kommt. Voller Dankbarkeit erzählt die Jung-Gesellin von diesem Engagement. „Diese Meister und auch die LehrerInnen der Berufsschule, die dort mitmachen, sind mein Vorbild. Das ist so toll, dass die sich am Wochenende unbezahlt da hinstellen!“

Die junge Dachdeckerin beeindruckt selbst mit ihrer Wertschätzung und Dankbarkeit. Für ihre Berufsschullehrerin Vera Linke hat sie, als Dank für engagierten und anschaulichen Unterricht sowie für Unterstützung in schwierigen Zeiten ein besonderes Geschenk gestaltet. Carina Ahrens: „Sie hat mir vermittelt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“

Bild von  Dachdeckerin Carina Ahrens beim Eindecken eines Steildachs
Nach der Geburt ihrer Töchter startete Carina Ahrens ihre Dachdeckerlehre. (Foto: Carina Ahrens)

Das Nadelöhr der Kinderbetreuung

Nun sind die „Luxusjahre“ des Lernens vorbei und das Leben mit dem Gehalt einer Gesellin im ersten Jahr gestaltet sich für die seit der Scheidung alleinerziehende Mutter nicht einfach. Früh am Morgen verlässt sie das Haus und kehrt erst um 17 Uhr zurück. Öffentliche Früh- und Spätbetreuung für Kinder gibt es in Niedersachsen nur von 7 bis 16 Uhr. Eine professionelle Babysitterin verlangt für Betreuung der Töchter in der restlichen Zeit 600 Euro monatlich und zusätzlich die Nutzung eines Autos. „Unbezahlbar“, sagt Carina Ahrens.

Schon für die Früh- und Spätbetreuung, für das Mittagessen und für Ferienbetreuung durch Schule und Kindergarten muss sie Geld aufbringen. „Ich komme mit meinem Gehalt jetzt schlechter zurecht als zuvor mit dem Lehrgeld und den Zuschüssen, die ich als Auszubildende bekommen konnte. Als Handwerkerin falle ich mit meinen Arbeitszeiten durch das Raster der öffentlichen Betreuungsangebote. Da läuft doch in der Politik was schief“, so Carina Ahrens.

Bild von Dachdeckerin Carina Ahrens mit ihrer Auszeichnung und dem Jahrgangsbesten Linus Eric Böltau
Ehrung: Der Jahrgangsbeste Linus Eric Böltau und Carina Ahrens auf der Freisprechungsfeier in den Lounge-Räumen von Werder Bremen. (Foto: Dachdeckerinnung Bremen)

Das Handwerk braucht mehr politische Unterstützung

Wegen der Betreuungslücke am frühen Morgen und späten Nachmittag droht sich das Jugendamt wieder in Carina Ahrens‘ Leben einzumischen. Angeblich übt die Dachdeckerin einen Beruf aus, der mit den Pflichten einer alleinerziehenden Mutter nicht zu vereinbaren ist. Glücklicherweise kann übergangsweise ein Freund der Familie die Betreuung der Kinder übernehmen. Eine Kollegin aus dem Netzwerk Dachdecker-Mädelz, in dem Carina Ahrens sich engagiert, hat ihr geraten, nach Nordrhein-Westfalen zu kommen. Denn dort gibt es Betreuungsangebote speziell für HandwerkerInnen mit ihren langen und unregelmäßigen Arbeitszeiten.

Jetzt selbst beim Dachdecker-Campus aktiv

Carina Ahrens wird sich für eine gute Lösung der Betreuungsfrage einsetzen. „Ich will Erfüllung im Leben mit meinen Töchtern und Erfüllung im Beruf.“ Mit Stolz erfüllt sie die Erlaubnis, jetzt selbst als Betreuerin der Azubis beim Dachdecker-Campus mitwirken zu können. „Ich will anderen auf ihrem Weg helfen und ein Vorbild sein dafür, dass man sein Ziel erreichen kann, wenn man nur will.“

Sie interessieren sich für Storys über junge Dachdecker und Zimmerer? Dann lesen Sie unsere Geschichte über Luca Umlauf und sein Abenteuer auf der Walz.

Artikel jetzt teilen!

Weitere Artikel

Newsletter-Anmeldung

DACH-Ticker

ZDBF-Mitgliederversammlung: KI und Marktsituation im Fokus

Mit knapp 80 Teilnehmern aus Bedachungsfachhandel und Industrie war die Mitgliederversammlung des Zentralverbandes des Deutschen Bedachungsfachhandels (ZDBF) am Mittwoch in Hannover gut besucht. Ein wichtiger, positiver Fakt: Das Einkaufsvolumen der meldenden Fachhandelsunternehmen im Jahr 2024 mit bei einem Minus von 0,8 Prozent nahezu stabilisiert. Der ZDBF kündigte zudem an, Mitglied der Aktion Dach zu werden, um die notwendigen und für alle Marktbeteiligten wertvollen Aktivitäten zur Nachwuchsgewinnung zu unterstützen. Martin Langen von B+L Marktdaten informierte über Marktentwicklung in Neubau und Sanierung, den Schlussvortag unter dem Titel „Künstliche Intelligenz im Praxiseinsatz“ hielt Prof. Dr. Marco Barenkamp.

9. Mai 2025

Dirk Sindermann zum neuen ZVDH-Vizepräsidenten gewählt

Dachdeckermeister Dirk Sindermann ist auf dem jüngsten Dachdeckertag in Dresden in einer Kampfabstimmung gegen den bisherigen Amtsinhaber André Büschkes mit knapper Mehrheit zum neuen Vizepräsidenten des Zentralverbands des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) gewählt worden. „Ein zentrales Anliegen ist es für mich, das Dachdeckerhandwerk in der öffentlichen Wahrnehmung gemeinsam mit den Mitgliedern der Organisation zu stärken“, so Sindermann. „Ein Schwerpunkt liegt auf der Öffentlichkeitsarbeit, um die Bedeutung unseres Gewerks in der Gesellschaft sowie bei relevanten Akteuren weiter zu festigen.“

28. März 2025

Böcker eröffnet neue Niederlassung in Burghaslach bei Nürnberg

Kranhersteller Böcker verstärkt seine deutschlandweite Präsenz mit der neuen Niederlassung in Burghaslach bei Nürnberg und eröffnet diese feierlich mit einem 360 Grad Höhentag. Ein Jahr nach dem Spatenstich im konnte nun laut einer Pressemeldung das moderne Servicegebäude fertig gestellt werden. Damit ist Böcker deutschlandweit an sieben Standorten, einschließlich des Firmensitzes im westfälischen Werne, als Partner direkt vor Ort.

21. März 2025

Baugenehmigungen 2024 stark rückläufig

Im Jahr 2024 wurde in Deutschland der Bau von 215 900 Wohnungen genehmigt. Wie das Statistische Bundesamt nach vorläufigen Ergebnissen mitteilt, waren das 16,8 Prozent oder 43 700 Wohnungen weniger als im Vorjahr. Damit sank die Zahl der Baugenehmigungen bereits im dritten Jahr in Folge. Weniger neue Wohnungen waren zuletzt im Jahr 2010 mit 187 600 Wohnungen genehmigt worden. In den Zahlen sind die Baugenehmigungen für Wohnungen sowohl in neuen als auch in bestehenden Gebäuden enthalten.

27. Februar 2025

Bauder eröffnet neues Werk in Landsberg

Ein bedeutender Meilenstein für die Paul Bauder GmbH & Co. KG: Mit der feierlichen Einweihung seines neuen Werks in Landsberg stärkt das Stuttgarter Familienunternehmen seine Produktionskapazitäten und setzt zugleich ein klares Signal für Wachstum und Innovation. Rund 12,5 Millionen Euro wurden laut einer Pressemeldung von Bauder in die neue Anlage investiert, die speziell für die Herstellung des Flüssigkunststoffs Liquitec konzipiert wurde und Raum für modernste Forschungs- und Entwicklungsarbeit umfasst. Dabei wurde ein ganzheitlicher Ansatz für eine bestmögliche Ökobilanz des Produktionsprozesses verfolgt.

31. Januar 2025

Baugenehmigungen 2024 weiterhin auf Talfahrt

Im November 2024 wurde in Deutschland der Bau von 17 900 Wohnungen genehmigt. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, waren das 13 Prozent oder 2700 Baugenehmigungen weniger als im November 2023. Im Zeitraum von Januar bis November 2024 wurden 193 700 Wohnungen genehmigt. Das waren 18,9 Prozent oder 45 200 weniger als im Vorjahreszeitraum. In diesen Ergebnissen sind sowohl Baugenehmigungen für Wohnungen in neuen Wohn- und Nichtwohngebäuden als auch für neue Wohnungen in bestehenden Gebäuden enthalten.

17. Januar 2025

Valentin Bremer gewinnt German Craft Skills 2024 der Dachdecker

Der Sieger der German Craft Skills 2024 Valentin Bremer kommt aus Hessen und hat von 200 möglichen Punkten 178,70 erreicht. Den zweiten Platz belegte John Seltmann aus Sachsen, Dritter wurde Linus Esseln, der Landessieger aus Rheinland-Pfalz. Bremer und Seltmann haben sich für die 30. IFD-Weltmeisterschaft junger DachdeckerInnen im Jahr 2026 qualifiziert. „Es ist immer wieder eine große Freude zu sehen, wie sehr sich junge Menschen für ihr Handwerk begeistern“, erklärte ZVDH-Vizepräsident Jan Voges, der als Zuschauer vor Ort war.

30. Oktober 2024

Georg Harrasser wird neuer Geschäftsführer bei Nelskamp

Georg Harrasser übernimmt ab November 2024 die Geschäftsführung der Dachziegelwerke Nelskamp. Der 58-jährige Maschinenbauingenieur ist ein alter Bekannter in der Bedachungsbranche. Nach mehr als 25 Jahren bei der BMI Group war Harrasser zuletzt als Präsident bei der Carlisle Construction Materials Europe tätig. Er folgt auf Heiner Nelskamp, der im Mai 2024 als Geschäftsführer in Rente gegangen ist. „Nelskamp ist ein bekannter Name und wird als ein führender Hersteller von Dacheindeckungsmaterial in Deutschland sehr geschätzt. Der Ausbau des deutschen sowie internationalen Geschäfts ist eine spannende Aufgabe, auf die ich mich sehr freue“, so Harrasser.

17. September 2024

A. Ewald Kreuzer wird Ehren-Landesinnungsmeister der bayerischen Dachdecker

Nach Abschluss der Neuwahlen der Vorstandschaft auf dem jüngsten Landesverbandstag der bayerischen Dachdecker stellte der neu gewählte Landesinnungsmeister Mario Kunzendorf den Antrag, A. Ewald Kreuzer für seine herausragenden Verdienste während seiner knapp 20-jährigen Amtszeit als Landesinnungsmeister zum Ehren-Landesinnungsmeister zu ernennen. Kunzendorf bekräftigte die Aussage von ZVDH-Präsident Dirk Bollwerk, dass mit der Zeit von Kreuzer als Landesinnungsmeister eine „Ära“ zu Ende gehe und ergänzte, dass dieser Begriff selten treffender hätte sein können.

18. Juli 2024

ifo Institut erhöht Prognose auf 0,4 Prozent Wirtschaftswachstum für 2024

Das ifo Institut hat seine Prognose für das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr auf 0,4 Prozent heraufgesetzt, von 0,2 Prozent bislang. Im kommenden Jahr dürfte es sich beschleunigen auf 1,5 Prozent. „Es entsteht gerade neue Hoffnung“, sagt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. „Die deutsche Wirtschaft arbeitet sich langsam aus der Krise. Das zweite Halbjahr 2024 dürfte deutlich besser ausfallen als das erste.“ Gleichzeitig wird die Inflation abflauen, von 5,9 Prozent im vergangenen Jahr auf 2,2 Prozent in diesem und auf nur noch 1,7 Prozent im kommenden Jahr.  

20. Juni 2024